Siemens:Unterirdisch

Siemens-Chef Joe Kaeser auf Charme-Tour in Brasilien. Kann er auch die Justiz bezirzen?

Von Boris Herrmann, São Paulo

Wenn Joe Kaeser an Brasilien denkt, dann denkt er vor allem an gut 200 Millionen Menschen, deren Leben jeden Tag mobiler und digitaler wird. Der Siemens-Chef denkt an Menschen, die sich genau jene Produkte und Dienstleistungen wünschen, die sein Konzern anbieten kann. Ein bisschen denkt er auch an den Fußball. Einen Witz zur Sieben-zu-Eins-Niederlage der Brasilianer im WM-Halbfinale konnte er sich jedenfalls nicht verkneifen, als er dieser Tage in São Paulo über die brasilianische Geschichte seines deutschen Unternehmens referierte. Seit 110 Jahren ist Siemens im Land aktiv, es begann mit einer Telegrafenleitung durch den Urwald. Inzwischen beschäftigt die Tochtergesellschaft Siemens Limitada mehr als 6300 Mitarbeiter und setzt etwa 1,5 Milliarden Euro im Jahr um. "Brazil is a good place to be", sagte Kaeser.

Dass dieses Brasilien manchmal ein komplizierter Ort sein kann, das weiß der Siemens-Boss aber auch. "Einige Schlagzeilen in den vergangenen Jahren haben uns natürlich beunruhigt", gibt er zu. Sie lauteten beispielsweise: "Kartellvorwürfe in Brasilien setzen Siemens unter Druck" oder "Dunkle Schatten in Südamerika". Wenn das nur böswillige Überschriften gewesen wären, hätte Kaeser heute eine Sorge weniger.

Tatsächlich handelt es sich aber um die Fortschreibung der spektakulären Korruptionsgeschichte des deutschen Traditionsunternehmens. Im Sommer 2013 reichte Siemens in Brasilien eine Selbstanzeige ein. Es ging um Kartellabsprachen im Zusammenhang mit dem Bau der U-Bahnen von São Paulo und Brasília. Die Münchner zeigten sich geläutert, sie versprachen den Kartellbehörden volle Kooperation. Der Imageschaden war trotzdem immens. Denn die Beteiligung an dem sogenannten Metro-Kartell passte ins Bild. Bereits 2011 musste Siemens seinen damaligen Brasilien-Chef entlassen, über ein Geheimkonto in Luxemburg waren dubiose Geldtransfers abgewickelt worden.

Außerdem steht der Konzern in Brasilien seit Jahren im Verdacht, zwischen 1999 und 2004 für Aufträge der brasilianischen Post Schmiergeld bezahlt zu haben. Das Unternehmen bestreitet das. Dennoch wurde Siemens deshalb Anfang 2014 für fünf Jahre von öffentlichen Aufträgen in Brasilien ausgeschlossen. Zwischenzeitlich wurde der Bann ausgesetzt, im Moment darf sich die brasilianische Siemens-Tochter wieder einmal nicht an staatlichen Ausschreibungen beteiligen. Der Konzern hat Berufung eingelegt. Siemens argumentiert dabei ganz pragmatisch: Ein Auftragsverbot etwa für medizinische Geräte könne Nachteile für die brasilianische Gesellschaft mit sich bringen. Und darum geht es dem Konzern ja, wenn man Kaeser in São Paulo richtig verstanden hat: "Wir helfen Gesellschaften", sagte er.

Siemens-Chef bei seinem Besuch in Brasilien

"Einige Schlagzeilen in den vergangenen Jahren haben uns natürlich beunruhigt."

Staatsanwalt Marcelo Milani, ein rundlicher Mann mit einer glänzenden Halbglatze, muss lachen, wenn er solche Sätze hört. Dann sagt er: "Eigentlich ist das alles gar nicht lustig." Milani ist sich sicher, dass Siemens der brasilianischen Gesellschaft zuletzt mehr geschadet als geholfen habe. Nach seinen Berechnung haben die Preisabsprachen des Metro-Kartells, an dem auch Alstom aus Frankreich, CAF aus Spanien, Mitsui aus Japan und Bombardier aus Kanada beteiligt waren, allein im Bundesstaat São Paulo Mehrkosten von 2,5 Milliarden Reais verursacht (derzeit 720 Millionen Euro). Dieses Geld fordert Milani von den Firmen zurück und hat Klagen eingereicht. Von Siemens verlangt er mindestens 480 Millionen Reais.

Wenn der Siemens-Chef in São Paulo nun sagt: "Wir sind inzwischen ein nachweislich sauberes Unternehmen", dann entgegnet Milani kühl: "Wenn sie so sauber sind, warum kommen sie dann nicht hierher und legen das Geld auf den Tisch, das dem Bundesstaat São Paulo gehört?" Bislang sei kein Cent zurückgezahlt worden, von hundertprozentiger Kooperation mit den Behörden könne keine Rede sein. "Sie kooperieren zu null Prozent", behauptet der Staatsanwalt. Ein Vorwurf zu dem Siemens sich nicht äußern möchte, da es sich um ein laufendes Verfahren handelt.

Wahr ist allerdings, dass es bis Ende 2014 einen Kooperationsvertrag zwischen Siemens und den Behörden in Brasilien gegeben hat. Im März 2014 war diese Vereinbarung unterschrieben worden. Einer der Unterzeichner: Staatsanwalt Marcelo Milani. Laut dieser Übereinkunft verpflichtete sich Siemens, den Behörden Tausende Datensätze und Zeugenaussagen zur Verfügung zu stellen. Material, auf das auch Milani Zugriff hat. Seit drei Jahren arbeitet er an dem Fall, den er und seine Kollegen intern "Metrolão" nennen. Mancher Beobachter meint, dass er Siemens genüsslich vor sich hertreibe. Er selbst findet eher, dass die Münchner vor ihm und den brasilianischen Gesetzen wegrennen.

Siemens: Beim Bau der U-Bahnen in Sao Paulo soll es zu Kartellabsprachen gekommen sein, Siemens reichte 2013 Selbstanzeige ein.

Beim Bau der U-Bahnen in Sao Paulo soll es zu Kartellabsprachen gekommen sein, Siemens reichte 2013 Selbstanzeige ein.

(Foto: Yasuyoshi CHIBA/AFP)

Joe Kaeser rennt nicht weg. Er ist ja extra angereist, um zu verkünden: "Brasilien kann auf uns zählen, auch in den nächsten 110 Jahren." Seine Charmeoffensive auf schwierigem Terrain führte ihn auch in die Hauptstadt Brasília, wo er mit Staatspräsidentin Dilma Rousseff zusammentraf. Mit Staatsoberhäuptern habe er zuletzt gute Erfahrungen gemacht, scherzte Kaeser am Rande. Das kann man wohl sagen. Vor kurzem unterzeichnete er den größten Auftrag der Firmengeschichte: Drei Gaskraftwerke und mehrere Windparks im Wert von acht Milliarden Euro. Den Deal hatte Kaeser zuvor mit Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi verhandelt. Um solche Großaufträge dürfte es mit Rousseff jedoch nicht gegangenen sein, sie hat derzeit andere Sorgen.

Die Präsidentin ist wegen des Skandals um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras, genannt "Petrolão", in Bedrängnis geraten, was durchaus Vorteile für Siemens hat. Wurde der deutsche Konzern vor einigen Jahren in Brasilien noch als Symbol für Korruption wahrgenommen, stellt Petrobras inzwischen alle anderen Skandale in den Schatten. Staatsanwalt Milani sieht das anders: Im "Metrolão" sei noch mehr Geld veruntreut worden als im "Petrolão", rechnet er vor. Und sagt dann: Er sei sich nicht sicher, dass noch einmal 110 brasilianische Jahre Siemens-Geschichte hinzukommen. In einem schriftlichen Nachtrag zu seiner Klage bezeichnet er die im Kartell-Prozess angeklagten Firmen als "kriminelle Vereinigungen" und fordert ihre Auflösung in Brasilien. Es wäre das Ende von Siemens Limitada.

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