Spitzensportler:Mein Kollege, der Olympiasieger

Spanien - Deutschland

Hart am Ball: Hockeyspieler Oskar Deecke tritt bei den Olympischen Spielen in Rio an. In seinem zweiten Leben ist er Trainee bei Thyssen-Krupp.

(Foto: Marcus Brandt/dpa)

Spitzensport und Büro-Alltag lassen sich selten vereinen. Trotzdem stellen Konzerne wie Thyssen-Krupp die Leistungsträger ein - aus gutem Grund.

Von Varinia Bernau, Essen

Neulich klingelte mitten in einer Besprechung sein Handy. Da war jemand von der Dopingkontrolle dran. Also musste Oskar Deecke zu einer Tankstelle in Solingen. Eine Urinprobe abgeben. Das war's dann mit der Besprechung.

In wenigen Tagen tritt der 30-Jährige mit der deutschen Hockeymannschaft bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro an. Vor vier Jahren haben sie Gold geholt. "In London auf dem Siegertreppchen zu stehen, das war der schönste Moment in meinem Leben", sagt Deecke. Aber auf dem Arbeitsmarkt, das hat er gemerkt, als er nach dem Studium die ersten Bewerbungen verschickt hat, nützt einem eine Goldmedaille dann doch ziemlich wenig. Denn Deeckes Alltag passt nicht so recht zu dem, was die meisten Unternehmen von ihren Mitarbeitern erwarten. Er hat keinen Lebenslauf, wie er überall gefordert wird: Keine Praktika, kein abgeschlossenes Studium mit 25 - und an Auslandsaufenthalten nur zwei Monate Indien, wo er in der dortigen Hockeyliga spielte.

Warum also tut sich ein Arbeitgeber das an? Vielleicht, weil es für einen Konzern wie Thyssen-Krupp, wo Deecke derzeit als Trainee in der Kommunikation arbeitet, schön ist, andere Nachrichten aus Brasilien zu erhalten als die von steigenden Kosten und Umweltschäden rund um das dortige Stahlwerk. Vor allem aber, weil Sportler wie Deecke Eigenschaften mitbringen, die ein Konzern, für den die Pannen in Brasilien doch nur das Symptom einer Krise sind, dringend braucht: Leistungsbereitschaft zum Beispiel. Disziplin und Durchhaltewillen. Und, ziemlich wichtig für den nötigen Kulturwandel: Teamerfahrung.

Organisation ist alles

Deeckes Kollegen schwärmen, wie umgänglich er sei. Wie verlässlich. Wie gut er Termine im Griff hat. Muss er auch, denn seine Tage sind durchgetaktet: Um halb sieben aufstehen, zwei Stunden in Köln trainieren, dann ins Büro nach Essen. Nachmittags um fünf wieder zum Training nach Köln. Auch an den Wochenenden wird trainiert. Wer sich an solch ein Programm halten will, der braucht Kollegen, die ihn unterstützen. Oskar Deecke sagt: "Ich sorge schon dafür, die Pakete, die ich dalasse, so klein wie möglich zu halten."

Ohne gute Organisation und ein verlässliches Team im Rücken, sagt auch Christian Zimmermann, wäre sein Traum von Olympia nicht möglich geworden. Er leitet die Kommunikationsagentur Uniplan mit 700 Mitarbeitern - und wird in Rio im Dressurreiten antreten. Als Chef, so könnte man meinen, kann Christian Zimmermann die Spielregeln im Unternehmen eher bestimmen als der Berufsanfänger Oskar Deecke. Andererseits hat er aber auch mehr Verantwortung. Der Kölner Unternehmer hat den Reitsport nach einer langen Pause im Alter von 44 Jahren wiederentdeckt, ihm genügt ein Platz unter den ersten 50. Und: Er geht für Palästina an den Start. "Wenn ich mit der Olympiateilnahme einen kleinen Teil dazu beitragen kann, der Region und allen Menschen dort mehr Gehör zu verschaffen, dann ist das bereits ein Erfolg."

Oskar Deecke hingegen will wieder Gold holen. Gelingt ihm das, bekommt er von der Deutschen Sporthilfe 20 000 Euro. Bei den Spielen vor vier Jahren waren es nur 15 000 Euro. Für eine Goldmedaille, erzählt Deecke, lege das Land Nordrhein-Westfalen noch mal 10 000 Euro drauf. Wenn's Silber wird, gibt es nichts aus der Landeskasse. In seiner Heimatstadt Hamburg gibt es für die Athleten im Kader der Nationalmannschaft eine monatliche Förderung von 450 Euro. Reich werden aber die wenigsten im Spitzensport. Die Deutsche Sporthilfe hat errechnet, dass die Athleten im Schnitt auf eine 60-Stunden-Woche kommen - bei gerade einmal 626 Euro im Monat, netto. Die meisten deutschen Spitzensportler sind deshalb in einer Fördergruppe der Bundeswehr. Etwa 750 sind es derzeit. Soldaten auf Zeit. Die Frage ist nur: Was kommt, wenn die Zeit der sportlichen Höchstleistung vorbei ist? 30 weitere Berufsjahre. Mindestens.

Wenn die berufliche Karriere beginnt, endet meist die sportliche

Die sportliche Karriere endet in einem Alter, in dem sie im Büro erst so richtig beginnt. Aber wer über Jahre hinweg hart trainiert, der findet kaum Zeit für all das, was für die berufliche Karriere so wichtig ist. Erfahrung im Job und, vermutlich noch wichtiger, Kontakte, die erst nach Feierabend geknüpft werden. Er trainiere mindestens 30 Stunden in der Woche, sagt Oskar Deecke. Nebenbei noch für Klausuren pauken oder Kunden bedienen - das ist ein Kraftakt, der nicht jedem Spitzensportler gelingt. Vor zwei Jahren hat die Deutsche Sporthilfe Athleten gefragt, warum sie ihre sportliche Karriere beenden. Die häufigste Antwort war mit Abstand vor Alter und Verletzungen: Weil sie sich auf Ausbildung oder Beruf konzentrieren wollten.

Etwa 10 000 der 60 000 Menschen, die Thyssen-Krupp in Deutschland beschäftigt, sind Ingenieure oder Führungskräfte. Talente, die nicht mehr so leicht zu finden sind. Auch deshalb unterstützt Thyssen-Krupp wie andere Konzerne Spitzensportler: Die Unternehmen lernen so, was in Zukunft, wenn sich immer weniger gut ausgebildete Menschen bewerben, auf sie zukommt: Wie schafft man es, Mitarbeiter zu motivieren? Wie viel Freiraum kann man ihnen geben - und wie die Arbeit drum herum organisieren?

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