SPD:Arbeit, Arbeit, Arbeit

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Die Digitalisierung plus die Nöte Angela Merkels bedeuten für die Partei eine Riesenchance: Sie kann sich als Partei der Arbeit neu erfinden. Sie muss es sogar.

Von Cerstin Gammelin

In seinem Buch über "Men Without Work" (Männer ohne Arbeit) nimmt sich der amerikanische Polit-Ökonom Nicholas Eberstadt ein Phänomen vor, das SPD-Chef Martin Schulz als Raubtierkapitalismus geißelt. Unternehmen steigern ihre Gewinne, aber die Zahl ihrer Beschäftigten fällt. Sie werden effizienter, aber immer weniger Erwerbsfähige profitieren davon. Eberstadt beschreibt das als "Kollaps der Arbeit im zweiten goldenen Zeitalter". So, wie einst hydraulische Maschinen die Handarbeit ersetzt haben, machen heute Roboter, Algorithmen und künstliche Intelligenz ganze Berufsgruppen überflüssig. Dass Schulz dies hart angeht, ist logisch. Der Umbruch in der Arbeitswelt bedroht keine Partei so existenziell wie die SPD, die traditionelle Partei der Arbeit und Arbeiter, die jetzt zu entscheiden hat, ob sie weiter mitregieren will. Trotz der Umstände oder auch deswegen.

Die SPD steht vor einer doppelten Herausforderung, deren Bewältigung nicht schiefgehen darf. Sie spürt die staatspolitische Verantwortung auf den Schultern - sowie im Herzen den Wunsch, nicht mehr als Juniorpartner Merkels in eine große Koalition gehen zu müssen. Außerdem muss sie eine ganz praktische Frage beantworten: Ist es angesichts des anstehenden Umbruchs in der Arbeitswelt besser, in der Regierung den Wandel mitzugestalten, der die Stammklientel betrifft, nämlich die Arbeitnehmer? Oder ist es klüger, sich in die Opposition zu begeben, um in Ruhe über Antworten auf den Umbruch nachzudenken und dabei das sozialpolitische Profil so zu schärfen, dass nach der nächsten Wahl eine linke Regierung möglich wird?

Die Digitalisierung plus die Nöte Angela Merkels bedeuten für die Partei eine Riesenchance: Sie kann sich als Partei der Arbeit neu erfinden. Sie muss es sogar

Die Sozialdemokraten haben sich Zeit erbeten, um abzuwägen. Das ist legitim. Klug wäre es, sich auch die Entwicklungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt anzuschauen. Der Technologiekonzern Siemens baut sich um und streicht Zigtausende Arbeitsplätze. Deutsche-Bank-Chef John Cryan hält die Hälfte seiner 97 000 Mitarbeiter für ersetzbar durch Roboter, auch Elektroautos sollen vollautomatisch hergestellt werden. Die Beispiele lassen die Größe der Aufgabe erahnen, vor der die nächste Bundesregierung stehen wird. Im Exportweltmeisterland halten Roboter und Algorithmen Einzug, es werden massenhaft traditionelle Arbeitsplätze wegbrechen, und mit ihnen Steuereinnahmen sowie die Abgaben für die Sozialversicherung. Es beginnt ein Prozess, der radikale Veränderungen bringt - und politisch gestaltet werden muss.

Interessant ist, dass selbst die als Verfechter linker Gerechtigkeitsideen unverdächtigen Berater von McKinsey vor Untätigkeit der Politik warnen. Nicht, weil bis 2030 weltweit bis zu 800 Millionen Jobs verloren gehen werden. Sondern weil die neuen Jobs ganz andere sein werden, vor allem, was Löhne und Qualifikation betrifft. Unbefristete Anstellungen wird es kaum noch geben, befristet Angestellte aber treten nur selten den Gewerkschaften bei, wodurch auch Tariflöhne zu einer Seltenheit werden dürften. Die Menschen müssen bis ins höhere Alter bereit sein, sich zu verändern.

Wenn allerdings die Bundestagswahl eines gelehrt hat, dann das: Menschen scheuen Veränderungen. Der Umbruch in der Arbeitswelt weckt Urängste. Bekanntes fällt weg, Neues wird gebraucht. Wer nicht veränderungswillig und -fähig ist, bleibt zurück. Es ist eine Botschaft, die vielen Menschen nicht gefallen kann. Warum also sollte die SPD sie überbringen und damit riskieren, auch das letzte Fünftel der Wählerschaft zu verlieren?

Noch dazu ausgerechnet in einer Zeit, in der es Deutschland so gut geht wie nie; in der so viele Menschen einen Job haben wie nie - und in der es schwerfällt, die dramatischen Veränderungen in der Arbeitswelt abzusehen, da Unternehmen gleichzeitig beklagen, keine Arbeitskräfte zu finden. Die Konjunktur brummt, die Bürger kaufen, und die Kassen bei Bund und Ländern laufen über. Der Finanzminister schreibt nicht nur schwarze Nullen, sondern hortet Überschüsse.

Auch die SPD ist, trotz des bescheidenen Wahlergebnisses, gerade in einer sehr komfortablen Lage. Sie wird nach den gescheiterten Sondierungen für ein schwarz-gelb-grünes Bündnis dringend zum Regieren gebraucht. Ohne sie bliebe Merkel nur die Führung einer Minderheitsregierung, was ihrer bisherigen Art des Regierens allerdings komplett widerspräche.

Nimmt man beides zusammen, den Wandel in der Arbeitswelt und das heftige Gebrauchtwerden zum Regieren, steht die SPD vor der Riesenchance, sich als Partei der Arbeit ganz neu definieren zu können. Wenn sie klug ist, stellt sie der Union harte Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung, die allerdings nicht simpel gleichmacherisch sein dürfen (wie die Forderung nach einer Bürgerversicherung), sondern die darauf abzielen, die Kompetenz der Sozialdemokratie dort zu verstärken, wo sie schon jetzt unerreichbar ist. Die SPD muss die Arbeit in den Vordergrund stellen.

In den vergangenen vier Jahren der großen Koalition hat die SPD gezeigt, wie klug sie auf Herausforderungen reagieren kann, die mit dem Wandel in der Arbeitswelt verbunden sind. Sie hat den Mindestlohn durchgesetzt und für das Recht gestritten, aus Teilzeit in Vollzeit zurückkehren zu können. Sie hat durchgesetzt, dass Frauen auf gleiche Bezahlung wie Männer pochen oder per Quote in Führungspositionen aufsteigen können. Durchdacht ist in dieser Hinsicht auch das Wahlprogramm. Darin verankert ist die Forderung nach paritätischer Finanzierung der Sozialversicherungen, nach umfassender Bildung und einem gerechten Steuersystem. Wenn es um Gerechtigkeit und um die Gestaltung der Arbeitswelt geht, liegt die Kompetenz bei der SPD. Das Problem ist nur, dass sie es nicht schafft, diese Erfolge ihrer Wählerschaft zu vermitteln - weil sie sich darauf verlegt hat, stattdessen darüber zu lamentieren, was alles nicht möglich war.

Was spricht also dagegen, dass die SPD mit einem Arbeitsmarkt-Katalog in die Verhandlungen mit der Union geht? Sie kann mindestens verlangen, ihr Wahlprogramm umzusetzen. Gelingt das, ist ein Riesenschritt hin zur Erneuerung als Partei der Arbeit getan.

© SZ vom 02.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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