Spekulation mit Nahrungsmitteln:Kampagnen gegen Fonds führen in die Irre

Viele Organisationen kritisieren Fonds, die in Agrarrohstoffe investieren, als "Spekulanten des Todes". Die Wissenschaft kann solche Vorwürfe allerdings nicht bestätigen: Studien haben ergeben, dass Indexfonds nach aktuellem Wissensstand nicht für Hungerkrisen verantwortlich gemacht werden können.

Ein Gastbeitrag von Thomas Glauben und Ingo Pies

Seit gut zwei Jahren wird in Deutschland eine öffentliche Auseinandersetzung über Agrarspekulation geführt. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen "Long-only"-Indexfonds, die Terminmarktgeschäfte mit Agrarrohstoffen betreiben. Die Zunahme solcher Geschäfte fiel in den vergangenen Jahren zeitlich zusammen mit einem Anstieg der Agrarpreise.

Einige Organisationen der Zivilgesellschaft kritisierten diese Indexfonds und ihre Betreiber daraufhin als "Hungermacher". Sogar von "Spekulanten des Todes" war die Rede. Im politischen Raum wurde die Forderung erhoben, diese Terminmarktgeschäfte der Indexfonds streng zu limitieren oder sogar ganz zu verbieten.

Allein schon der Begriff Spekulation entfaltet eine große Suggestivwirkung, die viele Bürger Schlimmes vermuten lässt. Diese Suggestivwirkung wurde verstärkt durch die Behauptung einiger Lobby-Gruppen, sie verfügten über "erdrückende Belege" zur Sozialschädlichkeit der fondsbasierten Terminmarktspekulation. Insbesondere wurde in der Öffentlichkeit immer wieder der Eindruck zu erwecken versucht, als könne man sich für solche Behauptungen auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen.

Die Einschätzung trifft in Fachkreisen auf Zustimmung

Das Gegenteil ist der Fall, wie unsere Studie zur umfassenden Auswertung der internationalen Forschungsliteratur zeigt (hier als PDF). Deren Grundtenor lautet: Die Wissenschaft kann die an die Indexfonds gerichteten Vorwürfe nicht bestätigen. Vielmehr gibt sie Entwarnung: Sowohl theoretisch als auch empirisch spricht wenig für - aber sehr viel gegen - die Befürchtung, dass Indexfonds das Niveau oder die Volatilität - das Auf und Ab - der Preise für Agrarrohstoffe erhöht haben. Der Alarm, Indexfonds seien für Hungerkrisen verantwortlich, muss nach dem gegenwärtigen - natürlich stets vorläufigen - Stand wissenschaftlicher Erkenntnis als Fehlalarm eingestuft werden.

Diese Einschätzung trifft in den einschlägigen Fachkreisen auf große Zustimmung. Weithin sichtbar wurde diese Zustimmung, als 40 Professoren, die in Forschung und Lehre mit diesen Fragen befasst sind, sich aus gegebenem Anlass in einem offenen Brief an Bundespräsident Gauck wandten, um dem Erkenntnisstand der Wissenschaft Beachtung zu verschaffen (PDF).

Dass sich das Urteil der Wissenschaftler durchzusetzen beginnt, zeigt auch das sehr sachkundige Eckpunktepapier des Landwirtschaftsministeriums, das dem Alarmismus um Indexfonds eine klare Absage erteilt. Man sieht: Die Botschaft ist angekommen.

Aber (noch) nicht bei allen: Die Kampagne gegen Terminmarktgeschäfte von Indexfonds läuft immer noch, und sie arbeitet weiterhin mit zahlreichen Falschinformationen, die geeignet sind, Bürger rein emotional anzusprechen und inhaltlich in die Irre zu führen. Formulierungen wie "Mit Essen spielt man nicht!" (PDF) erwecken gezielt den Eindruck, als würden die kritisierten Indexfonds die physischen Mengen von Angebot und Nachfrage verändern, die auf dem Kassamarkt den Preis bestimmen.

In Wirklichkeit aber sind Indexfonds auf diesem Kassamarkt gar nicht aktiv. Sie engagieren sich ausschließlich auf dem Terminmarkt. Hier ermöglichen sie, dass Landwirte sich gegen Preisrisiken absichern können. Daran ist nichts Unanständiges: Terminmärkte sind Versicherungsmärkte. Dort werden nicht Lebensmittel gehandelt, sondern Preisrisiken. Indexfonds operieren hier im Modus institutionalisierter Solidarität.

Für viele Vorwürfe gibt es keine Anhaltspunkte

Aber nicht nur die plakativen Slogans der Öffentlichkeitskampagne sind irreführend. Irreführend, weil nicht sachgerecht, sind auch zahlreiche der Aussagen, die die Kampagne begründen und begleiten. Die folgenden vier Beispiele sind symptomatisch:

- In seiner Broschüre für Misereor kennzeichnet Dirk Müller die Tätigkeit der Indexfonds als virtuelles Horten. Zugleich spricht er ihnen ab, eine volkswirtschaftlich nützliche Funktion zu erfüllen (PDF).

- In seiner Studie für die Welthungerhilfe behauptet Hans-Heinrich Bass, dass Indexfonds dem Terminmarkt Liquidität entziehen (PDF).

- Foodwatch-Chef Thilo Bode übernimmt die These vom Liquiditätsentzug und schließt daraus, dass Indexfonds die Versicherungsfunktion des Terminmarkts einschränken.

- Der ehemalige UNCTAD-Ökonom Heiner Flassbeck erklärt Indexfonds sogar zur Hauptursache der in den vergangenen Jahren zu beobachtenden Hungerkrisen (PDF).

Hierzu sind folgende Klarstellungen angebracht: "Long-only"-Indexfonds sind keine aktiven Trendsetter. Vielmehr verhalten sie sich passiv und zeichnen mit ihrem Portfolio lediglich den Markttrend nach. Hierbei verfolgen sie eine Handelsstrategie, die billiger gewordene Anlagen zukauft und teurer gewordene Anlagen verkauft. Dies trägt tendenziell zur Preisstabilisierung bei und versorgt den Markt auch in schwierigen Zeiten mit Liquidität, wenn traditionelle Marktteilnehmer eher zurückhaltend sind, Preisrisiken zu übernehmen. Indexfonds stärken also die Versicherungsfunktion des Terminmarkts und verbessern damit zugleich die volkswirtschaftliche Risikoallokation.

Auch für den Vorwurf, hier handele es sich um virtuelles Horten - um eine künstlich angeheizte Nachfrage, die dem Kassamarkt physische Gütermengen entzieht -, gibt es weder in theoretischer noch in empirischer Hinsicht belastbare Anhaltspunkte. Dies gilt insbesondere auch für die Behauptung, Indexfonds trügen Schuld oder gar die Hauptschuld für den Hunger in der Welt. Sie hat den Mainstream der internationalen Forschung nicht für sich, sondern gegen sich.

Was ist jetzt zu tun?

Dass die Forschung zentralen Aussagen der Kampagne diametral widerspricht, hat nicht nur viele Bürger, sondern auch zahlreiche Journalisten und Politiker überrascht und nachdenklich gestimmt. Die Intervention der Wissenschaftler hat hier bereits Wirkung gezeigt. Jetzt kommt es darauf an, für die Zukunft die richtigen Weichen zu stellen. Dabei können die folgenden Fragen helfen:

Wie konnte es dazu kommen, dass zivilgesellschaftliche Organisationen eine Gemeinschaftskampagne starten, die auf falschen Vorwürfen basiert? Welche qualitätssichernden Vorsichtsmaßnahmen wurden hier außer Acht gelassen? Welche Vorkehrungen sind nun zu treffen, damit die zivilgesellschaftlichen Organisationen möglichst unbeschadet aus der Glaubwürdigkeitskrise herausfinden, in die sie sich mit dieser verunglückten Kampagne hineinmanövriert haben?

Warum werden nicht verstärkt die wahren Ursachen für Hunger und Armut adressiert, um endlich - gemeinsam! - solche Politikoptionen ins Blickfeld zu rücken, die wirklich helfen würden?

Thomas Glauben ist Direktor des Leibniz-Forschungsinstituts für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO), Ingo Pies hat einen Lehrstuhl für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Das ausführliche Diskussionspapier der Autoren finden Sie hier.

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