Sozialausgaben:Arm, ärmer, am ärmsten

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Illustration: Lisa-Marie Prankl, Quelle: DIW Berlin (Foto: Lisa-Marie Prankl)

Kommunen mit hohen Sozialausgaben geraten in eine Abwärtsspirale, warnt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung.

Von Thomas Öchsner, Berlin

In Deutschland sind viele Kommunen in einem Teufelskreis gefangen. Sie haben hohe Sozialausgaben, weil bei ihnen überdurchschnittlich viele Hartz-IV-Empfänger leben, denen sie eine Wohnung und die Heizkosten bezahlen müssen. Deshalb haben sie wenig oder kaum Geld, um Schulen zu renovieren, Theater zu erhalten oder Abwasserleitungen zu sanieren. Und weil sie nicht investieren, verlieren sie weiter an Attraktivität. Dies hat innerhalb Deutschlands zu krassen Missverhältnissen zwischen den Kommunen geführt.

Die wirtschaftsstarken Länder Bayern und Baden-Württemberg haben mit 469 Euro beziehungsweise 371 Euro pro Einwohner im Jahr 2013 die höchsten Investitionsausgaben. In anderen westdeutschen Ländern wie Nordrhein-Westfalen und Saarland belaufen sich die Ausgaben hingegen auf oft sogar unter 200 Euro. Dies geht aus einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervor, für die das DIW das Ausgabeverhalten von sämtlichen 398 Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland untersucht hat.

Neun der zehn Kommunen mit den höchsten Investitionsausgaben liegen demnach in Bayern. Spitzenreiter ist der Landkreis München mit Investitionen von 724 Euro pro Einwohner im Jahr 2013. Im Freistaat gibt es nur drei kreisfreie Städte, Weiden in der Oberpfalz (159 Euro), Fürth (188 Euro) und Bamberg (193 Euro), die mit weniger als 200 Euro auskommen müssen. Das bundesweite Schlusslicht, Wilhelmshaven in Niedersachsen, konnte nur 35 Euro pro Einwohner investieren. Unter den zehn Kommunen, die bei dem Vergleich am schlechtesten abschneiden, sind gleich drei Städte aus Nordrhein-Westfalen (Bielefeld, Hagen und Duisburg).

"Es gibt ein starkes Nord-Süd-Gefälle", sagte der DIW-Regionalexperte Ronny Freier. Vor allem Kommunen mit hohen Sozialausgaben, geringen Steuereinnahmen und einer schwachen Wirtschaft investierten weniger. Beispiel Bayern: Nürnberg gibt 225 Euro pro Einwohner für Kosten der Unterbringung und Heizung aus und 231 Euro für Investitionen. Im Landkreis Eichstätt, in dem es kaum Arbeitslose gibt, fallen für diese Sozialausgabe nur 16 Euro pro Kopf an, während für die Investitionen jeweils 501 Euro zur Verfügung stehen. DIW-Präsident Marcel Fratzscher warnte deshalb vor einer Abwärtsspirale. "Die Probleme werden sich für viele von ihnen noch verschärfen, wenn die Wirtschaftspolitik nicht schnell gegensteuert."

Nach den Berechnungen des Berliner Instituts investieren die Kommunen auch grundsätzlich zu wenig. Die Investitionsquote habe sich verglichen mit dem Jahr 1991 etwa halbiert, heißt es in der Untersuchung. Seit dem Jahr 2003 würden die kommunalen Investitionen nicht einmal dafür reichen, um die bestehende Infrastruktur wie etwa Schulen, Kreisstraßen, Kindertagesstätten oder Bäder zu erhalten oder zu modernisieren. 46 Milliarden Euro seien im Bereich der Infrastruktur seit 2003 nicht mehr ersetzt worden. Nur um auf das bayerische Niveau zu kommen, müssten die Kommunen mehr als 14 Milliarden Euro jährlich zusätzlich ausgeben, sagte DIW-Experte Freier.

Die Forscher fordern daher, bei der Finanzierung der Städte und Kreise nachzuhelfen. Der Bund sollte den Kommunen über die Länder mehr Geld überlassen. Dies ließe sich bei der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs regeln. Fratzscher schlägt außerdem vor, den Solidaritätszuschlag vorübergehend zu nutzen, um die Kommunen bei den Sozialleistungen für Wohnen und Heizkosten zu entlasten. Derzeit belaufen sich diese Ausgaben nach Angaben des Instituts auf jährlich elf Milliarden Euro.

© SZ vom 22.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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