Sozialministerin:Nahles wegen Hartz-IV-Berechnung in der Kritik

Amtsübergabe Arbeitsministerium

Nicht nur Blumen übernommen: Sozialministerin Nahles (rechts) orientiert sich nun doch an den Hartz-IV-Berechnungen ihrer Vorgängerin von der Leyen.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)
  • Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles lässt die Hartz-IV-Sätze nach einem Modell berechnen, dass schon Vorgängerin Ursula von der Leyen verwendete.
  • Diese Berechnungsmethode hatte Nahles vor Jahren heftig kritisiert.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Die Wohlfahrtsverbände hatten keinen Zweifel: Als die damalige Bundessozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) 2010 die Hartz-IV-Regelsätze neu berechnen ließ, warfen sie ihr vor, getrickst zu haben, um Geld zu sparen. Ihre Nachfolgerin Andrea Nahles, damals in der Opposition, war ebenfalls empört. Von der Leyen, sagte die SPD-Politikerin, habe die Hartz-IV-Sätze "künstlich heruntergerechnet". Nun muss Nahles selbst neu rechnen lassen - und orientiert sich dabei an den von ihr heftig kritisierten Vorgaben der Vorgängerin. Dies ergibt sich aus einer Antwort des Arbeits- und Sozialministeriums auf eine Anfrage der Linken-Chefin Katja Kipping, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Wie viel Geld die 6,1 Millionen Hartz-IV-Empfänger bekommen, hängt maßgeblich von Erhebungen des Statistischen Bundesamtes ab. Alle fünf Jahre ermittelt die Behörde, wofür 60 000 Haushalte ihr Geld ausgeben. Bei dieser Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) geht es um etwa 200 Positionen wie Nahrungsmittel oder Kleider. Die Ergebnisse der neuen EVS aus dem Jahre 2013 liegen nun vor. Innerhalb des nächsten Jahres will das Ministerium deshalb die neuen Regelbedarfs-Höhen ermitteln lassen, die dann zum 1. Januar 2017 in Kraft treten sollen. Zu diesem Zeitpunkt werden die Leistungen ohnehin turnusmäßig angepasst.

Bei der Neuberechnung kommt es entscheidend darauf an, welche Vergleichsgruppe der nach Einkommen geschichteten Ein-Personen-Haushalte herangezogen wird. Von der Leyen geriet in die Kritik, weil sie die einkommensschwächsten 15 Prozent heranzog, um den Hartz-IV-Satz für Alleinstehende zu ermitteln . Zuvor hatten die unteren 20 Prozent als Basis gedient. Ein finanziell gewichtiger Unterschied, da die Gruppe der unteren 15 Prozent ein geringeres Einkommen hat als die unteren 20 Prozent der Haushalte.

Wird das Verfahren geändert, springen für Hartz-IV-Empfänger 30 Euro mehr im Monat heraus

Das war aber nicht der einzige Kritikpunkt: Aus der Vergleichsgruppe der einkommensschwächsten 15 Prozent der Haushalte rechnete das Ministerium die Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger selbst heraus, um sogenannte Zirkelschlüsse zu vermeiden. Den Wohlfahrtsverbänden war das damals zu wenig: Sie pochten vergeblich darauf, auch die Aufstocker herauszunehmen, also Hartz-IV-Bezieher, die zusätzlich erwerbstätig sind. Die SPD verlangte außerdem, die verschämten Armen - Menschen, die trotz eines Anspruchs keine Grundsicherung beantragen - aus der Vergleichsgruppe herauszufiltern. All das wäre allerdings teuer geworden: Schon damals hätte ein Alleinstehender laut Paritätischem Wohlfahrtsverbands dadurch 30 Euro mehr Hartz IV im Monat bekommen.

In seiner Antwort auf die Linken-Anfrage kündigt das Arbeitsministerium nun an, es bei der Referenzgruppe für Alleinlebende bei den "unteren 15 Prozent" zu belassen. Auch werde man daraus nur Haushalte herausrechnen, "die über kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit verfügen". Die Aufstocker bleiben also drin, genauso wie die verdeckt Armen. Das Ministerium beruft sich dabei auf das Bundesverfassungsgericht, das im Juli 2014 die von der Leyen'sche Rechenmethode gebilligt hat.

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, verlangt hingegen von Nahles, die "manipulativen Eingriffe aus dem Jahr 2010" nicht zu übernehmen und "zu einer seriösen Herleitung der Regelsätze zurückzukehren". Auch der Caritasverband spricht sich dafür aus, wieder die unteren 20 Prozent der Haushalte heranzuziehen und sich nicht von fiskalischen "Überlegungen zur Ausgabenbegrenzung" leiten zu lassen. Die Linken-Chefin Kipping sagt: "Bei der Berechnung der Regelsätze bleibt alles beim Alten. Damit verbleiben wir in der Verarmungsspirale."

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