Siemens:Schaden macht klug

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Während sein Vorgänger, Peter Löscher, seine Versprechen nicht halten konnte und deshalb gehen musste, hat Joe Kaeser (Bild), was das Zahlenwerk angeht, bisher Wort gehalten.

(Foto: Eric Permont/AFP)

Vorstandschef Joe Kaeser ist ein Meister der Finanzmarktkommunikation. Im Herbst legte er eine sehr konservative Jahresprognose für sein Unternehmen vor. Das ließ ihm Spielraum zum Korrigieren und Überraschen.

Von Christoph Giesen

Im Januar hatte Siemens pünktlich vor der Hauptversammlung noch eine Ad-hoc-Meldung nach Börsenschluss verschickt. Die Botschaft an die Aktionäre: Siemens hebt seine Jahresprognose an. Am Donnerstag verzichtete der Konzern auf die Blitznachricht und verkündete ganz unaufgeregt mit der regulären Veröffentlichung der Zahlen für das dritte Quartal eine weitere Änderung der Prognose. Dabei hat just diese zweite etwas verschwiegen daherkommende Korrektur den weitaus höheren Nachrichtenwert.

Am Ende des Jahres werde der Gewinn pro Aktie zwischen 6,50 und 6,70 Euro liegen, teilte der Konzern am Donnerstag mit. Ein Nettogewinn von 5,5 bis 5,7 Milliarden Euro also.

Im vergangenen Herbst hatte Siemens-Chef Joe Kaeser noch verhaltener geklungen und einen ausgesprochen konservativen Ausblick vorgelegt. Je Aktie rechnete das Siemens-Management damals für das Geschäftsjahr 2016 mit einem Gewinn von 5,90 bis 6,20 Euro. Zum Vergleich: Bereits 2014 lag man bei 6,37 Euro je Aktie. Und damals arbeitete Siemens noch in den alten Strukturen, die Kaesers Vorgänger geschaffen hatte, der viel gescholtene Peter Löscher. Zur Hauptversammlung besserte Kaeser nach. Der neue Korridor: 6,00 und 6,40 Euro. Auch das: im besten Fall ganz knapp über den Löscher-Zahlen.

Nun mit neun Monaten Verspätung wagt sich der Siemens-Vorstand an eine echte Ansage. Die Anleger goutieren das. Im Laufe des Handelstages legte die Siemens-Aktie um mehr als fünf Prozent zu.

Wieder einmal zeigt sich, dass Siemens-Chef Kaeser wie kaum ein anderer Dax-Vorsteher das Spiel mit den Finanzmärkten und ihren extrem kurzfristig denkenden Investoren beherrscht. Lieber positiv überraschen als ein Versprechen nicht halten. Kaeser weiß ganz genau, was droht, wenn man sich bei Prognosen zu weit aus dem Fenster lehnt und achtet deshalb sorgsam darauf, dass seine Karriere dereinst nicht so endet wie die seines Vorgängers. Dieser hatte sich nach Diskussionen im Siemens-Vorstand, dem damals auch Kaeser als einflussreicher Schatzkanzler angehörte, dazu hinreißen lassen, eine Marge von zwölf Prozent für das industrielle Geschäft auszurufen. Zudem gab er das Ziel aus, den Umsatz mittelfristig auf 100 Milliarden Euro steigern zu wollen. An diesen zu optimistischen Prognosen scheiterte Löscher, mehrfach konnte der Konzern seine Versprechungen nicht einhalten.

Kaeser dagegen hat bislang - was das Zahlenwerk angeht - Wort gehalten. Und es ist auch schwer vorstellbar, dass er das nun gesteckte Jahresziel verpassen wird - für Siemens läuft es ganz gut. Der Umsatz legte im dritten Quartal um fünf Prozent auf 19,8 Milliarden Euro zu. Wegen höherer Steuern und Zinskosten für Rückstellungen ging der Gewinn zwar leicht von 1,36 auf 1,33 Milliarden Euro zurück, Auswirkungen auf das Jahresergebnis wird das jedoch nicht haben.

"Der jahrelang anhaltende Wachstumsverfall ist gestoppt, und der Vergleich mit dem Wettbewerb zeigt, dass wir beim Wachstum deutlich führend sind", sagte Kaeser. Dennoch warnte er vor Übermut. "Trotz eines ordentlichen Quartals wachsen die Bäume nicht in den Himmel." Erkennbar prägt ihn die Angst vor dem Löscher-Effekt.

Dabei steht Siemens im Vergleich zum Wettbewerb gut da. Während beim amerikanischen Erzrivalen General Electric (GE) und dem Schweizer ABB-Konzern die Umsätze stagnieren und die Gewinne zurückgehen, wächst Siemens. Das Orderbuch der Münchener ist so prall gefüllt wie nie zuvor. Der Auftragsbestand liegt mit insgesamt 116 Milliarden Euro auf Rekordniveau.

Der niedrige Ölpreis hat auch einen Vorteil für Siemens, die Nachfrage nach Gasturbinen steigt

Von den neun Sparten haben zuletzt acht so viel Rendite abgeworfen, wie es sich Kaeser vorstellt. Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass GE und ABB in Dollar bilanzieren und seit Monaten unter der Stärke der amerikanischen Währung leiden. Zudem hat bei GE die Integration des angeschlagenen französischen Industriekonzerns Alstom begonnen, den die Amerikaner im vergangenen Herbst nach zähen Verhandlungen übernommen haben. Und noch ein dritter Faktor macht sich zugunsten von Siemens bemerkbar: der Ölpreis. Derzeit kostet das Fass gerade einmal 40 Dollar. Zwar hat Siemens durch den kostspieligen Zukauf des Kompressorenherstellers Dresser-Rand und das Geschäft mit den Industrieantrieben, das vor allem die Ölindustrie beliefert, selbst zu kämpfen, doch gerade im Unterschied zu GE, deren Ölfördergeschäft in guten Zeit etwa 20 Milliarden Dollar Umsatz einspielt, sind die Nöte bei Siemens eher bescheiden. Und der Ölpreis hat auch positive Effekte. Eine der Begleiterscheinungen ist der niedrigere Gaspreis - und der wiederum treibt die Nachfrage an Gasturbinen, die traditionell einer der größten Umsatzbringer des Konzerns sind.

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