Staatshaushalt:Der nachtragende Kassenwart

Wie Hans Eichel seinem Vorgänger Theo Waigel Konkurrenz macht — und sich obendrein einer neuen Ehrlichkeit verpflichtet.

Von Ulrich Schäfer

Als Finanzminister Hans Eichel am vergangenen Dienstag das Berliner Büro der Nachrichtenagentur Reuters besuchte, war von einem schnellen Nachtragshaushalt keine Rede.

Nein, nein, da sei nichts in Planung - derzeit jedenfalls, versicherte der SPD-Politiker. Solch eine Antwort ist immer richtig und besagt doch nichts.

Denn einen Nachtragshaushalt kann man notfalls binnen weniger Minuten aufstellen. Im Grunde reichen ein paar kurze Sätze: "Der Bundesminister der Finanzen wird ermächtigt, im Jahre 2004 zusätzliche Kredite von 14,4 Milliarden Euro aufzunehmen." Dazu eine knappe Begründung ("hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Steuereinnahmen") - fertig ist das Milliardenwerk.

So geschah es diese Woche. Nur einem Tag nach Eichels Besuch bei Reuters räumten seine Ministerialen ein, dass das Kabinett bereits nächste Woche über die zusätzlichen Schulden beraten werde - und nicht erst im November, wie Eichel den ganze Sommer über behauptet hatte. Er wolle, hatte er stets versichert, erst noch die nächsten Steuerschätzung abwarten.

Nun will der klamme Kassenhüter nicht mehr warten - und das aus gutem Grund. Vor einem Jahr wollte er schon mal einen gewaltigen Nachtragsetat in aller Eile durch Bundestag und Bundesrat bringen.

Eine "Kampfzuleitung" war nötig, eine Verkürzung der üblichen Beratungsfristen. Doch die Union ließ ihn zappeln, überwies das Etatwerk in den Vermittlungsausschuss und verabschiedete es schließlich erst im Februar diesen Jahres. "So etwas wollen wir uns dieses Jahr ersparen", erklären Eichels Berater.

Diese Strategie passt zudem zur neuen Ehrlichkeit, die Eichel sich verordnet hat. Anders als früher will er nicht peu à peu mit der Wahrheit herausrücken, auch wenn die Opposition beklagt, dass dies immer noch geschehe.

Der CDU-Haushälter Dietrich Austermann schimpfte dieser Tage über Täuschungsmanöver und der FDP-Finanzfachmann Carl-Ludwig Thiele monierte, Eichel habe die Öffentlichkeit monatelang "an der Nase herumgeführt".

Immerhin ist nun klar, dass die Neuverschuldung dieses Jahr auf 43,7 Milliarden Euro klettern wird - und vielleicht sogar noch höher, falls Eichel auch noch eine ungenutzte Kreditlinie aus dem vorigen Jahr bemüht.

Ex-Finanzminister Theo Waigel (CSU) dürfte deshalb seinen Schuldenrekord los sein, der aus dem Jahr 1996 stammt: Damals musste sich die Bundesregierung 40 Milliarden Euro pumpen.

Eichels neue Ehrlichkeit dürfte im Dezember aber an eine Grenze stoßen. Dann muss er nach Brüssel melden, wie sich die Staatsfinanzen nächstes Jahr entwickeln werden.

Schon jetzt ist klar, dass das Defizit von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialkassen 2005 bei über drei Prozent der Wirtschaftsleistung liegen wird, und damit zum vierten Mal jenseits der im EU-Stabilitätsgrenze. Aber "eine Drei vor dem Komma" will die Regierung in den Bericht auf keinen Fall hineinschreiben - denn dann droht sofort neuer Ärger mit der EU-Kommission.

Bayerns Finanzminister Kurt Faltlhauser verfolgt dies mit Sorge. "Die Entwicklung im nächsten Jahr wird kaum besser sein als in diesem", befürchtet der CSU-Politiker. Der Stabilitätspakt, der einst für Haushaltsdisziplin sorgen sollte, sei damit endgültig tot: "Er wird durch die Fakten beiseite gedrängt".

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