Sozialpolitik:Wie die Parteien die Bürger im Wahljahr entlasten wollen

Experte: Arbeitslosigkeit sinkt 2017

Die Beschäftigung in Deutschland ist auf Rekordniveau, die Arbeitslosenversicherung hat Rücklagen in Milliardenhöhe - deshalb könnten nun die Beiträge sinken.

(Foto: dpa)
  • SPD und Union liebäugeln mit einer Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung.
  • Hintergrund sind die Rekordbeschäftigung und die steigenden Belastungen aus der Kranken- und der Rentenversicherung.
  • Und auch an anderen Stellen müssen die Bürger mit steigenden Kosten rechnen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Das Jahr ist zwei Tage alt, und schon gewinnt die Debatte um die finanzielle Entlastung der Bürger im Superwahljahr 2017 an Fahrt. Der Streit dreht sich um den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung, der angesichts von Rekordbeschäftigung und Milliardenrücklagen bei der Bundesagentur inzwischen als deutlich zu hoch angesehen wird.

Nach Information der Süddeutschen Zeitung gibt es eine breite Unterstützung für die Idee, den Satz deutlich zu senken. Zunächst forderte der Bund der Steuerzahler am Montag, den Satz von drei auf 2,5 Prozent zu drücken. Präsident Reiner Holznagel bezeichnete es als "Zeichen der Fairness", die Bürger bei der Versicherung zu entlasten, in die sie deutlich mehr einzahlten als an Leistungen herausgereicht werde. Die Rücklage der Arbeitsagentur sei "auf rund elf Milliarden Euro angewachsen". Es sei angezeigt, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu kürzen, auch, weil bei Renten- und Krankenversicherung deutliche Belastungen auf die Beitragszahler zukommen.

SPD und Union stimmen der Forderung grundsätzlich zu. "Mit der Beitragssatzentwicklung zur Bundesagentur für Arbeit werden wir uns in der nächsten Zeit beschäftigen", sagte SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider der Süddeutschen Zeitung. Zunächst müsse sichergestellt werden, dass über langfristig stabile Beiträge sowohl Beitragszahler als auch Steuerzahler vor einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage geschützt würden. "Ist dies gewährleistet und mit einem geringeren Beitragssatz über einen mittelfristigen Zeitraum darstellbar, dann sollte auch der Beitragssatz gesenkt werden". Auch die Union hält eine Senkung des Beitrages für "angezeigt". Carsten Linnemann, Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, sagte: "Was jetzt an Überschüssen erzielt wird, gehört den Arbeitnehmern und Arbeitgebern." Auch Linnemann ließ offen, wie stark der Satz gesenkt werden sollte. Entscheidend sei, dass die Beiträge danach "für mehrere Jahre stabil gehalten werden können". Verlässlichkeit sei "in Zeiten des strukturellen Umbruchs wichtiger denn je".

Es stehen wichtige Entscheidungen an, in Deutschland und der Welt

Wahlen in Deutschland und einigen Nachbarländern, der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union sowie der Machtwechsel in den USA lassen die Bürger in eine ungewisse Zukunft blicken. Überall sind Nationalisten und Populisten so stark wie lange nicht. In Nordrhein-Westfalen, bei der Bundestagswahl, in den Niederlanden und Frankreich, aber auch bei vorgezogenen Wahlen in Italien und Griechenland haben sie gute Chancen, Wähler zu gewinnen. Unklar ist, wie sich die Stimmung entwickelt, wenn in 20 Tagen Donald Trump ins Weisse Haus einzieht und Premierministerin Theresa May im März den Scheidungsantrag einreicht.

Für die Bundesbürger sind die Aussichten zwiegespalten. Die konjunkturellen Aussichten sind gut. Die Bundesbank erwartet ein stabiles Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent. Zahlreiche Wirtschaftszweige sind auf der Suche nach Personal, für rund zwei Millionen Beschäftigte steigen die Löhne.

Andererseits macht die Furcht vor strukturellen Umbrüchen die politische Lage fragil. Sie bringt selbst besonnenes Spitzenpersonal zu düsteren Voraussagen. "Das allerschlechteste Jahr für Kleinsparer seit langem", prophezeit Clemens Fuest, Präsident des renommierten Ifo-Instituts in München. Für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble steht das Überleben des Euro auf dem Spiel. "Wenn wir die Regeln nicht einhalten, fliegt uns die Euro-Zone auseinander", sagte er der Zeit.

Worüber im neuen Jahr noch gestritten wird

2017 wird also über den Euro, über Banken, Zinsen, Steuern aber auch über Maut und die Konjunktur gestritten werden. So sieht es zu Beginn des Wahljahres aus:

Steuern und Sozialabgaben

Wie kann das Wahlgeschenk für die Bürger aussehen? Für die Union ist die Angelegenheit klar. Sie will kleinere und mittlere Einkommen steuerlich entlasten - ohne dafür andere Steuern oder Abgaben zu erhöhen. Damit unterscheiden sich CDU/CSU von Grünen und SPD, die dies wollen. "Wir müssen mit dem auskommen, was wir haben", sagt Linnemann. Der Wirtschaftsflügel fordert Senkungen in Höhe von 30 Milliarden Euro. Der Bundesfinanzminister sieht Spielraum für 15 Milliarden Euro. Die Debatte läuft. Die SPD lässt offen, ob sie ihre Wahlgeschenke über niedrigere Steuern oder Sozialabgaben ausreichen will, den Umfang beziffert Vize-Bundesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel auf "mehr als 20 Milliarden Euro".

Währungsunion

Die Regeln der Währungsgemeinschaft sind seit ihrer Gründung 165 Mal gebrochen worden. Der jüngsten Regelbruch bei der Rettung der italienischen Banca Monte dei Paschi kann also glatt als Routine durchgehen. Wieder mussten Steuerzahler ran, obwohl nicht zuletzt bundesdeutsche Politiker darauf bestanden, man habe jetzt eine "Haftungskaskade" bei klammen Banken, es müssten künftig Investoren und Anteilseigner zahlen, um die Institute zu retten. Die neuen Regeln der Bankenunion haben den Praxistest nicht bestanden. Dieses Jahr kann es richtig ungemütlich werden, falls weitere Banken straucheln, darunter vielleicht auch ein großes deutsches Institut. Schwierig wird es in Europa vor allem, falls in den Niederlanden und Frankreich Nationalisten gewinnen. Auch in Deutschland mehren sich die Forderungen, der Währungsunion eine neue Struktur zu geben. Im Wahlkampf dürfte das Insolvenzrecht für Euro-Staaten gefordert werden, verbunden mit der Verpflichtung, entweder den Staatshaushalt zu sanieren oder die Euro-Zone zu verlassen.

Inflation und Zinsen

Steigende Brennstoffpreise lassen schon heute die Verbraucherpreise leicht anziehen. Anders sieht es bei der sogenannten Kerninflation aus, also bei der Inflation ohne Energie und Lebensmittel, auf die vor allem die Notenbank schaut. Sie dürfte erst zunehmen, wenn die Löhnen weiter steigen. Ob es dazu kommt, ist aber ungewiss. Mit höheren Zinsen ist deshalb nicht zu rechnen. Sparer müssen auch in diesem Jahr damit leben, dass Geld nur schwer zu verdienen ist, sie für Energie und Lebensmittel aber höhere Preise zahlen müssen.

Maut

Vignette um Vignette, Euro und Euro, so geht es seitens Österreichs, Belgiens, der Niederlande und innerhalb der großen Koalition im Streit um die deutsch-bayerische Ausländermaut. Der österreichische Verkehrsminister Jörg Leichtfried will "alle Anrainerstaaten zu einem Koordinierungstreffen in Brüssel einladen", um gegen die deutschen Pläne vorzugehen. Schäuble lässt noch immer rechnen, ob die Maut überhaupt etwas bringt - oder zum Zuschussgeschäft zu geraten droht, das er selbstverständlich nicht unterstützen dürfte. Das Bundeskabinett soll sich im Januar mit den Änderungen am geltenden und nie in Kraft gesetzten Mautgesetz befassen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: