Sozialabgaben:40 Prozent plus x

Die Arbeitgeber warnen vor zu hohen Sozialabgaben in der Zukunft - das bringe Hunderttausende Arbeitsplätze in Gefahr.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Sozialabgaben: Bald wird es mehr Rentner und weniger Beitragszahler geben.

Bald wird es mehr Rentner und weniger Beitragszahler geben.

(Foto: Julia Hecht)

Den Sozialkassen in Deutschland ging es selten so gut wie heute. Immer mehr Menschen haben einen sozialabgabenpflichtigen Job. Die Zahl der Zuwanderer, die in die Kassen einzahlen, ist überproportional stark gewachsen. Die Löhne sind zum Teil deutlich gestiegen. All das bringt Geld in die Rentenkasse und in die Töpfe der Krankenkassen. Die Beiträge für die vier zentralen Sozialversicherungen - Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung können derzeit bei knapp 40 Prozent eines Bruttolohns liegen - gute Zeiten im Vergleich zu 2005, als noch 42 Prozent fällig waren und es wenig netto vom brutto gab. Doch wie lange hält die Marke von 40 Prozent noch?

Steffen Kampeter, früher CDU-Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und jetzt lautstarker Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), sagt: "Wenn wir nichts unternehmen, sind die 40 Prozent so schnell dahin wie Schnee in der Sahara." Dann seien in erheblichem Umfang Arbeitsplätze in Deutschland in Gefahr. Auch könnten Unternehmen dies als Einladung verstehen, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern.

Um dieses Risiko zu dokumentieren hat die BDA das unabhängige Prognos-Institut einmal genau rechnen lassen. Das Ergebnis sollte, wenn es nach Kampeter geht, die nächste Bundesregierung unbedingt beschäftigen. Danach könnten die Sozialabgaben - ohne politische Eingriffe - bis 2040 um fast neun Prozentpunkte auf 48,8 Prozent eines Bruttolohns steigen.

Die Prognos-Forscher begründen dies mit der demografischen Entwicklung. "Deutschland altert und schrumpft", heißt es in der Studie. Das Institut erinnert an die Generation der sogenannten Babyboomer, die jetzt noch arbeitet, aber in den nächsten beiden Jahrzehnten in Rente gehen wird. Zugleich sinkt - trotz Zuwanderung - die Zahl der Menschen im Arbeitsalter. "Entfallen auf einen über 64-Jährigen gegenwärtig noch 2,9 Personen im erwerbsfähigen Alter, so werden dies 2040 lediglich noch 1,8 Erwerbsfähige sein", stellen die Autoren der Untersuchung fest. Es kommen also auf wahrscheinlich weniger Beitragszahler mehr Alte, die Leistungen empfangen - und das wegen der höheren Lebenserwartung länger als bisher. Den stärksten Beitragsanstieg prognostizieren die Forscher bei der Pflegeversicherung, um drei Fünftel von derzeit 2,55 Prozent (für Kinderlose) auf 4,0 Prozent bis zum Jahr 2040. Der Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung könnte hingegen sogar spürbar von 3,0 auf 2,1 Prozent sinken.

Noch düsterer sieht es nach einem anderen Prognos-Szenario aus: Wird das Rentenniveau von derzeit 48 Prozent des Durchschnittsverdienstes nach 45 Beitragsjahren stabilisiert und steigen die Gesundheits- und Pflegeausgaben stärker als im ersten Modell unterstellt, könnten die gesamten Sozialbeiträge sogar auf mehr als 55 Prozent klettern.

So oder so, das Ganze dürfte nach den Berechnungen des Instituts für viele Jobs das Aus bedeuten, weil die Lohnzusatzkosten steigen und dies gerade die deutsche Exportwirtschaft schwächt. Jeder zusätzliche Beitragspunkt kostet der Studie zufolge 90 000 Arbeitsplätze. Zusätzlich seien etwa 130 000 Arbeitsplätze in Gefahr, wenn die Arbeitnehmer in der gesetzlichen Krankenversicherung den Zusatzbeitrag nicht mehr allein zahlen müssen und der Kassenbeitrag wieder komplett je zur Hälfte von Arbeitgebern und Mitarbeitern finanziert wird. Die SPD will nach den Bundestagswahlen im September die paritätische Finanzierung wieder einführen und so für mehr Gerechtigkeit sorgen.

BDA-Mann Kampeter sprach sich hingegen dafür aus, die Kosten in den Sozialversicherungen zu senken, statt neue Leistungen einzuführen. Bei der Prognos-Studie handele es sich um "kein Horrorszenario" das lobbyistischen Interessen diene. Politik, sagt er und erinnert damit an einen Spruch des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU), "beginnt mit dem Betrachten von Realität".

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