Silicon Valley:Die Kunst des Scheiterns

Attendees use their machines as they take a break at the Google I/O Developers Conference in the Moscone Center in San Francisco

iPhone, iPad: Alles, was man zum Erfolg in San Francisco braucht.

(Foto: Reuters)

"Jeder der Veränderung fürchtet, ist mein Gegner": Warum das kalifornische Silicon Valley fünf Jahre nach der Finanzkrise dynamischer ist denn je - und ein Modell für Unternehmen aus aller Welt.

Von Nikolaus Piper, San Francisco

Die Schule für Helden liegt in der Third Avenue von San Mateo. Unten im historischen Benjamin-Franklin-Hotel liegt der Eingang zur "Draper University of Heroes" und wer durch die Tür tritt, der merkt sofort: Das ist keine Uni wie jede andere.

Mitten in der Lobby steht ein schwarzer Tesla, Modell S, der in der Mitte aufgeschnitten ist. Der halbe Elektro-Sportwagen dient in dem Gebäude als Empfangstisch. Neben der Empfangsdame steht Tim Draper. Der Wagnisfinanzierer gehört seit Jahren zu den Legenden des Silicon Valley und gründete die "University of Heroes" im vergangenen Frühjahr. Heute hat er sich eine knallbunte Krawatte umgebunden, die auch für kalifornische Verhältnisse mutig ist. "Wir lehren die Menschen Entrepreneurship", sagt Draper, Unternehmergeist also. "Das Wichtigste dabei ist, bereit zu sein, zu scheitern. Wir alle haben nicht gelernt zu scheitern."

Das ist das neue Silicon Valley: Die Tech-Region wird zum Produkt, das sich selbst vermarktet. In Drapers Universität konnte man in diesem Wintersemester einen siebenwöchigen Kurs belegen, bei dem alles gelehrt wird über Unternehmertum - von Futurologie über Finanzierung bis zu Überlebenstraining. Wer hier studieren will, muss 18 bis 26 Jahre alt sein, eine Geschichte erzählen können, eine Geschäftsidee haben - und 9500 Dollar mitbringen. Zum letzten Punkt gibt es auch eine Alternative: Man kann sich verpflichten, für die nächsten zehn Jahre zwei Prozent seines Einkommens abzuführen. 55 Prozent der Studenten sind Ausländer.

Tim Draper hat sein Vermögen mit der Investmentfirma Draper Fisher Jurvetson gemacht. Zu deren erfolgreichsten Investitionen gehörten die in Skype, in Solar City und eben in Tesla. Draper ist ein Libertärer, er predigt unbedingte Freiheit. Gerade sorgte er für Schlagzeilen mit seinem Vorschlag, Kalifornien in sechs unabhängige Staaten aufzuteilen. "Jeder der Veränderung fürchtet, ist mein Gegner", sagt er. Unternehmer sind für ihn Helden. "Wir haben diese Schule gebaut, weil die Welt mehr Helden braucht."

Das ist der Geist des Silicon Valley in Reinkultur. Dieser Geist mag erklären, warum das Valley fünf Jahre nach der Finanzkrise lebendiger ist denn je. Während an der amerikanischen Ostküste noch die Scherben der Krise zusammengekehrt wurden, begann an der Westküste ein regelrechter Boom. Mehr Firmen wurden gegründet, mehr Ideen verbreiteten sich in der Welt, das Internet der Dinge, Bitcoins, Social Media. Nicht nur deutsche Chefredakteure veranstalten regelrechte Pilgerfahrten ins Valley.

Die Folgen des Booms lassen sich messen. Die Arbeitslosenquote im Großraum San Francisco ist von 9,1 Prozent auf dem Höhepunkt der Krise auf 5,0 Prozent gesunken, weit unter dem nationalen Durchschnitt. Woran es fehlt, sind nicht die Arbeitsplätze, es sind die Arbeitskräfte; vor allem solche mit einer guten Ausbildung. Chuck Eesley, ein Professor von der Stanford-Universität, sagt: "Der Mangel an Informatikern bremst das Wachstum."

Sein Kollege Stefanos Zenios, Professor vom Zentrum für Unternehmerstudien in Stanford beschreibt, worauf es im Valley ankommt: "Die guten Unternehmer sind die, die gescheitert sind und die Demut hatten zu verstehen, warum sie scheiterten. Es sind nicht die, die sagen: Ich bin so toll." Mehr als 50 Prozent der Gründungen kommen von Einwanderern. Konkurrenzausschlussklauseln sind verboten. Das begünstigt Spin-Offs von Unternehmen. Diese eigentümliche Mischung aus Ideen, Bereitschaft zum Risiko, Investoren, die bereit sind, das Risiko zu finanzieren, Rechtsanwälten, die etwas von Unternehmensgründungen verstehen und mittlerweile etablierten Unternehmen wie Intel, Cisco, Apple oder Google, schafft eine Eigendynamik, die schwer zu kopieren ist.

Einer der überraschendsten neuen Trends ist das Wachstum des Silicon Valleys nach San Francisco hinein. Früher einmal siedelten sich Hightech-Firmen in langweiligen Plätzen wie San Jose, Mountain View oder San Mateo an, weil die Grundstücke billig und ähnliche Firmen in der Nähe waren. Heute ziehen sie nach San Francisco hinein, weil dort die anspruchsvollen Fachkräfte leben, die auf eine hohe Lebensqualität achten - und sie sich mit ihren hohen Gehältern auch leisten können.

Mehr als nur Spielerei

So würde das auch Michael Buckwald sehen. Buckwald ist im vorigen Jahr 25 Jahre alt geworden und hat 2010 zusammen mit einem Freund die Firma Leap Motion gegründet. Leap Motion residiert in South Beach, einem gemischten Viertel unweit der Bay Bridge nach Oakland, wo sich noch vor kurzem niemals ein junges Unternehmen niedergelassen hätte. "Wir sind hier, einfach, weil wir in der Stadt sein wollten." Buckwald ist auf seine Art typisch für die neue Generation der Gründer: Ein ernster, gehemmter Computer-Nerd, der Besucher in einem schwarzen T-Shirt empfängt und Schwierigkeiten hat, seinem Gegenüber in die Augen zu schauen. Aber von Software und Business muss er etwas verstehen.

Gut drei Jahre nach Gründung beschäftigt Leap Motion 120 Mitarbeiter, die Hälfte davon gut bezahlte Ingenieure. Das erste Produkt der Firma kam ins letztjährige Weihnachtsgeschäft: der "Leap Motion Controller", eine kleine Box, die es möglich macht, den Computer zu steuern, ohne ihn zu berühren. Das ist mehr als nur Spielerei; die Technik soll künftig in Operationssälen und anderen Orten eingesetzt werden, wo es auf extreme Sauberkeit ankommt. Mittels Kameras und einer neuen Software können Computer jetzt Handbewegungen erkennen und umsetzen. "Das ändert das Verhältnis von Mensch und PC grundlegend", sagt Buckwald.

Leap Motion ist nur ein Beispiel für den Zug der Hightech-Firmen nach San Francisco. Vor allem Anbieter der neuen Sozialen Medien fühlen sich von der Stadt angezogen. Facebook sitzt zwar noch im langweiligen Menlo Park. Twitter, der 2006 gegründete Mikro-Blogging-Dienst, verlegte sein Hauptquartier 2012 in ein bis dahin heruntergekommenes Viertel an der Market Street. Das renovierte Art-Deco-Gebäude aus dem Jahr 1937, in dem früher Möbel verkauft wurden, beherbergt heute neben den Twitter-Büros eine Dachterrasse, Yoga-Räume und andere Nettigkeiten, mit denen Silicon-Valley-Firmen heute Mitarbeiter locken.

A pillow is placed on a couch at Twitter headuiarters in San Francisco

Twitter verlegte sein Hauptquartier 2012 in ein bis dahin heruntergekommenes Viertel an der Market Street.

(Foto: REUTERS)

Zu den in San Francisco beheimateten Firmen zählt auch Yelp. Das Portal für Kundenbewertungen von Restaurants und Geschäften, residiert, sehr symbolträchtig, im "PacBell Building", dem früheren Hauptquartier der Telefongesellschaft Pacific Bell. Open Table, Betreiber eine schnell wachsenden Reservierungssystem für Restaurants, sitzt im gleichen Viertel, ein paar Blocks weiter.

Silicon Valley: Facebook sitzt noch im langweiligen Menlo Park.

Facebook sitzt noch im langweiligen Menlo Park.

(Foto: AP)

Sowohl Yelp als auch Open Table sind längst nicht mehr die kleinen, unkonventionellen Jungunternehmen, als die sie oft noch wahrgenommen werden. Yelp beschäftigt 1700 Mitarbeiter, 800 davon in San Francisco, bei Open Table sind es über 600, fast alle zwischen 25 und 30 Jahren alt, darunter auch 115 Ingenieure. Die Talente zu halten ist wichtiger, als bei den Mietkosten zu sparen. Google, der Internet-Gigant beschäftigt seine 46 000 Mitarbeiter zwar weiterhin auf dem großen Campus in Mountain View im Silicon Valley, am Treasure Island in San Franciso hat aber immerhin eine "Google Barge" festgemacht. Das Schiff, so die offizielle Erklärung, dient als "interaktiver Raum, in dem Menschen etwas über neue Technik lernen können".

Aber das alles hat auch eine andere Seite: steigende Grundstückpreise. Teile San Franciscos, die noch bis vor kurzem als Arme-Leute-Viertel galten, werden plötzlich unerschwinglich. Einwanderer mit geringem Einkommen müssen ihre Wohnungen verlassen, Künstler und Studenten fürchten, dass die Gentrifizierung ihren Bohème-Lebensstil zerstört. An den Wänden sieht man schon mal handgemalte Plakate mit der Aufschrift: "Google & Twitter haut ab!". Der Zorn der Benachteiligten entzündete sich kurz vor Weihnachten: Demonstranten blockiert Busse, die Angestellte von Google und Apple zu ihren Arbeitsplätzen im Silicon Valley bringen sollten. Auch ein paar Steine sollen geflogen sein. Verletzt wurde niemand, aber der Vorfall reichte aus, um Apple und Google über alternative und anonymere Möglichkeiten zu suchen, um seine Mitarbeiter zu transportieren.

Auch Danae Ringelmann hat sich dafür entschieden, ihr Geschäft in San Francisco zu starten. Ringelmann gründete IndieGoGo 2008, um die neuen Möglichkeiten des Internets für die Beschaffung von Geld zu nutzen. Heute betreibt die Firma eine der am schnellsten wachsenden Plattformen für Crowdfunding weltweit. Wer immer Geld in kleinen Beträgen für ein Projekt sucht, der kann auf IndieGoGo gehen. "Wir sind eine Ermöglichungs-Plattform", sagt Ringelmann. Präsident Barack Obama hat bereits 2009 für sein Konjunkturprogramm eine Partnerschaft mit dem Unternehmen geschlossen. Es ist mit ähnlichen Firmen der Branche wie etwa Kickstarter dabei, die Welt der Finanzierung von Grund auf zu ändern.

Das alles sind die Trends der Gegenwart. Aber womit wird sich Silicon Valley in der Zukunft befassen? Über das Thema sollte man mit Josh Constine reden. Er ist 28 Jahre alt, und arbeitet seit vier Jahren al Journalist für das Technologie-Portal TechCrunch. Mit seiner wilden Haartolle, dem T-Shirt und der abgerissenen Jeans würde Josh an der Ostküste vermutlich kaum als Wirtschaftsjournalist durchgehen. Aber hier im Westen sind die Dinge anders, auch was Kleider betrifft. "Wir wollen den Menschen helfen, die Zukunft zu verstehen", sagt er. Seine Zukunftstrends sind auf den ersten Blick einigermaßen überraschend: Weder Soziale Medien, noch das Internet der Dinge, sondern drei Stichworte: Drohnen, verschlüsselte Geldsysteme und 3 D-Druck.

Auf den zweiten Blick steckt eine klare Logik hinter der Aussage: Das Internet liefert heute eine bis vor kurzem noch nicht vorstellbare Menge an Daten. Und diese Daten verändern die Welt. Drohnen, bislang als Tötungsmaschinen bekannt, können dank dieser Daten zu kommerziellen Produkten werden. Im Computer erzeugtes Geld könnte herkömmlichen Währungen Konkurrenz machen. "Ich weiß nicht, ob es Bitcoin sein wird, aber das Thema ist heiß", sagt Josh Constine. Und der 3D-Druck, im Kern ein computergesteuertes Spritzgussverfahren, kann dank der neuen Daten die Welt der Waren verändern - von Gebrauchsartikeln bis hin zu selbstgebauten Sturmgewehren.

Und dann ist da noch die Frage des Datenschutzes, der NSA-Spionage-Affäre und der Enthüllungen des Edward Snowden. Wer in diesen Tagen durch das Silicon Valley reist, der hat das Gefühl, dass das Thema europäische Journalisten wesentlich mehr bewegt als die Macher in den Firmen, die mit der neuen Datenflut zu tun haben. Ja, Datensicherheit ist heute noch mehr ein Problem als früher. Nach den Enthüllungen des Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowden misstrauten viele Ausländer amerikanischen IT-Produkten, räumte Frank Calderoni, der Finanzchef von Cisco ein. Seine Firma fordert sogar eine Art "Grundrechts-Erklärung für Datenschutz". Aber Cisco ist ein etabliertes Unternehmen. Die jungen Wilden der Tech-Szene scheinen andere Sorgen zu haben.

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