Siemens: Vorstand Solmssen:"Wir haben fast unser eigenes FBI"

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Siemens-Vorstand Peter Solmssen über Koffer voller Geld, Einladungen zum Golf - und die Fortschritte im Kampf gegen Korruption.

M. Balser, C. Busse u. K. Ott

Peter Solmssen, 54, wurde im Oktober 2007 in den Siemens-Vorstand berufen. Eine der Hauptaufgaben des Amerikaners ist die Aufarbeitung des weltweiten Korruptionsskandals bei dem Münchner Konzern. In den USA verhandelte der Jurist monatelang mit den Behörden. Mitte Dezember erreichte er eine Einigung: "Für systematische und weltweite Korruption" zahlt Siemens eine Buße von 800 Millionen Dollar. Konzern-Chef Peter Löscher kennt Solmssen gut aus der gemeinsamen Zeit bei General Electric (GE).

Peter Solmssen zog im Oktober 2007 in den Siemens-Vorstand ein, um den Korruptionsskandal aufzuarbeiten. (Foto: Foto: Heddergott)

SZ: Herr Solmssen, auf der Hauptversammlung am kommenden Dienstag werden Sie vor 10.000 Aktionären eine Bilanz der Korruptionsaffäre ziehen. Präsentieren Sie den Abschluss des Falls?

Peter Solmssen: Wir sind in der Aufarbeitung heute schon viel weiter gekommen als gedacht. Der Kulturwandel mit mehr Offenheit und Transparenz im Konzern ist gewaltig. Meine Bilanz ist: Die Arbeit hat sich gelohnt, die Selbstreinigung ist erfolgt. Aber wir haben auch noch einiges vor uns.

SZ: Siemens hat 1,2 Milliarden Euro Strafe in den USA und Deutschland gezahlt, weitere Milliarden für Steuernachzahlungen, eigene Ermittlungen und Umbauten im Konzern. Hat sich das wirklich gelohnt?

Solmssen: Die amerikanischen Justizbehörden haben im Fall Siemens erstmals in ihrer Geschichte ein Bußgeld beantragt, das niedriger war, als es die Vorschriften vorsehen. Sie hätten deutlich mehr fordern können. Die Ermittler haben honoriert, dass wir uneingeschränkt mit den Behörden kooperiert haben, rückhaltlos aufgeklärt und stark in die Verbesserung der internen Kontrollen investiert haben: in neue IT-Systeme, das Kontrollwesen der Rechtsabteilung und eine schlagkräftige Compliance-Abteilung mit rund 600 Mitarbeitern. Und wir haben bis heute fast 200.000 Mitarbeiter geschult.

SZ: Im Umfeld ehemaliger Vorstände wird behauptet, die Angst vor einer drakonischen Milliardenstrafe sei eine Erfindung der Siemens-Führung, um sich für das Ergebnis feiern zu lassen. Hat man im Konzern bewusst übertrieben?

Solmssen: Wer das behauptet, weiß nicht, wovon er spricht. Siemens hätte nach den gesetzlichen Vorschriften allein vom US-Justizministerium eine Strafe von rund drei Milliarden Euro gedroht - die Strafe von der Börsenaufsicht SEC ist da noch gar nicht berücksichtigt. Bei früheren Verfahren dieser Art lagen die Strafen stets um ein Vielfaches höher als die fragwürdigen Zahlungen. Die Behörden haben sehr viel Augenmaß bei ihrer Entscheidung bewiesen.

SZ: Deutschland ist ein wichtiger Partner der USA. Eine drakonische Strafe hätte die Beziehungen schwer belastet.

Solmssen: Mag sein, aber das spielte bei der Strafe sicher keine Rolle.

SZ: Es gab viel Ärger. Bleibt Siemens an der New Yorker Börse?

Solmssen: Nicht die Börsennotierung war das Problem, sondern gesetzeswidriges Handeln. Wir haben im Übrigen nicht die Absicht, uns von der Börse in New York zurückzuziehen. Die USA sind weiter der größte Kapitalmarkt der Welt.

SZ: Nach dem Abschluss der US-Ermittlungen: Drohen möglicherweise weitere Klagen in anderen Ländern oder von Konkurrenten?

Solmssen: Es lässt sich nicht ausschließen, dass man uns vereinzelt vorwerfen wird, kein zuverlässiger Partner zu sein. Die wichtigste US-Leitbehörde für Vergaberecht hat Siemens jedoch gerade das Gegenteil bestätigt. Unsere Politik, offen mit allen Behörden über unsere Selbstreinigung zu reden, wird überall sehr positiv aufgenommen.

SZ: Wo zum Beispiel?

Solmssen: In Argentinien hatte die Korruptionsaffäre hohe Wellen geschlagen. Dennoch haben wir vor zwei Wochen von der Regierung zwei große Aufträge im Energiebereich erhalten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Korruption in Zeiten der Wirtschaftskrise wieder zunehmen könnte.

SZ: In der schweren weltweiten Wirtschaftskrise kämpfen Konzerne um immer weniger Aufträge. Wächst jetzt die Gefahr, dass Korruption neue Konjunktur bekommt und Konzerne mit allen Mitteln um Geschäfte buhlen?

Solmssen: Klar, wo der Druck auf Vertriebsleute wächst, wächst auch diese Gefahr. Da hilft nur eins: Sie müssen ihren Leuten Rückendeckung geben und sie beim Nein-Sagen unterstützen. Und genau das ist unsere Botschaft: Wir wollen nur saubere Geschäfte.

SZ: Kennen Sie die Realität nicht?

Solmssen: Ich kenne unglaubliche Geschichten. Da sagt der Kunde: ,Ich brauche auch 50 Laptops.‘ Denn die lassen sich sehr schnell in Bargeld umwandeln. Es gab auch schon den Fall, dass bei Aufträgen für ein Krankenhaus teure Fahrräder geliefert werden sollten.

SZ: Wie wollen Sie das ändern?

Solmssen: Unser Ziel ist es, so etwas wie ein Kartell der Guten zu schaffen - zusammen mit unseren wichtigsten Wettbewerbern wie General Electric, Philips, Alstom oder ABB und unter Einbindung von Nicht-Regierungsorganisationen und unabhängigen Dritten. Ein Schulterschluss gegen Korruption, eine sogenannte Collective Action, könnte viel bewegen.

SZ: Glauben Sie das wirklich?

Solmssen: Wir wollen in geeigneten Branchen oder bei einzelnen Projekten nach gemeinsamen Regeln arbeiten. In der Gesundheitsbranche in den USA und Europa arbeiten wir bereits so mit unseren Konkurrenten zusammen. Wenn ein Siemens-Mitarbeiter erfährt, dass der Vertrieb des Wettbewerbers unsauber arbeitet, berichtet er davon seinem Direktor. Der wiederum bittet dann seinen Ansprechpartner im betreffenden Unternehmen, das abzustellen. Das funktioniert.

SZ: Korruption ist seit Jahren verboten, dennoch sind Länder wie Bangladesch von Korruption durchsetzt. Wie soll ein Pakt das ändern?

Solmssen: Ich habe ja selbst miterlebt, wie das Übel anfängt: Sie sitzen am Verhandlungstisch, und kurz vor dem Abschluss sagt plötzlich jemand leise: ,Aber vergiss mich nicht.‘ Das ist der entscheidende Moment, in dem Sie konsequent bleiben und ‚Nein‘ sagen müssen. Wer die besten Produkte hat, schafft das.

SZ: Nun gehören Sie zu den Guten?

Solmssen: Siemens-Chef Peter Löscher und ich haben alle CEOs und Finanzchefs von Sektoren, Divisionen und Regionen gebeten, uns Branchen oder Projekte zu nennen, in denen ein solcher Pakt möglich ist. Wir erwarten Antworten bis Ende Januar.

SZ: Die Organisation OECD versucht seit 20 Jahren, Korruption zurückzudrängen. Aber wenn man Länder wie Italien oder Griechenland anschaut, spielt sie immer noch eine sehr große Rolle. Ist das nicht am Ende ein vergeblicher Kampf?

Solmssen: Wollen wir nun helfen, die Korruption zu besiegen, oder nicht? Wollen wir uns anständig verhalten oder aufgeben? Unsere Erfahrung ist: Man kann sich korrekt benehmen und Geschäfte machen, auch und besonders in den Entwicklungsländern. Was passiert denn, wenn dort Geld in dunkle Kanäle anstatt in die Infrastruktur fließt? Krankenhäuser funktionieren nicht, Straßen enden im Nirgendwo, Bauern können nicht zum Markt fahren und ihre Produkte verkaufen. Wenn diese Länder Fortschritte machen sollen, muss endlich Schluss sein mit Bestechung. Sonst kommen die nie auf einen grünen Zweig.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum der harte Korruptionsleitfaden für Mitarbeiter nicht entschärft, sondern nur handhabbarer gestaltet werden.

SZ: Sie waren lange bei GE. Hat Siemens die Amerikaner inzwischen als Vorreiter gegen Korruption abgelöst?

Solmssen: Ich möchte hier nicht vergleichen. Aber Siemens hat wirklich enorme Fortschritte gemacht in den letzten zwei Jahren bei der Führungskultur und besseren Kontrollen. Es ist fast so, als hätten wir unser eigenes internes FBI.

SZ: Wie passt das Bemühen gegen Korruption damit zusammen, dass der harte Korruptionsleitfaden für Mitarbeiter gerade entschärft wird?

Solmssen: Wir weichen die Regeln nicht auf. Aber wir entwickeln unser Compliance-Programm ständig weiter. Das muss auch so sein. Dabei sind wir mit den Mitarbeitern im ständigen Dialog. Es gab den Wunsch unserer Belegschaft, an einigen Punkten die Handhabung zu vereinfachen, effizienter und - wo notwendig - praxisgerechter zu werden. Wir hatten ein Telefonbuch von Regeln geschrieben und allen Mitarbeitern gegeben und dann festgestellt, dass das einfach zu viel war. Das stellen wir jetzt um.

SZ: Die Regeln sollen also nicht entschärft werden?

Solmssen: Noch einmal, sie werden handhabbarer, aber nicht entschärft. Nicht die Regeln waren das Problem, sondern deren Umsetzung.

SZ: Warum setzen Sie nicht die gleichen Regeln in allen Ländern um?

Solmssen: Wir haben ja in vielen Bereichen einheitliche Regeln - die Auswahl unserer Geschäftspartner etwa ist weltweit standardisiert. Aber man kann nicht für alles globale Standards schaffen. Sie müssen bei vielem auch nach Land und Gewohnheiten differenzieren. In Washington ist schon eine Tasse Kaffee verboten. Und wenn Sie in Japan einen Radiologen zum Golf einladen, haben Sie ein echtes Problem. In Ländern wie China oder Deutschland ist das anders. Auch bei Wettbewerbern gibt es keine einheitlichen Regelungen.

SZ: Verwerflich ist doch immer, wenn Sie jemanden einladen und eine Gegenleistung erwarten.

Solmssen: Es gab bei Siemens kein Problem wegen Einladungen oder eines teuren Rotweins zum Essen. Unser Problem war, dass es Fälle gab, wo Mitarbeiter mit Koffern voller Geld unterwegs waren. Dazwischen liegen Welten.

SZ: Aber die Grenzen sind doch fließend.

Solmssen: Ja, darum ist auch eine nachhaltige Compliance-Kultur für das Unternehmen so wichtig. Entscheidend sind dabei immer wieder die klaren Botschaften der Unternehmensspitze. Auch der Bonus unserer 5500 Führungskräfte ist in diesem Jahr erstmals an das Erreichen ihrer Compliance-Ziele gekoppelt. Die Mitarbeiter mussten bewerten, wie ernst ihre Chefs den Kampf gegen Fehlverhalten nahmen.

SZ: Was muss international passieren, damit Korruption zurückgedrängt wird?

Solmssen: Die Industrieländer müssen sicher ihre Antikorruptionsgesetze strenger verfolgen. In Deutschland hat sich in dieser Hinsicht viel getan. Die deutschen Behörden haben im Fall Siemens den Löwenanteil bei der Aufklärung geleistet. Auch Länder in Osteuropa und Asien wissen: Wenn sie sich weiterentwickeln wollen, müssen sie die Korruption bekämpfen. Auch in Nigeria gibt es sehr gute Leute, die dieses Ziel konsequent verfolgen. Diese Länder müssen vor allem Justizsysteme aufbauen, die ernsthaft gegen Schmiergeldzahlungen vorgehen und manchmal nicht sogar Teil des Problems sind. Transparenz ist das wichtigste. Wir bringen bereits an einigen Stellen unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit ein.

SZ: Aber es gibt doch kein Schwarz-Weiß - hier Europa, da die Dritte Welt?

Solmssen: Nein, in jeder Gesellschaft gibt es Korruption. Das ist überall auf der Welt zu finden. Menschen, die an Geld kommen wollen, sind einfach unheimlich kreativ.

© SZ vom 24./25.01.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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