Siemens (I):Zu neuen Ufern

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Seit August 2013 ist Joe Kaeser Siemens-Chef, er baute Jobs ab, auch in der Verwaltung und in der Zentrale. (Foto: Odd Andersen/AFP)

Seit dem Amtsantritt von Joe Kaeser hat Siemens bereits einige Topmanager verloren. Die machen jetzt woanders Karriere - als Sanierer bei Eon, Airbus, der Deutschen Bahn oder bei der Stahlfirma Georgsmarienhütte.

Von Caspar Busse und Christoph Giesen, München

Plötzlich steht Michael Sen, 46, ganz vorne. Seit Juni ist er im Vorstand des Düsseldorfer Energiekonzerns Eon für Finanzen zuständig, an diesem Mittwoch nun wird er einen spektakulären Verlust in Milliardenhöhe verkünden müssen, vor allem aufgrund sehr hoher Abschreibungen auf Kohle- und Gaskraftwerke. Zusammen mit Konzernchef Johannes Teyssen arbeitet Sen, der als brillanter Manager gilt, an einem der schwierigsten Projekte der deutschen Unternehmenswelt - an der Aufspaltung von Eon.

Sein gesamtes Berufsleben hatte Sen zuvor bei Siemens verbracht, mit 19 Jahren fing er im Konzern eine Lehre als Industriekaufmann an. Er galt lange als einer der Vertrauten des heutigen Siemens-Chefs Joe Kaeser, war unter anderem für die Betreuung der großen Siemens-Investoren zuständig. Am Ende wurde er nach der Beförderung Kaesers zum Konzernchef, sogar als neuer Finanzvorstand gehandelt, doch er kam nicht zum Zug. Vor einem guten halben Jahr dann verkündete Sen seinen Abschied.

Gleich mehrere Vorstände mussten seit Mitte 2013 ihren Platz räumen

Sen ist nicht der einzige Topmanager, der Siemens in den vergangenen Monaten verlassen hat und nun woanders in der ersten Reihe Karriere macht. Die Unruhe bei Siemens ist groß, Kaeser baut Stellen ab, auch in der Verwaltung und in der Zentrale, besetzt viele Positionen neu. Da schaut sich der eine oder andere woanders um. "Wir haben einige Bewerbungen von Siemens-Leuten auf dem Tisch liegen", heißt es bei einem Konkurrenten. Siemens findet die Abgänge nicht beunruhigend. "Die jüngsten Veränderungen sind erneut ein Beweis, dass Siemens eine Talentschmiede über den eigenen Bedarf hinaus für die deutsche Wirtschaft und internationale Unternehmen ist", so ein Sprecher.

Mitte Oktober verkündetet beispielsweise Dirk Hoke, 45, seinen Abgang. Er wird Anfang 2016 Mitglied des Konzernvorstands der Luft und Raumfahrtkonzerns Airbus und künftig die Verteidigungs- und Raumfahrtsparte mit insgesamt 14 Milliarden Euro Umsatz verantworten. Hoke, ein studierter Maschinenbauingenieur, heuerte wie Sen schon früh, im Jahr 1996, bei Siemens an, galt als hoffnungsvoll und machte in mehreren Bereichen des Konzerns Karriere, am Ende war er Divisionschef, kam aber offenbar nicht weiter.

Ähnlich erging es Jürgen Wilder, 45. Der langjährige Siemens-Manager war im Konzern zuletzt für ICE-Hochgeschwindigkeits- und Regionalzüge zuständig, er sollte den Bereich sanieren und war mit der Aufgabe noch von Kaesers Vorgänger Peter Löscher beauftragt worden. Nun geht Wilder zu einem der besten Siemens-Kunden, zur Deutschen Bahn. Dort soll er den angeschlagenen Deutsche-Bahn-Güterverkehr wieder flott machen. Er wird von Dezember an Chef von DB Schenker.

Sen, Hoke und Wilder übernehmen schwierige Sanierungsfälle, wie auch Michael Süß, 51. Der Oberbayer war lange im Siemens-Vorstand für den größten Umsatzbringer, den Energiebereich, zuständig. Im vergangenen Jahr schied auch er aus, Konzernchef Kaeser engagierte anstelle von Süß die Amerikanerin Lisa Davis für den Job.

Immerhin acht Jahre war Süß bei Siemens, drei Jahre im Vorstand. Jetzt ist er der Chef der Unternehmensgruppe Georgsmarienhütte, die unter anderem im Stahlbereich tätig ist. Gleichzeitig wurde er zum Vorsitzenden des Verwaltungsrats des Schweizer Industriekonzerns Oerlikon berufen. Hier ist die Finanzfirma Renova beteiligt, bei der übrigens Ex-Siemens-Chef Löscher arbeitet. Ohnehin mussten einige Siemens-Vorstände aus der Löscher-Ära gehen, neben Süß auch Brigitte Ederer, Peter Solmssen, Barbara Kux und Hermann Requardt. Sie wurden von Kaeser teilweise durch Vertraute ersetzt. Der neue Konzernchef hat also grundlegend umgebaut, nicht immer ging das ohne Schlagzeilen.

Hat das Image des Münchner Konzerns gelitten? Seit Jahren war Siemens immer einer der beliebtesten Arbeitgeber der Republik. In diesem Jahr rutschte der Konzern beim jährlichen Ranking erstmals aus den Top 10. Die Nachrichten über den Abbau von Arbeitsplätzen hätten Siemens ein Drittel aller potenziellen Bewerber gekostet, heißt es. Noch deutlicher bekam Siemens-Chef Kaeser vor wenigen Wochen gezeigt, wie sein Unternehmen inzwischen wahrgenommen wird. Er war als Gastredner bei einer Start-up-Konferenz an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. In die große Aula waren rund 800 Zuhörer gekommen. Kurz vor Ende fragte der Moderator, wer denn nach dem Studium ein paar Straßen weiter in der Siemens-Zentrale anfangen wolle. Als er noch Student gewesen sei, vor etlichen Jahren, da hätten alle zu Siemens gewollt, fügte er an. Diesmal meldeten sich nur vier, vielleicht fünf Studenten, mehr nicht.

© SZ vom 11.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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