Stadt oder Land:Wie wollen wir leben?

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Ein Vorteil des neues Landlebens ist der Ausblick: Hühner und Pferde grüßen durch das Heimbürofenster.

(Foto: Lina Müller)

In der Pandemie haben sich viele Menschen gegen die Großstadt und für das Umland entschieden: Unsere Autorin erzählt von ihrem Umzug, vom Dorfleben und was sie vermissen wird.

Kolumne von Kathrin Werner

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Wenn ich aus dem Fenster meines winzigen Heimbüros blicke, sehe ich Bullerbü. Hinter der Wohnung, in der wir zur Miete wohnen, lebt eine perfekte Familie mit vier fröhlichen Kindern in ihrer Doppelhaushälfte, die spielen quasi rund um die Uhr im Garten. Sie bekommt ständig Besuch, anscheinend wohnen diverse Tanten, Cousins, Großeltern und Freunde in der Nähe. Die Mutter pflanzt Tomaten an. Der Grillgeruch zieht durch das gekippte Fenster über meinen Schreibtisch. Ich bin sehr neidisch.

Die Pandemie war für mich eine Zeit der Reflexion. Und über kaum eine Frage habe ich mir so viele Gedanken gemacht wie über diese: Wie wollen wir leben? "Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf", lautet ein afrikanisches Sprichwort. Anders als unsere Nachbarn hat meine kleine Familie kein Dorf. Wir haben sehr beschäftige Freundinnen und Freunde und Eltern und Geschwister, die Hunderte, teils Tausende Kilometer entfernt wohnen. Unsere Nachbarn grüßen wir höflich, kennen aber ihre Namen nicht. Meine Kolleginnen und Kollegen habe ich in eineinhalb Jahren fast nie gesehen. In der Pandemie waren mein Mann und ich und unsere zwei kleinen Kinder niemals allein und niemals Teil einer Gemeinschaft, sondern immer nur wir vier. Es ist ein fragiles Konstrukt, das nur funktioniert, wenn wir funktionieren. Es ist oft sehr anstrengend. Wir wollen anders leben. Darum ziehen wir bald um, raus aus München, in ein Dorf. Wir werden einen kleinen Garten haben und unsere Nachbarn haben wir schon kennengelernt - mit Vornamen, auch die der Haustiere.

In der Pandemie haben sich viele Menschen so wie wir gegen die Großstadt und für das Umland entschieden. Zwar sind deswegen laut einer Auswertung des Forschungsinstituts Empirica selbst in abgelegenen Regionen die Immobilienpreise um 40 Prozent gestiegen. Sie liegen aber immer noch deutlich unter dem, was Mieten oder Kaufen in der Stadt kostet - vor allem in München. Viele von den neuen Dorfbewohnern sind Menschen wie ich, die hoffen, dass sie auch in Zukunft oft von zu Hause aus arbeiten können. Mit allen Vor- und Nachteilen, die das Homeoffice bringt. Ich denke an die Warnung der ehemaligen Siemens-Vorständin Janina Kugel, die glaubt, dass vor allem Frauen öfter von zu Hause aus arbeiten werden, während die Männer ins Büro zurückkehren: "Wer nicht präsent ist, kann keine Karriere machen."

Ich blicke dem Landleben mit Vorfreude, aber auch einer gewissen Wehmut entgegen. Schließlich liebe ich die Geschwindigkeit der Großstadt, die Parks, das gute Essen, die Kultur, die vielen Möglichkeiten, die ich schätze, sogar wenn ich sie nicht nutze. Ich liebe die Vielfalt der Menschen, das Fahrradfahren ins Büro, sogar die Anonymität. Der Umzug aufs Land ist auch ein Abschied von mir, dem Großstadtmenschen. Und natürlich mache ich mir Sorgen, ob unser Traum vom Dorfleben wahr wird, schließlich sind wir die Neulinge in einer jahrhundertealten Gemeinschaft, deren bayerischen Dialekt ich nur schwer verstehe. Vielleicht lässt sich unsere Entwurzelung, die sich ergab, weil wir unseren Jobs in eine Stadt folgten, in der wir niemanden kennen, nicht heilen, indem wir uns einfach irgendein Dorf suchen. Vielleicht lässt sich ein Problem, das im System liegt, nicht durch einen Umzug lösen - den sich ja sowieso nicht jeder leisten kann. Mir fällt Adorno ein: Es gibt kein richtiges Leben im falschen.

Was mich zuversichtlich macht, ist die Tatsache, dass wir nicht der Stadt entfliehen, die wir ja lieben, sondern dass es uns aufs Land zieht. Aus meinem neuen Heimbürofenster werde ich Hühner und Pferde sehen. Wir haben uns für etwas entschieden, nicht gegen etwas.

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