Spanien:Tödliche Zwangsräumungen

Jede Woche lassen spanische Banken 1000 Immobilien räumen. Deren Besitzer können die Kredite nicht mehr bedienen. Nun nahmen sich zwei von ihnen das Leben. Die Regierung stoppte die Vollstreckungen - das Problem löst das aber nicht.

Thomas Urban, Madrid

Spanien: Polizisten vor einer Madrider Wohnung: Oft stellen sich ihnen wütende Bürger entgegen.

Polizisten vor einer Madrider Wohnung: Oft stellen sich ihnen wütende Bürger entgegen.

(Foto: Arturo Rodriguez/AP)

Zwei spektakuläre Fälle von Selbstmord haben die spanische Regierung nun nach langen Monaten des Abwartens zum Handeln gezwungen: Eine Mutter von drei kleinen Kindern stürzte sich vom Balkon aus dem vierten Stock, als sie ihre Wohnung räumen sollte. Im zweiten Fall erhängte sich ein Rentner, als der Gerichtsvollzieher vor der Tür stand. Die Zwangsräumungen von Eigentumswohnungen, deren Kredite nicht mehr bedient werden, sind ein zentrales Thema der Proteste gegen das rigorose Sparprogramm der konservativen Regierung unter Mariano Rajoy. Wegen der Selbstmorde hat Rajoy die Vollstreckungen nun gestoppt.

Seit dem Platzen der Immobilienblase vor fünf Jahren haben fast 400.000 Eigentümer ihre Wohnungen verloren - und dazu meist den Rest ihres Privatvermögens. Denn das spanische Hypothekenrecht sieht vor, dass ein Kredit nicht nur mit der Immobilie abgesichert wird, sondern auch mit dem sonstigen Eigentum des Käufers. Da die meisten Häuser, Ladenlokale und Wohnungen aber mit dem Zusammenbruch des Marktes zwischen einem Drittel und der Hälfte ihres Wertes verloren haben, halten sich die Banken seitdem an dem sonstigen Besitz der Käufer schadlos.

Aber es ist nicht nur dieses Gesetzeswerk, das die Banken gleich doppelt begünstigt und ihnen jedes Marktrisiko abnimmt. Was für die große öffentliche Empörung sorgt, ist die Tatsache, dass an den Managern der Banken die Krise weitgehend vorübergeht: Ihre Geldhäuser werden aus dem Madrider Steuertopf sowie aus europäischen Mitteln mit Milliardensummen gestützt, die Manager behalten auf diese Weise nicht nur ihre überdimensionierten Gehälter, sondern streichen auch weiter ihre Boni ein.

Vor allem aber haben fast alle Banken mit aggressiven Werbekampagnen den Bauboom angeheizt, nicht zuletzt, weil die Höhe der Erfolgsprämien der Manager von der Zahl der Kreditverträge abhing. Wie auch beim Immobilienboom in den USA wurde der Verzicht auf eine gründliche Bonitätsprüfung zum Regelfall. Mitunter bekamen Kreditnehmer sogar Prämien mitsamt Glückwunschschreiben, da der Wert der Immobilie angeblich wieder kräftig gestiegen war. Ehemalige Hausbesitzer berichten, sie hätten von ihrer Bank mit dieser Begründung Kurzreisen nach New York und zu anderen attraktiven Zielen geschenkt bekommen.

Hochburg der Korruption

Den Rahmen für die verführerischen Kampagnen der Banken hatte die konservative Regierung unter José Maria Aznar abgesteckt, der von 1996 bis 2004 im Amt war. Aznar sah große Infrastrukturprojekte und die Förderung des Eigenheimbaus als geeigneten Weg, um aus der Rezession zu kommen. Das Konzept schien auch aufzugehen: Es sprudelten Milliarden aus Brüssel für öffentliche Projekte in die spanische Baubranche, Kredite für Eigenheime wurden steuerlich begünstigt. Die Bauwirtschaft wurde so zum wichtigsten Zweig der Volkswirtschaft - und zur Hochburg der Korruption.

Doch Aznar unternahm nichts, um die überhitzte Baukonjunktur zu bremsen. Er lud das Thema sogar noch patriotisch auf: Es sei nicht einzusehen, dass nur vermögende Ausländer in den schönsten Gegenden Spaniens bauten. So wurde fast der gesamte Küstenstreifen am Mittelmeer mit Zweit- und Drittwohnungen spanischer Städter verschandelt - meist auf Pump. Doch Spanien wurde wegen seiner hervorragenden Wirtschaftszahlen nicht nur von der EU in Brüssel gelobt, sondern auch von der internationalen Wirtschaftspresse.

So verwundert es nicht, dass Experten, die vor dieser einseitigen Ausrichtung der Volkswirtschaft warnten, weitgehend ungehört blieben. In einer Studie der Nationalbank von 2003 hieß es, dass Immobilien bereits zwei Drittel des gesamten Privatbesitzes der Spanier ausmachten. Diese Werteverteilung sei extrem konjunkturabhängig und somit gefährlich. Der Wunsch, eigene vier Wände zu besitzen, hat in Spanien Tradition. Auf dem Höhepunkt des Booms besaßen 86 Prozent der spanischen Familien eine eigene Immobilie, fast doppelt so viel wie in Deutschland.

1,3 Millionen leerstehende Wohnungen

Als Aznar 2004 abgewählt wurde, ignorierte sein sozialistischer Nachfolger José Luis Zapatero ebenfalls das Problem. Zapatero interessierte sich offenkundig wenig für Wirtschaft. Als die Immobilienblase platzte, reagierten seine Wirtschaftsexperten zunächst überhaupt nicht, bevor sie panisch versuchten, die Baubranche mit einem Konjunkturprogramm in Milliardenhöhe zu retten - ein ebenso unsinniges, wie aussichtsloses Unterfangen, das die Staatsschulden spürbar vergrößert hat.

Es hat Monate gedauert, bis die konservative Regierung unter Rajoy, der vor fast genau einem Jahr Zapatero abgelöst hat, begriff, dass die Zwangsräumungen ein großes politisches Problem sind. Nun sollen sozial schwache Gruppen erst einmal zwei Jahre davor geschützt sein: Familien mit kleinen Kindern oder mehr als drei Kindern oder einem Jahreseinkommen unter 19.000 Euro Brutto, Alleinerziehende mit zwei und mehr Kindern, Rentner, Behinderte. Überdies soll möglichst rasch ein Programm realisiert werden, das die Umwidmung leer stehender Wohnblocks in Sozialwohnungen vorsieht. Nach Berichten der Madrider Wirtschaftspresse stehen im ganzen Land bis zu 1,3 Millionen Wohnungen leer. Zehntausende von ihnen werden in den Besitz der neuen "Bad Bank" gehen, in die die "prekären Kredite" ausgelagert werden können.

Doch bezweifeln Experten, dass die bislang angekündigten Maßnahmen die sozialen Spannungen wirklich spürbar verringern. Die sozialistische Opposition fordert eine Änderung des Hypothekenrechtes, das Hunderttausende in die Schuldenspirale getrieben habe. Auch wird nicht erwartet, dass die Zahl der Räumungen nun entscheidend sinkt; zuletzt waren es rund 1000 pro Woche im ganzen Land.

Die stellvertretende Ministerpräsidentin Soraya Sáenz de Santamaria, die als enge Vertraute Rajoys gilt, setzt sich zwar besonders für eine Lösung dieses Problems ein. Doch gibt sie auch zu bedenken, dass der Staat weder rechtliche, noch finanzielle Möglichkeiten habe, den völlig aus dem Lot geratenen Wohnungsmarkt zu sanieren. Die Behörden müssten sich auf die Härtefälle beschränken. Noch im Sommer hatte die Regierung darauf gesetzt, dass die Banken gegenüber säumigen Kreditnehmern in extremer Notlage Milde walten lassen, ihnen die Raten stunden und eine Umschuldung vorschlagen. Doch dieser Appell an das soziale Gewissen fand nur ein äußerst geringes Echo.

Lokale Initiativen blockieren Gerichtsvollzieher

Allerdings hat auch das Kabinett Rajoy offenbar nicht ganz freiwillig eingelenkt: Es war wohl weniger der Druck der Protestbewegung. Sie ist nämlich matt geworden: So hatte am Generalstreik an diesem Mittwoch nur ein kleiner Teil der Arbeitnehmer teilgenommen. Immerhin sind vielerorts lokale Initiativen entstanden, die Gerichtsvollziehern und Polizisten den Weg zu gefährdeten Wohnungen blockieren - oft mit Erfolg, denn die Politiker möchten keine Fernsehbilder von schreienden Kindern, die auf die Straße gesetzt werden.

Hinzu kommt starker institutioneller Druck von innen wie von außen: Ausgerechnet der Verband der Richter, die mehrheitlich dem konservativen Lager zugerechnet werden, fordert eine Novellierung des Hypothekengesetzes. "Wir wollen nicht die Geldeintreiber der Banken sein", hieß es kürzlich auf einem Juristenkongress. Mächtige Unterstützung bekommen sie vom Europäischen Gerichtshof. Dieser stellte fest, dass das spanische Recht keinen ausreichenden Schutz für missbräuchliche Vertragsklauseln bei Hypotheken garantiere.

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