Siemens klagt gegen Ex-Vorstände:Durchgriff nach ganz oben

Der frühere Korruptionsjäger Albrecht Schäfer lieferte der neuen Siemens-Spitze die entscheidenden Hinweise für die Schadensersatzklagen gegen den alten Vorstand.

Klaus Ott

Der Zeuge Albrecht Schäfer konnte kaum erwarten, dass es losging, als er vorige Woche vor dem Münchner Landgericht erschien. Kaum hatte der frühere Korruptionsjäger von Siemens Platz genommen und Name, Alter sowie seinen beruflichen Werdegang genannt, da sprudelte es auch schon aus ihm heraus.

Siemens klagt gegen Ex-Vorstände: Einst Korruptionsbekämpfer bei Siemens, nun einer der wichtigsten Zeugen.

Einst Korruptionsbekämpfer bei Siemens, nun einer der wichtigsten Zeugen.

(Foto: Foto: dpa)

Schadensersatzklagen gegen zehn Ex-Vorstände

Beinahe im Minutentakt schilderte der Wirtschaftsjurist anhand vieler Begebenheiten, was der frühere Vorstand des Industrieunternehmens von schwarzen Kassen gewusst habe. Und wie es die alte Konzernspitze unterlassen habe, im eigenen Haus für Ordnung zu sorgen. Schäfer war der wichtigste Zeuge im ersten Prozess in der Schmiergeldaffäre bei Siemens. Am Montag will das Landgericht das Urteil über einen ehemaligen Siemens-Direktor sprechen, der Schwarzgeldkonten verwaltet hat.

Über die Verantwortung des ehemaligen Vorstands wird in diesen Tagen im Unternehmen selbst geurteilt. Der Aufsichtsrat will ebenfalls kommende Woche Schadensersatzklagen gegen zehn langjährige Top-Manager beschließen, einschließlich der früheren Konzernchefs Heinrich von Pierer und Klaus Kleinfeld.

Den Durchgriff nach ganz oben macht vor allem Schäfer möglich, er hat die entscheidenden Hinweise geliefert. Der vielsprachige und bei Siemens weit in der Welt herumgekommene Rechtsexperte war lange Konzernjustitiar und von Oktober 2004 bis Dezember 2006 schließlich Anti-Korruptionsbeauftragter.

Informationen über schwarze Kassen

Was er da erlebt hat, schilderte er in den vergangenen Monaten den internen Ermittlern bei Siemens ebenso wie der Münchner Staatsanwaltschaft und nun vor Gericht. Seinen Erzählungen zufolge muss sich der alte Vorstand verhalten haben wie die berühmten drei Affen: Nichts sehen, nichts hören, nichts riechen, obwohl es ziemlich gestunken hat, wie der Vorsitzende Richter Peter Noll im Prozess einmal wörtlich sagte.

Die ersten Informationen über schwarze Kassen hat Schäfer nach seinen Angaben Anfang des Jahrzehnts der Konzernspitze gegeben. Schweizer Ermittler hatten nach Konten in Österreich geforscht, über die offenbar Schmiergeld in Millionenhöhe an den vormaligen, bereits verstorbenen nigerianischen Präsidenten Sani Abacha geflossen war. Die Konten gehörten einem Siemens-Angestellten aus München. Die Rechtsabteilung des Konzerns kümmerte sich um den Fall und wollte verhindern, dass die Behörden in der Schweiz Zugriff auf die Kontounterlagen erhielten.

Als Zeuge sagte Schäfer nun vor Gericht, er habe den damaligen Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger wiederholt darüber unterrichtet, etwa am 6.Februar und 2. Juni 2001. "Damit waren die Dinge in den letztverantwortlichen Händen im Unternehmen. Wir haben das mit aller Deutlichkeit erzählt." Richter Noll hakte nach. Waren also Gelder aus Siemens herausgeschleust worden.

Schäfers Antwort: "Ja." Frage Noll: "Waren das schwarze Kassen? "Jawohl", bestätigte Schäfer. Zusatzfrage Noll: Was sei unternommen worden, um solche Dinge bei Siemens fortan zu verhindern? Schäfer berichtete, er habe im Vorstand einen allgemeinen Vortrag darüber gehalten, dass es "keine nicht gebuchten Konten im Unternehmen geben" dürfe. Anlass sei der Gang an die New Yorker Börse im März 2001 gewesen. Die dortige Börsenaufsicht ist bekannt für ihr strenges Vorgehen gegen Korruption.

30 Vorschläge abgelehnt

Laut internen Vermerken und Schäfers Zeugenaussage erhielt der Vorstand in den Folgejahren zahlreiche Hinweise auf Schmiergelddelikte und Mängel im internen Kontrollsystem. Allein über den Fall Enel in Italien habe er "x-mal berichtet", sagte Schäfer vor Gericht. Siemens hatte sich, wie die Justiz in Mailand herausfand, einen Großauftrag für die Lieferung von Gasturbinen mit Bestechung erkauft.

Dem Vorstand habe er die Erkenntnisse der italienischen Justiz ungeschminkt mitgeteilt, erzählte Schäfer. Dazu habe auch die Botschaft gezählt, "Korruption ist Bestandteil der Unternehmensstrategie". Diesen Satz habe er bei einer Vorstandssitzung am 31. Mai 2005 gesagt. Zu diesem Zeitpunkt war Kleinfeld bereits Konzernchef, sein Vorgänger Pierer leitete den Aufsichtsrat.

Ein halbes Jahr vorher hatte Schäfer nach seinen Angaben zwei Vorständen über Konten berichtet, die in Liechtenstein aufgeflogen waren. Er habe damals gefordert, sämtliche Beraterverträge sofort fristlos zu kündigen. Solche Verträge galten als problematisch, inzwischen hat sich herausgestellt, dass viele Bestechungsdelikte über solche Abkommen abgewickelt worden waren. Einen der beiden Vorstände habe er gebeten, sagte Schäfer, "darüber mit Pierer zu reden". Was daraus geworden sei, wisse er nicht.

Ausweichende Antwort an Ackermann

"Mein Kampf gegen die Beraterverträge fing 1999 an", sagte Schäfer vor Gericht. Schon damals habe er im Vorstand darauf hingewiesen, diese Abkommen sollten beendet werden. "Wir mussten immer wieder und wieder mahnen", berichtete der frühere Anti-Korruptionsbeauftragte über seine Arbeit und die seiner Kollegen. Geschehen sei aber wenig, trotz gegenteiliger Beteuerungen. Er habe dagegen nichts machen können. "Ich kann einem Vorstand nicht ins Gesicht sagen, ich glaube ihm nicht."

Mehr als 30 Vorschläge, wie sich die internen Regeln und Kontrollen verbessern ließen, hat der alte Vorstand laut Schäfer abgelehnt. Der Aufsichtsrat als Kontrollgremium hat davon wohl nichts erfahren, jedenfalls steht nichts dergleichen in den Protokollen. Josef Ackermann, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, hat im Aufsichtsrat mal gefragt, ob es Anhaltspunkte für Lücken im internen Kontrollsystem gebe. Die Antwort lautete, die bestehenden Regelwerke seien ausreichend.

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