Sozialleistungen:Hartz IV darf für niemanden ein Zuhause werden

Sozialleistungen: Für die Kunden sind Umwandlungen ihrer Riester-Veträge in der Regel ein Nachteil - für die Geldhäuser dagegen meist ein gutes Geschäft.

Für die Kunden sind Umwandlungen ihrer Riester-Veträge in der Regel ein Nachteil - für die Geldhäuser dagegen meist ein gutes Geschäft.

(Foto: imago stock&people/imago/Future Image)

Sind die Hartz-IV-Sätze hoch genug? Darüber wird erbittert gestritten. Besser wäre es, die wirklichen Schwachstellen dieses Systems zu beheben.

Kommentar von Henrike Roßbach

Der Alltag ist voller kleiner schwarzer Löcher, in denen das Geld verschwindet. In der Mittagspause ein Salat aus dem Laden nebenan, nachmittags die Vorfrühlingsfrage "Papa, können wir ein Eis?", die Kita sammelt das Turngeld ein, und der Ferienhaus-Vermieter erinnert per Mail an die Anzahlung. Für sehr viele Menschen in Deutschland ist die Masse an Finanzmaterie, die diese schwarzen Löcher verschlingen, kein Problem - oder zumindest ein lösbares. Wer aber von Hartz IV leben muss, für den sind derlei Gravitationsfelder Sperrgebiet.

Hartz IV ist das, was es sein sollte: eine Grundsicherung. Nicht mehr und nicht weniger. Hartz IV bedeutet nicht Hunger, da hat der neue Gesundheitsminister Jens Spahn schon recht. Es bedeutet aber durchaus ein Leben, in dessen Zentrum die Mangelverwaltung und der Satz "Nein, das geht nicht" stehen. Ist das Armut? Verglichen mit der Lebenswirklichkeit in Burkina Faso, Bangladesch oder Haiti natürlich nicht. Das aber wäre auch ein grotesker Maßstab. Armut ist zu Recht ein relatives Konzept. In einem reichen Land ist auch arm, wer nicht mitmachen und mithalten kann bei dem, was das Leben schön, bunt, verheißungs- und hoffnungsvoll macht. Das ist kein Kitsch, keine Romantik, sondern einleuchtend für jeden, der hin und wieder sein Zimmer verlässt.

Natürlich ließe sich mehr Teilhabe erkaufen mit höheren Hartz-IV-Sätzen. Gerecht aber wäre auch das nicht. Weder gegenüber denen, die in der Grundsicherung feststecken, noch gegenüber denen, die gerade so noch ohne sie zurechtkommen. Ziel staatlicher Fürsorge sollte eigentlich sein, sich überflüssig zu machen. Besser als Hartz IV ist nicht mehr Hartz IV, sondern kein Hartz IV mehr zu brauchen. Die Welt der Regelbedarfe sollte für niemanden ein Zuhause werden, in dem er dann vergessen werden kann. Sie sollte nur eine Station auf der Durchreise sein. Das aber ist allzu oft nicht der Fall. Sechs Millionen Hartz-IV-Empfänger, darunter etwa eine Million Langzeitarbeitslose - das ist der eigentliche Skandal.

Seit Jens Spahn gesagt hat, Hartz IV sei nicht Armut, sondern die Antwort der Solidargemeinschaft auf Armut, wird viel gezankt darüber, ob das System wahlweise mies und ungerecht, völlig am Ende oder goldrichtig ist. Besser wäre es, den Schaum vorm Mund abzuwischen und die Schwachstellen im System zu beheben. Aus Hartz IV herauszukommen ist schwierig und, auch das gehört zur Wahrheit, nicht immer attraktiv. Für eine Familie mit zwei oder drei Kindern ergeben Regelbedarf und die vom Jobcenter übernommenen Wohn- und Heizkosten eine Summe, die auf dem Arbeitsmarkt nicht so einfach zu verdienen ist - vor allem nicht, wenn die Betroffenen schon länger arbeitslos und schlecht qualifiziert sind. Umgekehrt würden jene, die es heute aus eigener Kraft knapp über die Grundsicherung schaffen, in Hartz IV rutschen, wenn die Leistungen deutlich erhöht würden.

Die Jobcenter sind unterfinanziert

Ja, höhere Löhne auf dem freien Arbeitsmarkt würden den notwendigen Abstand zur Grundsicherung vergrößern. Direkten Einfluss jedoch hat der Staat nur auf den Mindestlohn und - mit Einschränkungen - auf die Ausweitung von Tarifverträgen. Beides birgt zudem das Risiko, dass reguläre, wenn auch gering bezahlte Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Vielleicht nicht sofort, womöglich aber im nächsten Abschwung. Dringend geboten ist daher etwas anderes: Hartz-IV-Empfänger müssen mehr davon haben, wenn sie zusätzlich zur Grundsicherung Geld verdienen. Bislang dürfen sie 100 Euro einfach so dazuverdienen. Bei jedem weiteren Einkommen bis 1000 Euro aber werden 80 Prozent mit den Transferzahlungen verrechnet. Unterm Strich: Wer als Hartz-IV-Empfänger 1000 Euro dazuverdient, hat am Ende nur 280 Euro mehr als ohne Arbeit. Ein irrwitziger Fehlanreiz.

Die zweite Fehlkonstruktion betrifft die Jobcenter. Sie sind für die schwierigen Fälle zuständig; die Langzeitarbeitslosen, die oft schlecht ausgebildet sind, teilweise Gesundheitsprobleme haben und einen Arbeitsalltag nicht mehr kennen. Ausgerechnet diese Jobcenter aber sind unterfinanziert und müssen laufende Kosten teils aus Mitteln bestreiten, die für die Vermittlung in den Arbeitsmarkt gedacht sind. Maßnahmen-Hopping, falsche Angebote für Alleinerziehende, ein zerrüttetes Verhältnis zwischen Hartz-IV-Empfängern und ihren Beratern, die mit Sanktionen drohen und gleichzeitig individuell betreuen sollen - das sind Baustellen, die nicht nur besichtigt, sondern beseitigt werden müssen.

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