Standard & Poor's:USA verklagen Ratingagentur auf mehr als fünf Milliarden Dollar

Die Vereinigten Staaten zerren Standard & Poor's vor Gericht - eine jener Ratingagenturen, die mit ihren überoptimistischen Noten für Wertpapieren die Finanzkrise überhaupt erst möglich gemacht haben sollen. In ähnlichen Fallen haben sich die Agenturen auf ihre Meinungsfreiheit berufen.

Von Hans von der Hagen

Es ist schon bemerkenswert: Während es in Europa nach der Bankenkrise kaum mehr als einen strengen Blick für die Finanzzunft gab, versuchen sich die USA verstärkt daran, die Krise juristisch aufzuarbeiten.

Diese Aufarbeitung ist zäh und mündet selten in Urteilen. Doch mittlerweile gibt es nun schon eine Reihe von Vergleichen mit Banken, die signalisieren, dass überhaupt etwas geschieht.

Womöglich wird auch der jüngste, besonders spektakuläre Fall mit einem solchen Vergleich enden: die Klage der US-Regierung wegen gegen Standard & Poor's. Das Justizministerium hat sie vor einem Gericht in Los Angeles eingereicht. Justizminister Eric Holder sagte, es gehe in der Klage um mehr als fünf Milliarden Dollar. Der konkrete Vorwurf gegen die Ratingagentur und ihre Mutterfirma McGraw-Hill: Sie habe Risiken bei den Hypothekenpapieren verschwiegen und dadurch die Finanzkrise von 2008 mitausgelöst. (Felix Salmon von Reuters hat die Klage gescannt und online gestellt)

Beispiellose Entwicklung

Alle Bemühungen, sich außergerichtlich zu einigen, seien zuvor gescheitert, heißt es in US-Medien. Das Justizministerium soll dem Vernehmen nach auf eine Zahlung von mehr als einer Milliarde Dollar gedrängt haben. Standard & Poor's habe hingegen nur rund 100 Millionen Dollar angeboten. Es wird erwartet, dass sich auch die Staatsanwaltschaften von mehr als einem Dutzend Bundesstaaten der Klage anschließen.

Standard & Poor's veröffentlichte schon vor der Klageerhebung eine vierseitige Erklärung, warum die Klage unbegründet sei. Das Hauptargument: Die Analysten hätten gutgläubig gehandelt - und die Entwicklung des US-Immobilienmarktes im Jahr 2007 sei beispiellos gewesen.

Bestnoten für Schrott

An der Börse reagierten die Anleger nach Bekanntwerden der Klage entsetzt: Der Kurs brach am Montag um knapp 14 Prozent ein, am Dienstag ging es im frühen Geschäft nochmals um sieben Prozent abwärts. Nicht ohne Grund: Für Standard & Poor's ist die Klage außerordentlich heikel, denn sie stellt das Geschäftsmodell der Ratingagenturen insgesamt auf den Prüfstand. Das hat in der Finanzkrise versagt.

Ratingagenturen benoten, mit welcher Wahrscheinlichkeit Wertpapiere ausfallen und Investoren Geld verlieren könnten. In den Jahren vor der Finanzkrise wurden dabei besonders viele Anlageprodukte benotet, denen Darlehen an Immobilienbesitzer zugrunde lagen. Diese Hypotheken wurden von Banken gebündelt und als eigenständiges Wertpapier weiterverkauft. Agenturen wie Standard & Poor's schätzten diese Papiere als sicher ein, da es in früheren Jahren bei Darlehen an Immobilienbesitzer vergleichweise wenig Zahlungsausfälle gab.

Kaufanreiz Triple-A

Viele der Anlageprodukte bekamen sogar die Bestnote AAA, das begehrte Triple-A-Rating. Kurz vor Ausbruch der Finanzkrise 2007 wurde der Markt förmlich mit solchen Triple-A-Papieren überschwemmt.

Für die Banken war das ein Kaufanreiz, versprachen doch diese Papiere die beste aller Welten: Große Ausfallsicherheit und zugleich erstaunlich hohe Rendite. Bankinterne Kritiker, die bei den Käufen angesichts der zunehmend kritischen Lage auf dem US-Immobilienmarkt zur Vorsicht rieten, hatten gerade wegen der guten Ratings kaum eine Chance, sich durchzusetzen - zumal die Banken für AAA-Papiere besonders wenig Eigenkapital vorhalten mussten, um gegen mögliche Probleme abgesichert zu sein.

Als viele Amerikaner, die nie Hypothekenkredite hätten bekommen sollen, nicht mehr abstottern konnten, verloren viele Papiere stark an Wert. Milliarden Dollar brachen weg, und schließlich geriet das ganze Finanzsystem in Schieflage.

Nun behauptet das Justizministerium, dass Standard & Poor's die Risiken bei bestimmten Wertpapieren bewusst heruntergespielt habe. Bewiesen werden sollen Vorwürfe diese Art unter anderem durch interne Mails und Firmenreports. Aus denen könnte hervorgehen, dass die Angestellten nicht unbedingt hinter den Top-Ratings standen, die in jenen Jahren so oft für die komplexen Wertpapiere vergeben wurden.

Standard & Poor's könnte mit den guten Noten versucht haben, neue Aufträge zu ergattern. Denn üblicherweise betrauen nicht die Käufer solcher Investments die Ratingagentur mit der Bewertung der Papiere, sondern die verkaufenden Banken. Das ist zwar in der Branche üblich, doch zwangsläufig entstehen durch dieses Vorgehen Interessenskonflikte: Der Verkäufer ist an einem besonders guten Rating interessiert.

Der Prozess muss nun zeigen, ob beispielsweise die Ratings wider besseren Wissens zu gut angesetzt wurden. Allerdings hätten andere Agenturen ähnliche Noten vergeben, argumentiert Standard & Poor's. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass falsche Einschätzungen und Fehler in den zugrunde liegenden Rechenmodellen ebenfalls eine wichtige Rolle spielten. Die Gültigkeit historischer Daten zu den Ausfallrisiken am Immobilienmarkt wurde offenkundig nicht genügend hinterfragt. Fatal war wohl auch, dass die Banken sich schon im Internet ausrechnen konnten, mit welchen Papieren sie die höchstmöglichen Noten bekamen.

Ausmaß zu spät erkannt

Standard & Poor's weist darauf hin, dass nicht nur das Unternehmen selbst, sondern auch andere Unternehmen und Regierungsvertreter das drohende Ausmaß der Krise zu spät erkannt hätten. Immerhin habe man schneller als die meisten Wettbewerber weitreichende Gegenmaßnahmen ergriffen.

Es gab bereits einige Klagen von Investoren gegen Ratingagenturen. Doch fast keine hatte bislang Erfolg. Die Agenturen behaupten, sie hätten mit ihrer Benotung lediglich eine Meinung vertreten und keine Kaufempfehlung abgegeben. So eine freie Meinungsäußerung sei von der Verfassung garantiert.

In Deutschland hat Mitte Januar der Bundesgerichtshof in Karlsruhe entschieden, dass Ratingagenturen hierzulande grundsätzlich wegen ihrer Einschätzung verklagt werden können. Zuvor hatte ein australisches Gericht S&P zur Zahlung einer millionenschweren Entschädigung verurteilt, weil die Ratingagentur Anleger in die Irre geführt habe. In New York hatte ein Gericht eine ähnliche Klage von Investoren zugelassen.

Unklar ist, ob die Regierung auch die beiden anderen großen Agenturen Moody's und Fitch ins Visier nimmt. Doch so oder so: Auf die Agenturen kommen harte Monate zu.

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