Sparkassentag:Komfortables Problem

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Auf 100 Jugendliche kommen statistisch gesehen 104 Ausbildungsplätze, eigentlich eine ziemlich komfortable Lage. Doch viele Lehrstellen bleiben unbesetzt.

Von Hannes Vollmuth, Berlin

Eigentlich ist es eine gute Nachricht: Die Chancen auf einen Ausbildungsplatz sind so groß wie selten zuvor. So urteilt zumindest Bundesbildungsministerium Johanna Wanka (CDU) über den Berufsbildungsbericht 2016. Rechnerisch kämen auf 100 Jugendliche gut 104 Ausbildungsplätze, sagte die Bildungsministerin in Berlin. "Das war in den letzten 20 Jahre nie so der Fall." Schön für die Bewerber, schlecht für die Unternehmen. Denn ein Problem sind nach wie vor die offen gebliebenen Ausbildungsstellen.

Komfortabel ist die Lage für junge Menschen deshalb, weil die Zahl der Ausbildungsstellen zwar um neun Prozent zurückgegangen ist, gleichzeitig die der Interessenten aber um 22 Prozent rückläufig war. Bildungsforscher führen für den Rückgang der Bewerber zwei Gründe an: Die Zahl der Schulabgänger nimmt wegen des Geburtsrückgangs stetig ab und immer mehr junge Menschen gehen zunächst studieren statt arbeiten.

Für Jugendliche, die sich trotzdem für eine Ausbildung entscheiden, ist diese Entwicklung positiv - so die Rechnung der Bildungsministerin. Wenige Bewerber stehen vielen Stellen gegenüber. Die Situation für einen Jugendlichen mit Ausbildungswunsch hat sich also verbessert.

Negativ ist jedoch: 41 000 Ausbildungsstellen blieben 2015 unbesetzt, gut zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor. Gleichzeitig waren 20 700 Bewerber "unversorgt", sie fanden also keinen Ausbildungsvertrag. "Angebot und Nachfrage haut nicht hin", sagte die Bildungsministerin, die von "Passungsproblemen" sprach.

Passungsprobleme bezeichnen die Schwierigkeit, wenn die Lehrstelle der Betriebe und die Vorstellungen oder Qualifikation der Jugendliche nicht zusammenpassen. Die Passungsprobleme könnten sich in den nächsten Jahren sogar noch verschärfen, weil sich auch die Berufswelt verändert, zum Beispiel immer vernetzter und digitaler wird.

Junge Menschen sollen deshalb frühzeitig auf eine mögliche Ausbildung vorbereiten. Die Berufsfindung müsse "frühzeitig, individuell und präventiv" stattfinden. Bereits jetzt gehen Berufsexperten mehrere Tage in Schulen und besuchen siebte und achte Klassen. Aber auch Unternehmen sollen ihren Anteil leisten, damit ihre Ausbildung zu den Wünschen, Vorstellungen und dem Können der Jugendlichen passt.

Keine gute Nachricht ist auch, dass immer weniger Betriebe überhaupt ausbilden. 2009 waren es noch 25 Prozent aller Betriebe, inzwischen sind es nur noch jeder fünfte. Verantwortlich für den Rückgang sind vor allem die kleinen und ganz kleinen Betriebe, deren Ausbildungsstellen oft gar nicht bekannt sind. 43 Prozent der Betriebe gaben in einer Umfrage des Bundesinstituts für Berufsbildung (BiBB) aber auch an, gar keinen Bedarf an selbst ausgebildeten Nachwuchs zu haben.

Eine Branche, die sich bereits zu mehr Ausbildungsplätzen verpflichtet hat, ist aber das Handwerk. 10 000 junge Flüchtlinge sollen dort unterkommen. "Viele handwerklichen Berufe sind vielleicht bei den Flüchtlingen noch mit einer Vorstellung aus dem Heimatland verbunden", sagte Bildungsministerium.

Noch befinden sich viele junge Flüchtlinge aber im sogenannten Übergangssystem. So werden Maßnahmen und Programme bezeichnet, in denen Jugendliche für ihre Ausbildung fit gemacht werden sollen, in der Vergangenheit aber vor allem als Warteraum verschrien waren. Zehn Jahre sanken dort die Zahlen, bis es 2015 erstmals wieder zu einem Anstieg auf 271 000 kam. "Das ist eine erste Auswirkung der Flüchtlingssituation", sagte Wanka. Aber eigentlich sei es für diese Jugendliche auch der geeignete Ort.

Den Optimismus der Bildungsministerin können nicht alle teilen. Mehrere Verbände äußerten sich auch besorgt. "Der Trend zum Studium und die sinkende Zahl an Schulabgängern werden für die Fachkräftesicherung der Betriebe zunehmend zum Problem", sagte Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Drecks wollte aber keine müßige Zahlendebatten führen, wie er sagte. Er hat auch gute Nachrichten: Gut 75 Prozent der Hauptschüler würden schon eine betriebliche Ausbildung beginnen. "Tendenz steigend!"

© SZ vom 28.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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