Staatsanwalt Hans Richter:Teufelchen aus Stuttgart

Große Namen wie Porsche oder Schlecker schrecken ihn nicht. Hans Richter gilt als einer der schärfsten Ermittler Deutschlands. Mit allen Mitteln des Rechts will er die Wirtschaft in Ordnung halten - seine Gegner sagen, er kennt nur Gut oder Böse.

Von Max Hägler und Klaus Ott

So also sieht das Büro des Mannes aus, den deutsche Wirtschaftslenker am meisten fürchten: Auf dem abgewetzten Tisch der Amtsstube liegen zwei Kommentare zum Wertpapierhandelsgesetz und ein Taschenrechner. Regale voller Ordner, eine alte Schreibmaschine. Achtzigerjahre-Beamten-Charme. Und hinten an der Wand baumelt ein schelmisch dreinblickender Teufel. Die Marionette mit der großen Pappmascheenase sei das Geschenk einer Übersetzerin, mit der er viel gearbeitet habe, sagt Hans Richter: "Sie meinte, dass ich ähnliche Gesichtszüge habe."

Er schmunzelt ein wenig, sodass sich Grübchen bilden, vielleicht weil auch er weiß, dass es der Mitarbeiterin wohl nicht nur um die Gesichtszüge ging, sondern auch um dieses Symbol: Für manche Ganoven in der Republik ist der 65-Jährige mit dem freundlichen Lächeln und dem weichen schwäbischen Dialekt so etwas wie ein Mensch gewordener Luzifer. Einer, der gerade ihr Leben, das der Reichen mit ihren großen Autos und ihren Partys immer wieder durcheinanderbringt: Hans Richter, Leiter der Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaft, ist einer der schärfsten und zähesten Ermittler Deutschlands. Und einer, der den Kampf gegen die Mächtigen nicht scheut. Im Gegenteil: "Wir müssen uns daran messen lassen", sagt Richter, "ob wir bei den großen Namen dieselben angemessenen Urteile bekommen wie bei unbekannten Kriminellen."

Ohne Unterlass holt er sich große Namen und Fälle auf seinen Schreibtisch, Verdächtige, die später oft verurteilt werden: Der maßlose Drogerie-Milliardär Anton Schlecker. Die zockenden Banker der Landesbank Baden-Württemberg. Der eigenmächtige EnBW-Aufkäufer Stefan Mappus. Korrupte Daimler-Manager. Den vielleicht zu viel versprechenden Windreich- AG-Gründer. Die Bahn-Manager, die dem Juchtenkäfer den Garaus machen wollten.

Niemand ist vor Hans Richter sicher. Selbst vor seiner ehemaligen Dienstherrin, der Justizministerin, schreckte er nicht zurück: Die damalige FDP-Politikerin hatte 2004 ihrem Parteifreund, dem Wirtschaftsminister Walter Döring, Infos aus einem gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahren gesteckt. Der unerschrockene Staatsanwalt Richter ermittelte schließlich gegen beide - beide traten zurück und wurden auch verurteilt.

Eine große Akte derzeit: Die Verfahren gegen die allzu selbstbewussten ehemaligen und aktuellen Manager und Aufsichtsräte beim Sportwagenbauer Porsche und der einst angeschlossenen Finanzholding. Der Autohersteller wollte vor einigen Jahren den bereits verbandelten VW-Konzern übernehmen. Es hätte allen Beteiligten ganz gut gepasst: per trickreichem Aktienhandel zu einer günstigen, synergiestiftenden Fusion zu kommen.

Doch die Aktion lief aus dem Ruder und scheiterte, weil Porsche das Geld ausging. Seit Monaten steht der damalige Finanzchef Holger Härter - in aktiven Zeiten "Master of the Universe" genannt - wegen Kreditbetrugs vor dem Stuttgarter Landgericht. Er hat eine Erklärung im Vorfeld einer Kreditzuweisung zu verantworten, die die Stuttgarter Staatsanwaltschaft für unkorrekt hält.

Härters Anwälte und Berater schimpfen indessen über harte Bandagen und zurückgehaltene Beweise, die entlastend wirken könnten, und über die beschränkte Finanzkompetenz der Ermittler, die sich wenn überhaupt in Lappalien verrannt hätten. Tatsächlich ist kein materieller Schaden entstanden. Richter ficht das nicht an. Man müsse Ordnung halten im Kreditwesen, um das Vertrauen in das System zu erhalten, deswegen müssten auch folgenlose Unwahrheiten geahndet werden, erklärt er gerne jedem, der es hören will, vor dem Gerichtssaal.

"Der Spürhund war einfach zu unbequem"

Im Gespräch am eigenen Schreibtisch wird der Ton etwas schärfer, und seine Augen blitzen auf: "Porsche, das könnte man angesichts der Beinahepleite wohl auch unter Insolvenzkriminalität ansiedeln." Zack, das dürfte sitzen. So eine Einstellung wird der restlichen Runde, gegen die Richter und sein Team derzeit ermitteln, wenig Hoffnung machen: Wolfgang Porsche etwa, der Porsche-Betriebsrat Uwe Hück, der ehemalige Porsche-Chef Wendelin Wiedeking oder auch VW-Eigner Ferdinand Piëch. Und das mit der Kompetenz. Nun ja.

Richter kennt Wirtschaft und Recht im Ländle wie wenige andere. Er hat Betriebswirtschaftslehre studiert und als stellvertretender Einkaufsleiter bei der Maschinenfabrik Heller in Nürtingen gearbeitet. Er hat beim Rechtswissenschaftler Klaus Tiedemann promoviert und wechselte 1980 als Staatsanwalt in die Justiz. Ein Schock für die Ehefrau war das übrigens, die ihren Gatten schon in einer gut dotierten Position gesehen hatte, mit schönem Schreibtisch und solchen Annehmlichkeiten. Das Arbeiterkind hätte die Begabung gehabt zu solch einer Laufbahn, hätte reich werden können. Aber Richter ist stets ein politischer Mensch gewesen, war in der 68er-Zeit an der Uni aktiv, bei den gemäßigten Linken, und später war er IG-Metall-Mitglied.

Er hat den Wunsch, die Wirtschaft in Ordnung zu halten mit den Mitteln des Rechts. Doch das ließ sich kaum als Anwalt verwirklichen, sondern vor allem in einer Beamtenposition, als Ermittler. Pech für seine Frau. "Unser Häuschen auf dem Lande ist unsere Sparkasse", sagt er und klingt nicht unzufrieden. Wer so denkt, der heftet sich sofort an die Fersen der Großen: In Richters ersten Tagen lag auf seinem Schreibtisch auch die Akte eines kriminellen adeligen Unternehmers. Als der junge Staatsanwalt sich darauf stürzte, mahnte sein Vorgesetzter Zurückhaltung an: "Es gibt doch auch kleinere Fälle, mit denen Sie sich erst einmal einarbeiten können."

Aber auf kleine Fälle will Richter keine Energie verschwenden, es geht ihm um die Drahtzieher, die die Gesellschaft aus ihren Fugen bringen. So wie auch 1991, als er zum Rechtsaufseher der Treuhandanstalt berufen wurde. Mit dabei: Zahlreiche Halunken aus dem Westen, die bei der überstürzten Privatisierung des DDR-Vermögens Kasse machen wollten. "Manche haben abrupt die Verhandlungen abgebrochen, wenn ich plötzlich mit am Tisch saß", erzählt Richter.

Es waren halbseidene Geschäftsleute, die ihm zuvor einmal im Gerichtssaal oder bei Ermittlungen begegnet waren. Nach zwei Jahren wurden Richter und seine Leute übrigens wieder nach Stuttgart geschickt. "Der Spürhund", sagte damals ein Treuhand-Manager, "war einfach zu unbequem." Denn Richter hatte nicht nur Betrüger abgewehrt, sondern auch Dutzende Kollegen vor die Tür setzen lassen, weil sie sich am DDR-Eigentum bereichert hatten.

Das Eigentum vieler, an dem sich wenige übermäßig bedienen - den Kampf gegen solche Vermögensverschiebungen sieht Richter als seinen Job an. Sein Herz schlägt heute noch links. Aufgabe der Justiz sei es auch, den sozialen Frieden zu wahren, sagt der Staatsanwalt: "Wir verfolgen auch mächtige Manager, wenn sie das Geld anderer Leute verbraten, die sich auf ihre Solidität verlassen."

"Früher hätte man gesagt, die reden Rotwelsch"

Zunehmend kommen dabei weltgewandte Experten ins Spiel, als Verteidiger oder Gutachter. Beim Härter-Prozess versuchen sie etwa den "net purchase price" zu erklären. Richter wird da zum selbstbewussten Spötter: Die Finanzwelt meine sich in ihrer Begrifflichkeit zu professionalisieren, dabei würde oft nur verschleiert. "Früher hätte man gesagt, die reden Rotwelsch", lästert Richter. Er ist viel deutlicher als andere Staatsjuristen.

Das lässt wiederum Strafverteidiger erschaudern. Sie verdienen seit Jahren durch Richters Ermittlungen, der selbst stolz sagt: Wir sind ein guter Arbeitgeber für Elite-Anwälte. Aber es ist eben auch höchst anstrengend. "Für Richter", so sagt es einer seiner aktuellen Gegner, "gibt es nur Gut und Böse, er sieht sich auf der Seite der Guten, führt seinen persönlichen Krieg." Immerhin wisse man, woran man sei in Stuttgart. Klare Fronten, gewissermaßen. Ein anderer Rechtsanwalt, der seinen Namen auch nicht in der Zeitung lesen will, hält Richter für verbissen, für detailversessen. Aber: "Er ist nicht schlampig!" Und, Respekt ist da zu hören, er scheue nicht vor Grenzfällen zurück, die andere Staatsanwälte eher einstellen würden.

Was auch an der Mitarbeiterstruktur liegt, die der Oberstaatsanwalt perfektioniert hat und die weit mächtiger ist als viele andere Wirtschaftsabteilungen in Deutschland: Knapp 40 Kollegen arbeiten in seiner Hauptabteilung IV, verfolgen Börseninsider, Umweltsünder und Lebensmittelpanscher. Sechs Betriebswirte beraten die Abteilung wiederum mit Fachwissen zu Bilanzen und Buchhaltungstricks. Dazu kommen 150 spezialisierte Kriminalpolizisten im ganzen Land, "unsere Hände", sagt Richter. Wobei nicht viele Ermittler diesen Ehrgeiz und den fachlichen Hintergrund einbringen, den Hans Richter hat: Die Fluktuation gerade seiner jungen Mitarbeiter ist hoch, die Beamtengesetze, die viele Wechsel erfordern, machen ein konstantes Arbeiten zusätzlich schwierig.

Beim Verfahren gegen Härter, den ehemaligen Porsche-Finanzchef, haben mittlerweile beide Staatsanwälte gewechselt. Immer wieder kommt so eine Rochade vor, die ärgerlich für Abteilungsleiter Richter ist. Denn ein Wechsel bei den Anklägern kann solche Verfahren noch mehr in die Länge ziehen. Und lange Verfahren führen erfahrungsgemäß zu einem Bonus für den Angeklagten, also zu geringeren Strafen. "Das ist dann schon eine Niederlage, wenn Hochkriminelle mit Bewährungsstrafen davonkommen."

Auch deswegen hat Hans Richter seine Pensionierung hinausgezögert und wird auch die kommenden Jahre oft bis sieben oder acht Uhr abends an Wirtschaftskrimis sitzen: Mindestens bis September 2014 leitet er die Schwerpunktstaatsanwaltschaft weiter, vielleicht sogar noch ein Jahr länger. Bis dahin will er das EnBW-Verfahren abschließen, die Bankrott-Ermittlungen gegen Anton Schlecker und vielleicht auch das Verfahren gegen die Porsche-Zocker. "Um Gottes willen!", entfuhr es jüngst einem Strafverteidiger, als er davon erfuhr. Es klang, als sei der Mann gerade dem leibhaftigen Teufel begegnet.

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