Sparen auf Kosten der Gründerkultur:Es war einmal die Ich-AG

Studentinnen beim Hochschulsport, 2005

Kollektives Schwitzen: Viele Fitness-Trainer bekommen keinen Gründungszuschuss.

(Foto: Robert Haas)

Der Gründungszuschuss verhalf vielen Arbeitslosen zur Selbstständigkeit und galt als effektivstes Instrument der Arbeitsagenturen. Bis Arbeitsministerin von der Leyen den Etat massiv zusammenstrich. Immer mehr Antragsteller gehen nun leer aus. Gute Ideen bleiben auf der Strecke.

Von Malte Conradi

Wochenlang hatte sie sich vorbereitet, an ihrem Business-Plan getüftelt, mögliche Kunden befragt und sich auf unangenehme Fragen eingestellt. Schließlich wollte sie nicht nur erfolgreich in ihr Leben als selbständige Fitness-Trainerin starten. Die 24-Jährige musste erst ihren Berater bei der Arbeitsagentur überzeugen. Und dann das: "Er sagte mir, ich hätte keine Chance auf einen Gründungszuschuss." Nicht einmal ein Antragsformular konnte die junge Frau ergattern. Dabei ist sie auf die Hilfe vom Amt angewiesen, denn als Arbeitslose konnte sie kein Startkapital ansparen. Also kämpft sie weiter, notfalls auch vor Gericht. Weil sie ihre Chancen nicht noch weiter verschlechtern will, möchte sie ihren Namen nicht nennen.

Noch vor einem Jahr wäre all der Ärger nicht nötig gewesen. Solange sie ein paar Voraussetzungen erfüllten, hatten Arbeitslose damals einen Rechtsanspruch auf den Gründungszuschuss. Der sollte die Startschwierigkeiten, die jede Existenzgründung mit sich bringt, abfedern, den Lebensunterhalt sichern und Liquidität sicherstellen. Bis zu 15.000 Euro gestreckt über neun Monate konnten Gründer erhalten.

Experten nannten den Gründungszuschuss "das effektivste Instrument der Arbeitsagenturen" und sie konnten beeindruckende Zahlen herunterbeten: Laut einer Studie waren nur fünf Prozent der Geförderten nach 18 Monaten wieder arbeitslos, jeder Dritte hatte mindestens einen Angestellten und sie verdienten mehr Geld als durchschnittliche Angestellte.

Doch dann entschied die Politik im vergangenen Dezember, dass nun genug gefördert sei. Immer mehr Arbeitslose fanden eine Anstellung, für Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) eine günstige Gelegenheit zum Sparen: Von rund 1,9 Milliarden Euro strich sie den Etat für den Gründungszuschuss auf nur noch 450 Millionen Euro zusammen.

Willkürliche Entscheidungen

Um diese Einsparung möglich zu machen, erklärte sie die frühere Pflichtleistung zu einer Ermessensleistung. Fortan sollten die Berater in den Arbeitsagenturen von Fall zu Fall entscheiden, ob ein Gründungszuschuss gewährt werden solle oder nicht. Nach welchen Kriterien sie diese Entscheidung eigentlich treffen sollten, sagte die Bundesarbeitsministerin den Beratern nicht. Klar war nur, dass sie viele Antragsteller ohne Geld nach Hause schicken sollten.

Genau ein Jahr ist das alles nun her, Zeit also für eine Bilanz. "Es ist nicht auszuschließen, dass manche Entscheidung bei der Vergabe willkürlich getroffen wird", sagt Alexander Kritikos, Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und enger Beobachter des Förderinstruments. Es gebe Hinweise darauf, dass in manchen Agenturen der Gründungszuschuss grundsätzlich nicht mehr vergeben wird. Ein paar Kilometer weiter kann es schon ganz anders aussehen, je nach Meinung des Agenturchefs. So wird die Förderung zu einer Lotterie.

Existenzgründung aus Not

In der ersten Hälfte des Jahres sei die Vergabequote dramatisch zurückgegangen, sagt Kritikos. "In den ersten Monaten sah es noch schlimmer aus als befürchtet." Wohl aus Unsicherheit bewilligten die Agenturmitarbeiter den Gründungszuschuss so selten, dass man - aufs Jahr hochgerechnet - mit nur 20.000 Geförderten rechnen durfte. In den Jahren zuvor hatten den Gründungszuschuss bis zu 180.000 Arbeitslose im Jahr in Anspruch genommen. 2011, im letzten Jahr vor der Reform, waren es 130.000. "In den vergangenen Monaten hat sich die Lage etwas entspannt", berichtet Kritikos. Das Budget, das für etwa 50 000 Förderungen ausreichen würde, werde aber trotzdem nicht ausgeschöpft. Viele gute Geschäftsideen bleiben wohl ohne Not auf der Strecke.

Für den Ökonomen Kritikos geht es dabei um mehr als um Einzelschicksale: "Der Gründungszuschuss und sein Vorgänger, die Ich-AG, hatten einen positiven Effekt auf die Gründungskultur im Lande." Der sei nun erst einmal dahin. Auch wenn es sich nicht beweisen lässt - dass in Deutschland insgesamt immer weniger Unternehmen gegründet werden, hat neben dem guten Arbeitsmarkt sicherlich auch mit der Beschneidung des Gründungszuschusses zu tun.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) geht fürs laufende Jahr von weniger als 400.000 Neugründungen aus, das wäre der niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung. Vor acht Jahren etwa gab es noch fast 600.000 Existenzgründungen. "Wir dürfen diese jüngst entstandene Gründungskultur nicht aufs Spiel setzen", fordert Kritikos. "Auf Dauer würde unsere Wirtschaft ohne den Konkurrenzdruck und die Innovationsfreude von Gründern verkrusten."

Der DIW-Forscher glaubt nicht einmal daran, dass mit der Reform viel Geld gespart wird. Viele Menschen blieben ohne den Zuschuss länger arbeitslos - oder gründeten ihr Unternehmen eben mithilfe des Arbeitslosengeldes. Dafür ist es eigentlich nicht vorgesehen.

Nicht abschrecken lassen

Für eine rege Gründerkultur ist man naturgemäß auch beim Industrie- und Handelskammertag. Doch dem Gründungszuschuss in seiner alten Form weint man dort keine Träne nach. Zwar seien zwischen Januar und September 2012 rund 82 Prozent weniger Arbeitslose mithilfe des Gründungszuschusses in die Selbständigkeit gestartet als im Jahr zuvor, doch seien die Neugründungen insgesamt nur um etwa acht Prozent zurückgegangen, rechnet DIHK-Gründungsexperte Marc Evers vor. "Die Zahlen zeigen, dass die meisten Arbeitslosen sich nicht abhalten lassen, eine gute Idee in die Tat umzusetzen."

Auf der Strecke bleiben nach Ansicht des DIHK durch die Reform in erster Linie solche Gründer, die schlecht vorbereitet in die Selbständigkeit starten würden. "Wer gut ist, kommt auch heute durch", sagt Evers. Die Erfahrung zeige, dass mehr als die Hälfte der Arbeitslosen, die sich bei den regionalen Industrie- und Handelskammern beraten lassen, nicht einmal ein Alleinstellungsmerkmal für ihr zukünftiges Unternehmen nennen könnten. "In Deutschland ist zu oft die Not der Treiber für die Existenzgründung."

Eine große Veränderung brachte die Reform für die Arbeit von Andreas Lutz. Sah der Gründungsberater seine Hauptaufgabe früher darin, Gründungswillige betriebswirtschaftlich zu beraten, geht es heute hauptsächlich darum, sie durch das Antragsverfahren für den Gründungszuschuss zu schleusen. "Wer die Voraussetzungen erfüllt und alles richtig macht, bekommt den Zuschuss immer noch in jedem Fall", verspricht er. Zwar würden die Arbeitsagenturen erst einmal jeden Antragsteller abweisen, um die Zahlen niedrig zu halten. "Wer sich davon aber nicht abschrecken lässt, kommt durch", sagt Lutz.

Das Schlimme an der Sache sei, dass viele sich von der ersten Ablehnung entmutigen ließen. "Als ich mich selbständig machte, war es so bewegend und motivierend, dass jemand mit Autorität sagte, wir finden deine Idee gut und unterstützen dich."

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