Spanien:Verbindung ins Abseits

Spanien hat viele Milliarden Euro in den Ausbau seines Schienennetzes investiert. Doch nun muss die Bahngesellschaft Renfe drastisch sparen: Schnellstrecken sind unrentabel, Bahnhöfe überdimensioniert.

Von Thomas Urban, Madrid

Er ist der Stolz des ganzen Landes, der AVE. Die Abkürzung steht für "Spanische Hochgeschwindigkeit", gemeint ist der Superschnellzug, der im Routinebetrieb 310 Stundenkilometer erreichen darf. Rund 3300 Kilometer ist das Streckennetz lang, das längste in Europa, das zweitlängste in der Welt nach China. Der AVE wurde zum Symbol für den Anschluss Spaniens an die europäische Moderne. Er hatte seinen Anteil an dem großen Wirtschaftsboom, der kurz vor der Jahrtausendwende einsetzte, und auch am Platzen der Immobilienblase, die ihn vor neun Jahren schmerzhaft und abrupt beendete.

In diesem Jahr wird der AVE 25 Jahre alt, viele Streckenabschnitte durch die zahlreichen Bergketten im Lande sind ingenieurtechnische Meisterleistungen. Er ist durchaus eine Erfolgsgeschichte, zumindest verkehrspolitisch: Er ist nicht nur das schnellste, sondern auch das sicherste Verkehrsmittel auf der iberischen Halbinsel, gänzlich unfallfrei. Der vor drei Jahren bei Santiago de Compostela entgleiste Express war kein AVE, bei dem Eisenbahnunglück hatten 80 Fahrgäste den Tod gefunden. Aber finanziell wurde der AVE nicht zum Renner, sondern verhagelte den Managern der staatlichen Eisenbahngesellschaft Renfe regelmäßig die Bilanzen, er fuhr Riesendefizite ein. Ausgerechnet in seinem Jubiläumsjahr hat deshalb das Ministerium für öffentlichen Aufträge, das für große Infrastrukturprojekte zuständig ist, nun hart auf die Bremse getreten: Die Mittel für den AVE werden drastisch zusammengestrichen, begonnene Projekte werden zwar noch vollendet, aber dann wird das Streckennetzes vorläufig nur noch sehr langsam erweitert.

Bei der Vergabe vieler Bauaufträge sind Riesensummen an Schmiergeld geflossen

In Zahlen ausgedrückt: Die Zuschüsse für Erhaltung und Ausbau des gesamten Schienennetzes, für Neuanschaffung und Betrieb der Züge werden um rund ein Viertel gekürzt, von rund 4,3 auf 3,1 Milliarden Euro. Es ist ein Rückschlag für die Verfechter des AVE, der im letzten Vierteljahrhundert das Lieblingskind der Verkehrspolitiker war, neben den Autobahnen, nicht zuletzt, weil es dafür auch Milliarden aus Brüssel gab. Wie man heute weiß, sind nicht nur bei der Vergabe vieler Bauaufträge Riesensummen an Schmiergeld geflossen, sondern teilweise auch Phantasiesummen für die angekauften Grundstücke sowie die ausgeführten Arbeiten in Rechnung gestellt worden, nicht zuletzt im Hinblick auf die Zuschüsse aus dem Strukturfonds der EU. Auch haben sich die meisten Prognosen über Verkehrs- und Passagieraufkommen für die meisten Strecken als völlig überzogen erwiesen.

Den Anfang machte 1992 die Strecke von Madrid in die andalusische Metropole Sevilla, die in dem Jahr Schauplatz der Weltausstellung war. Der damalige Premierminister Felipe González wollte seiner Heimatregion damit auch ein großes Geschenk machen. Die 471 Kilometer lange Strecke mit Dutzenden Tunneln und Brücken durch schwieriges Mittelgebirge legt der AVE heute in unschlagbaren zweieinhalb Stunden zurück. Genauso lange braucht er bei der schnellsten Verbindung in die katalanische Hauptstadt Barcelona, obwohl diese 150 Kilometer länger ist; das deutlich günstigere Gelände erlaubt hier, die Geschwindigkeit von 300 km/h immer wieder zu überschreiten. Hier lassen die Fahrgäste auch die Flugzeugpassagiere hinter sich, denn mit dem AVE kommen sie deutlich schneller von einem Stadtzentrum zum anderen, vom Komfort ganz zu schweigen.

Doch nur diese beiden Rennstrecken sind ausgelastet und rentabel, während auf allen anderen Strecken, die strahlenförmig von Madrid ausgehen, rote Zahlen geschrieben werden. Zu den Kosten sind noch die riesigen neuen Bahnhöfen zu rechnen, die an allen Strecken gebaut werden mussten. Denn die Hochgeschwindigkeitstrassen führen nicht durch die Innenstädte, wo die alten Bahnhöfe stehen. Riesige supermoderne Bahnhofsanlagen für viele Millionen Euro sind im ganzen Land entstanden, wahre "Eisenbahnkathedralen", wie manche Kommentatoren spotteten, wohl an den meisten Orten völlig überdimensioniert für die Zahl der Passagiere.

Industrie- und Tourismusgebiete am Mittelmeer wurden von den Planern vernachlässigt

Als nicht besonders vorausschauend erwies sich auch das verkehrspolitische Konzept, dass alle Wege nach Madrid führen. Es wurden Milliarden in den dünn besiedelten Regionen im Norden und Südwesten des Landes verbaut, aber die neuen Trassen waren nicht in ein schlüssiges Konzept zur regionalen Wirtschaftsförderung eingebunden, so dass von ihnen nur geringe Impulse für einen Strukturwandel in diesen Provinzen ausgingen.

Dagegen wurden die Industrie- und Tourismusregionen am Mittelmeer vernachlässigt, sie wurden nicht durch eine AVE-Trasse verbunden. Immerhin soll eine begonnene Strecke durch die Region Valencia über Murcia bis hinunter nach Almería an der Südostecke des Landes fertiggestellt werden, ebenso wie die Anbindung des Touristenmagneten Granada. Doch die Katalanen in der Nordostecke des Landes sehen sich bei den strategischen Planungen benachteiligt. Die fehlenden Investitionen in der wirtschaftsstarken Region wurden sogar zum Argument der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung; deren Verfechter meinen, Madrid bremse sie bewusst, ohne Madrid stünden die Katalanen auch wirtschaftlich viel besser da.

Für die spanischen Firmen, die sich auf Trassenbau und die Konstruktion von Hochgeschwindigkeitszügen spezialisiert sind, kam die Entscheidung nicht überraschend. Man hat vorgesorgt und, neue Märkte erschlossen: einige der ehemaligen Sowjetrepubliken, das ehemalige Jugoslawien, Nord- und Lateinamerika. Sogar in Frankreich und in Deutschland haben die Spanier die einheimischen Konzernen manch einen Auftrag abgejagt.

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