Siemens:Labiler Frieden

Bericht: Görlitzer Siemens-Werk von Schließung bedroht

Ein Monteur steht im Görlitzer Dampfturbinenwerk von Siemens.

(Foto: Matthias Hiekel/dpa)

Siemens muss in der Sparte Kraftwerke Stellen abbauen. Betriebsbedingte Kündigungen soll es nicht geben. Wenn das nicht reicht, droht neuer Ärger.

Von Thomas Fromm

Irgendwie waren bei Siemens alle zufrieden, als die vergangene Woche endlich zu Ende war. Vorstandschef Joe Kaeser, weil er zuerst seinen monatelangen Zoff mit der Arbeitnehmerseite entschärft und einen Arbeitskampf so gerade eben noch verhindert hatte. Die politisch hochumstrittene Schließung des ostsächsischen Turbinenwerks Görlitz? Vom Tisch. Dann durfte Finanzvorstand Ralf Thomas vor einigen Tagen auch noch von einem erfolgreichen Geschäftsquartal berichten und die Gewinnprognose für das laufende Jahr um einige satte Millionen Euro nach oben ziehen. Was wollte man mehr.

Die Arbeitnehmerseite war zufrieden, weil sie eine ihrer wichtigsten Forderungen - den Verzicht auf die Görlitz-Schließung - durchsetzen und sich mit dem Management auf einen Zukunftsplan für den Konzern einigen konnte. Und weil es am Ende auch noch eine Woche wurde, in der die Siemens-Aktie kräftig zulegte, darf man annehmen, dass auch die Investoren an der Börse sehr zufrieden mit dem Lauf der Dinge waren.

Hinter den Kulissen geht das Tauziehen um Jobs und Standorte weiter

Alles gut also in der Siemens-Welt. Nur: Wie lange wird das so bleiben?

Hinter den Kulissen geht das Tauziehen um Jobs und Standorte weiter: Bis Ende September wollen Vorstand und Arbeitnehmer die Details ausverhandeln - wie viele Stellen sollen am Ende gestrichen werden? Noch im November hatte Siemens den weltweiten Abbau von 6900 Arbeitsplätzen in seiner Kraftwerkssparte angekündigt, davon etwa die Hälfte in Deutschland. Wie viele es am Ende nun sein werden, darauf wollte sich Personalvorstand Janina Kugel zuletzt nicht festlegen. Die Verhandlungspartner von der IG Metall aber gehen jetzt mit einem klaren Ziel in die nächsten Gespräche: "Ich gehe davon aus, dass es uns gelingen wird, diese Zahl mit dem vereinbarten Zukunftspakt niedriger zu halten als geplant", sagte IG-Metall-Vorstand und Siemens-Aufsichtsrat Jürgen Kerner der Süddeutschen Zeitung. Statt über die Zahl der wegfallenden Stellen spricht man in München ohnehin zurzeit lieber über Geld: Siemens wolle mit den Kürzungen einen "großen dreistelligen Millionenbetrag" einsparen, erklärte Personalvorstand Kugel vor einigen Tagen. Nach SZ-Informationen soll ein Einsparbetrag von 500 Millionen Euro weltweit im Raum stehen, an die 200 Millionen davon allein in Deutschland.

Streit könnte es vor allem bei der Frage geben, ob Siemens kündigen soll - und überhaupt darf. So wird man in den kommenden Wochen und Monaten viel über Abfindungen, Altersteilzeit und andere freiwillige Lösungen diskutieren. Auf die Frage, ob dann auch betriebsbedingte Kündigungen im Kraftwerksbereich anstünden, sagte Kugel in einer Telefonkonferenz vor einigen Tagen: Dies sei "nicht das, was wir wollen". Sie sagte aber auch: "Was sollen wir machen, wenn die freiwilligen Maßnahmen nicht ausreichen?"

Ja, was dann? Gesamtbetriebsrat und Vorstand könnten dann auf einen neuen Konflikt zusteuern, denn: Die Unternehmensleitung sieht Kündigungen sehr wohl als ultima ratio; IG Metall und Betriebsrat aber lehnen einen solchen Schritt kategorisch ab. Im Zentrum der Diskussion steht ein Papier, das 2010 von den Partnern unterschrieben wurde - das sogenannte Abkommen von Radolfzell. Es sieht vor, dass keine Standorte geschlossen oder verlagert und betriebsbedingte Kündigungen nur mit Zustimmung der IG Metall und dem Betriebsrat ausgesprochen werden können. Alle üblichen Spar- und Jobmaßnahmen müssen ausgeschöpft sein. "Ich gebe zu, es ist ein Kompromiss, den wir hier erzielt haben", sagt Aufsichtsrat Kerner von der IG Metall zu der in der vergangenen Woche gefundenen Einigung. "Aber das Abkommen von Radolfzell wurde nicht in Frage gestellt. Und das bedeutet: Es kann zwar Personalabbau geben, aber keine betriebsbedingten Kündigungen." Denn, so der Arbeitnehmervertreter: "Dass man in einem Bereich wie der Kraftwerkssparte betriebsbedingt kündigen kann, wenn es in anderen Bereichen hervorragend läuft", sei "eine Illusion".

Vieles wird also davon abhängen, wie es demnächst in der Kraftwerkssparte mit ihren großen Turbinen für Gas- und Dampfkraftwerke läuft. Die Aussichten sind mehr als mau. Die Energiewende drückt aufs Geschäft, nachgefragt werden vor allem Ausrüstungen für erneuerbare Energien und kleinere, dezentrale Kraftwerke, keine Großturbinen. Vor allem drei Hersteller gibt es hier noch, sie heißen Siemens, General Electric und Mitsubishi. Drei Industriegiganten, die sich einen immer kleineren Markt teilen müssen. Es werde "in naher Zukunft keine Erholung" am Markt geben, prognostiziert auch Siemens-Aufsichtsrat Kerner. Dies sei das "Dramatische an der Lage".

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