Stahlkonzern zieht personelle Konsequenzen:ThyssenKrupp rasiert Vorstand

Konzernchef Hiesinger greift bei Thyssen-Krupp durch, der halbe Vorstand wird ausgewechselt, drei Top-Manager müssen gehen. Damit ziehen Konzernchef und Aufsichtsrat die Konsequenzen aus diversen Kartell- und Korruptionsdelikten.

Von Klaus Ott, Essen

Unter den deutschen Industriekonzernen ist Thyssen-Krupp in Essen der große Traditionsname. 200 Jahre ist Krupp alt, ein Mythos des Landes. Und dann das: Der halbe Vorstand wird geschasst, gleich drei Top-Manager müssen gehen. Das gab das Unternehmen am Mittwochabend bekannt. Eine Sensation.

Damit ziehen Vorstandschef Heinrich Hiesinger und der Aufsichtsrat die Konsequenzen aus dem Milliarden-Desaster bei zwei Stahlwerken in Übersee und aus diversen Kartell- und Korruptionsdelikten. Sie hatten das Unternehmen in den vergangenen Wochen und Monaten immer mehr in die Schlagzeilen und in Bedrängnis gebracht. In Konzernkreisen heißt es, der erst vor zwei Jahren von Siemens gekommene Hiesinger wolle für eine "neue Unternehmenskultur" sorgen. Die Vorstandsmitglieder Jürgen Claassen, Edwin Eichler und Olaf Berlien verlassen Thyssen-Krupp zum Jahresende. Ihre Verträge wären noch bis 2016 beziehungsweise 2017 gelaufen.

Durchgreifen, aufräumen und neue Chefs holen

Hiesinger hatte zuvor bei Siemens in München selbst miterlebt, wie ein Konzern solche Affären am besten bewältigt: durchgreifen, aufräumen und neue Chefs holen - unbelastete Leute. Bei Siemens war nach dem Schmiergeldskandal, der das Unternehmen schwer belastete und rund zwei Milliarden Euro kostete, fast der komplette Vorstand ausgewechselt worden. Hiesinger stieg in die Konzernspitze auf. Er machte dort seinen Job so gut, dass ihn Gerhard Cromme, Aufsichtsratschef bei Siemens und Thyssen-Krupp, nach Essen holte. Dort fand der Münchner Ingenieur ein Unternehmen vor, das immer mehr in die Krise schlitterte. Ein Arbeitgeber von mehr als 150 000 Beschäftigten geriet außer Kontrolle.

Thyssen-Krupp hat sich beim Bau von Stahlwerken in Brasilien und in den USA verkalkuliert. Fehlplanungen und Pfusch ließen die Kosten, die mit drei Milliarden Euro angesetzt waren, explodieren. Inzwischen haben die beiden Werke, die nun verkauft werden sollen, zwölf Milliarden Euro verschlungen. Bei Thyssen-Krupp in Essen heißt es, Hiesinger sei der erste gewesen, der "reinen Tisch" gemacht und den Aufsichtsgremien ungeschönte Zahlen präsentiert habe. Das sei unter dem alten Vorstandschef Ekkehard Schulz versäumt worden. Schulz äußert sich nicht zu diesen Vorgängen, da er dem Unternehmen nicht mehr angehöre.

Milliarden-Debakel, Luxusreisen, Veruntreuung von Konzerngeldern

Das Milliarden-Debakel wird intern auch Stahlvorstand Eichler angelastet, der seit Wochen in der Kritik stand. Er ist seinen Job ebenso los wie Vorstandskollege Claassen, dem Luxusreisen zum Verhängnis werden. Die Staatsanwaltschaft Essen ermittelt wegen Veruntreuung von Konzerngeldern gegen Claassen, der auch für Compliance zuständig war. Ausgerechnet für jene Sparte also, die für saubere Geschäfte sorgen soll. Claassen ist einer der engsten Vertrauten von Aufsichtsratschef Cromme, dessen Position nun stark geschwächt ist. Cromme, der seit langem zu den Top-Leuten in Deutschlands Wirtschaft zählte, hatte als früherer Krupp-Mann Ende der 1990er-Jahre zusammen mit Thyssen den neuen Konzern geschmiedet und anfangs mit Schulz geleitet, bevor er an die Spitze des Aufsichtsrats wechselte und von dort aus den Stahlkonzern aus dem Ruhrgebiet prägte.

2007 übernahm Cromme auch den Aufsichtsratsvorsitz bei Siemens und räumte dort zusammen mit dem damaligen Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und IG-Metall-Chef Berthold Huber nach dem Schmiergeldskandal kräftig auf. Genau das versäumte Cromme aber im eigenen Unternehmen im Ruhrgebiet, in dem sich die zweifelhaften Geschäfte häuften. 2007 flog ein Fahrstuhl- und Rolltreppenkartell auf, das Thyssen-Krupp später 320 Millionen Euro Schmiergeld kostete. 2011 enttarnten die Behörden ein Schienenkartell. Mehr als 100 Millionen Euro Bußgeld waren fällig. In den vergangenen Wochen wurden dubiose Geldflüsse bei einem Auftrag aus Kasachstan bekannt. Auch hier ermittelt die Staatsanwaltschaft Essen. Dieses Mal wegen Korruptionsverdachts.

"Wir brauchen eine andere Denke im Konzern"

Zuletzt wurde bekannt, dass ein 2003 wegen Bestechung verurteilter Konzern-Manager seine Karriere bis 2008 hatte fortsetzen können und dann in allen Ehren verabschiedet worden war. An einem Golfturnier beim Wechsel dieses Managers in den Ruhestand hatte sogar Cromme teilgenommen, der nach Angaben aus Konzernkreisen allerdings erst später von der Verurteilung im Jahre 2003 erfahren habe. Der Vertrag dieses Managers war trotz seines Korruptionsfalles drei Mal verlängert worden. Unternehmenskreisen zufolge geschah das mit Zustimmung des Konzernvorstands, dem damals schon Eichler und Berlien angehörten. Dass diese beiden zusammen mit Claassen ihre Koffer packen müssen, besprach Vorstandschef Hiesinger am Dienstag mit dem Personalausschuss des Aufsichtsrats. Das gesamte Kontrollgremium muss dem bei seiner nächsten Sitzung am kommenden Montag noch zustimmen, was als Formalie gilt.

Insbesondere in Arbeitnehmerkreisen hatte sich zuletzt immer mehr Unmut angestaut. "Wir brauchen eine andere Denke im Konzern", hatte bereits vor einem Monat Betriebsratschef Wilhelm Segerath öffentlich gefordert. Er gehört dem Aufsichtsrat seit 1999 an. Die IG Metall unterstützt das Großreinemachen bei Thyssen-Krupp. Der Konzern stehe vor großen Herausforderungen und brauche das Vertrauen seiner Beschäftigten und Kunden, erklärte IG-Metall-Vorstand Bertin Eichler. "Das geht nur mit einem echten Neuanfang." Ob das auch einen Wechsel an der Spitze des Aufsichtsrats nach sich ziehen wird, oder ob Cromme sich trotz seiner Versäumnisse halten kann, das ist die nächste Frage. Es stelle sich, so eine Mitteilung von Thyssen-Krupp, "die Frage nach der bisherigen Führungskultur im Konzern".

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