Siemens: Pierer bricht sein Schweigen:"Mich trifft keine Schuld"

"An vielen relevanten Stellen nicht zutreffend": Der frühere Siemens-Chef Heinrich Pierer äußert sich in der SZ erstmals öffentlich zu den Anschuldigungen im Korruptionsskandal gegen ihn - kurz bevor sich die Aktionäre in München versammeln.

Klaus Ott

Heinrich von Pierer, 68, hat lange geschwiegen. Mit keinem Wort äußerte sich der ehemalige Vorstandschef der Siemens AG in den Medien bislang zu den konkreten Vorwürfen, die sein ehemaliger Arbeitgeber im Korruptionsskandal gegen ihn erhebt.

Jetzt aber, im Vorfeld der alljährlichen Hauptversammlung der Aktionäre am Dienstag in München, erklärt sich Pierer in einer Stellungnahme für die Süddeutsche Zeitung erstmals öffentlich - nachdem ihn die SZ mit den Anschuldigungen von Siemens konfrontiert hat, die dort in einer als "streng vertraulich" gekennzeichneten Akte notiert sind.

Über seinen Anwalt Winfried Seibert aus Köln äußerte der frühere Konzernchef, er habe während seiner Amtszeit im Unternehmen "unmissverständlich klargestellt, dass etwaige Missstände abgestellt werden müssen". Er habe auch nicht gesagt, "Vertrauen sei besser als Kontrolle", wie ihm das nun von Siemens unterstellt wird.

Vielmehr habe er, schreibt Pierer, die Voraussetzungen für eine strengere Aufsicht im Unternehmen über die dort getätigten Geschäfte geschaffen. Ihn treffe keine Schuld am Korruptionsskandal, der den Industriekonzern bislang gut zwei Milliarden Euro an Geldbußen und anderen Ausgaben gekostet hat.

Siemens verlangt sechs Millionen Euro Schadenersatz von Pierer. Der Kernvorwurf: Der ehemalige Vorstandschef und weitere Top-Manager sollen nicht streng genug kontrolliert haben, was im Unternehmen vor sich ging, und so das weltweite Schmiergeldsystem möglich gemacht haben. Auch von Vertuschung ist die Rede.

Mit "Nachdruck" alles dementiert

Pierers Stellungnahme ist eineinhalb Seiten lang. So umfangreich hat sich der einstige "Mr. Siemens" noch nie zu dem Vorwurf geäußert, er sei mit schuld am Korruptionsskandal. Bislang hat er immer nur pauschal erklärt, er weise alle Anschuldigungen "mit Nachdruck" zurück; jetzt wird er erstmals konkret.

Pierer betont, er habe nicht vor, die Auseinandersetzung mit seinem ehemaligen Arbeitgeber "über die Medien" führen. Adressat seiner Einlassungen seien die "zuständigen Gremien der Siemens AG". Er wolle sich zu Details nicht äußern, was er dann aber an einigen Stellen doch macht. Einer der Hauptvorwürfe von Siemens gegen Pierer lautet, dieser habe Ende 2003 einen Reformvorschlag für ein besseres Compliance-System abgelehnt. Compliance steht für interne Kontrollen, mit denen Unternehmen Gesetzesverstöße wie etwa Schmiergeldzahlungen verhindern beziehungsweise selbst aufklären wollen.

Der Reformvorschlag von Ende 2003 stammte laut der Siemens-Akte vom damaligen Justitiar Albrecht Schäfer, der eine Art Kronzeuge gegen die frühere Konzernspitze ist. Schäfer sagte der Akte zufolge bei den internen Ermittlungen von Siemens aus, Pierer habe vor allem das Ansinnen verworfen, die Compliance-Funktion in einer Zentralstelle zusammenzufassen. Pierer habe bei einem Vier-Augen-Gespräch mit ihm, Schäfer, die damit verbundene "Außenwirkung" abgelehnt und solche Maßnahmen als unnötig dargestellt. Der damalige Vorstandschef sei für eine "diskrete" Arbeit der Compliance-Abteilung gewesen und habe gesagt, "Unruhe im Unternehmen" müsse verhindert werden. Vertrauen sei besser als Kontrolle, soll Pierer Schäfers Aussage zufolge seinerzeit geäußert haben.

Den Spieß umgedreht

Pierer teilte dazu mit, das entspreche "nicht den Tatsachen". Eine derartige Äußerung von ihm habe es in diesem Zusammenhang nicht gegeben. Im Gegenteil: Zu Beginn des Geschäftsjahres 2004/2005 sei das Compliance-System neu geordnet worden.

"Dabei wurde eine gestärkte zentrale Compliance-Kompetenz geschaffen." Die Compliance-Beauftragten der einzelnen Konzernsparten und Regionalgesellschaften seien damals dem Compliance-Chef bei Siemens, das war zu dieser Zeit Albrecht Schäfer, fachlich zugeordnet worden. Das seien über 800 Mitarbeiter gewesen, "die weltweit auf dem Compliance-Gebiet für Siemens tätig waren", schreibt Pierer.

Der Ex-Konzernchef dreht also den Spieß um und verweist auf die Verantwortung von Schäfer, der ihn, Pierer, und andere frühere Vorstände schwer belastet hat. Schäfer war ein enger Vertrauter der früheren Konzernspitze und ist, nachdem er ausgesagt hat, nach wie vor für Siemens tätig. Die neue Konzernspitze hat eine im August 2007 ausgesprochene Kündigung später zurückgenommen und eine Art Ehrenerklärung für Schäfer abgegeben.

Pierer weist auch die Anschuldigung zurück, er habe nach einem ihm Mitte 2003 bekannt gewordenen Schmiergeldverdacht in Italien keine interne Untersuchung des Vorgangs veranlasst und es zudem unterlassen, den Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats zu informieren. Der Ausschuss soll Gesetzesverstöße verhindern beziehungsweise abstellen.

Pierer entgegnet, der Vorgang in Italien sei mehrmals mit einem bei Siemens tätigen Wirtschaftsprüfer erörtert und auch mehrmals dem Prüfungsausschuss vorgetragen worden. Beim nächsten Vorwurf gegen Pierer geht es um einen weiteren Korruptionsfall in Italien, der dem damaligen Zentralvorstand von Siemens bekannt geworden war. Ein Großauftrag für die Lieferung von Gasturbinen an den Staatskonzern Enel war mit Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe erkauft worden.

Schmiergeld in Italien

Zwei Siemens-Mitarbeiter wurden in Italien wegen Bestechung verurteilt. Die beiden Beschäftigten seien aber nicht entlassen, sondern lediglich freigestellt worden und hätten hohe Abfindungszahlungen erhalten, steht in der Siemens-Akte über Pierer. Die beiden Angestellten hätten jeweils 150000 Euro für "Sonderaufgaben" erhalten. Pierer sei Ende April 2004 in einer Notiz über die "schonende Behandlung" der beiden unterrichtet worden.

Der seinerzeitige Aufsichtsratschef Karl-Hermann Baumann hat laut Aktenlage bei Siemens inzwischen ausgesagt, die von ihm und Albrecht Schäfer geforderte Entlassung der beiden Mitarbeiter sei "am Widerstand von Pierer" und einem weiteren damaligen Vorstand gescheitert.

Auch dieser Vorwurf sei falsch, teilte Pierer mit. Aufsichtsratschef Baumann und der Vorstand seien damals "in etwa zeitgleich" über diese Vorgänge informiert worden. An den mit den beiden Mitarbeitern getroffenen Vereinbarungen sei "zu diesem Zeitpunkt nichts mehr zu verändern" gewesen. Der ehemalige Vorstandschef schreibt weiter, gegenüber Siemens sei er "allen Vorwürfen ausführlich entgegen getreten", die das Unternehmen gegen ihn erhebe. Er habe angeregt, den Sachverhalt "sachlich und objektiv aufzuklären und zu bewerten". Der von Siemens bislang ermittelte Sachverhalt sei "an vielen relevanten Stellen nicht zutreffend".

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