Siemens: Gert-René Polli:Wiener Melange mit Schuss

Schon früher wurden Gert-René Polli, dem Ex-Sicherheitschef von Siemens, dubiose Verbindungen nach Iran vorgeworfen. Jetzt hat ihn die Vergangenheit eingeholt.

Michael Frank und Martin Hesse

Eine der Traditionen aus dem Erbe des Imperiums, die das republikanische Österreich auch heute fortspinnt, ist die Lust an Verschwörungstheorien. Der Fall des 49-jährigen Österreichers Gert-René Polli, dessen Amtszeit als Sicherheitschef des Weltkonzerns Siemens soeben unrühmlich endete, lässt die Spekulationen blühen.

Siemens, AP

Die Amtszeit von Gert-René Polli als Sicherheitschef bei Siemens ist unrühmlich geendet.

(Foto: Foto: AP)

Kann es sein, dass die Leitung eines so gigantischen Unternehmens so naiv und ahnungslos war, einen Mann zu engagieren, ohne von dessen einst allzu dichten Kontakten zum Geheimdienst von Iran zu wissen? Oder hat man sehenden Auges einen teilweise gescheiterten Beamten schlichtweg "versorgt"?

Das entspräche den in Österreichs Gesellschaftszirkeln üblichen Usancen, zumal Manager oft noch durch studentische und andere Bünde bestens vernetzt sind. Doch diese Erklärung wäre für Wiens Gerüchteküche zu einfach, hier liebt man komplexere Konstrukte: Könnten nicht gerade die Schatten auf Pollis Tätigkeit in Österreich der Grund gewesen sein, ihn anzustellen? Was, so raunt die Fama, bezweckte seine Bestellung für einen Konzern, der damals wegen der Korruptionsaffäre weltweit im Gerede war? Und was wäre jetzt die höhere Weisheit dahinter, ihn wieder hinauszubefördern?

Connection - oder Expertise?

Als Polli im Herbst 2008 zu Siemens stieß, regierte dort seit gut einem Jahr sein Landsmann Peter Löscher. Pollis Vorgänger Norbert Wolf hatte den Konzern nach 21 Jahren verlassen. Ihm wurde ein kurzer Draht zu Löschers Vorvorgänger Heinrich von Pierer nachgesagt. Was läge da näher als die Vermutung, auch Löscher habe als Nachfolger einen Sicherheitschef gewählt, mit dem ihn mehr verbindet als die gemeinsame Heimat? Siemens weist diese Darstellung zurück.

Löscher habe Polli vorher nicht gekannt und ihn auch nicht persönlich engagiert. Der Verweis auf die Österreich-Connection greife auch deshalb nicht, heißt es in Konzernkreisen, weil Löscher seit mehr als zwei Jahrzehnten außerhalb Österreichs arbeite. Zuständig für das Sicherheitsmanagement ist bei Siemens Arbeitsdirektor Siegfried Russwurm. Ob er Polli trotz oder gerade wegen dessen Vergangenheit ausgewählt hat, dazu schweigt der Konzern. Im Siemens-Umfeld heißt es, natürlich habe der Mann aufgrund seines beruflichen Werdegangs die Expertise, die der Sicherheitschef eines Weltkonzerns brauche.

Der Kärntner Polli, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, kam im Jahr 2002 vom Auslandsgeheimdienst des österreichischen Bundesheeres an die Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). 2007 willigte Polli ein, seinen Vertrag nicht zu verlängern.

Sonst, so die allgemeine Lesart in Österreich, hätte ihn der Innenminister offiziell hinausgeworfen. Die Liste der Vorwürfe war lang, wobei seine Art, politisch sensible Unebenheiten in seinem Amt mit harter Hand zu glätten, was ihm intern viele Feinde machte, noch als sympathisch gelten kann. Als Folge aber sei das Verfassungsschutzamt in einander feindlich gesinnte Fraktionen zerfallen. Damals verhöhnte man intern das BVT in Wien als "Polli-Klinik".

Hauptvorwurf waren aber undurchsichtige Kontakte zum iranischen Geheimdienst. In seine Amtszeit fielen umstrittene Lieferungen von Handfeuerwaffen nach Iran, von denen einige später in Händen irakischer Terroristen auftauchten. Nach einem Besuch in Teheran ließ sich Polli alle Daten von Asylanten und Exilanten aus dem Mullah-Staat kommen.

Welcher Schaden Siemens droht

Der ungeheuerliche Verdacht, diese brisanten Informationen seien in der iranischen Botschaft gelandet, wurde nie geklärt. Amerikaner und Briten kündigten die Zusammenarbeit mit dem obersten österreichischen Terrorismusbekämpfer auf. Die Russen reagierten zugeknöpft. Bei der Besetzung einschlägiger Kommissionen wurde Polli gezielt übergangen. Nach seiner Demission beim BVT heuerte der Staatsschützer bei dem privaten Sicherheitsdienst Group4 an, ehe Siemens ihn engagierte.

Aktuell liegt Wien ein Rechtshilfeersuchen aus Deutschland vor, in dem undurchsichtige iranische Aktivitäten aufgehellt werden sollen, die aus Pollis Amtszeit datieren, ohne dass ausdrücklich gegen ihn ermittelt würde. Doch unter anderem daher dürfte der raue Wind wehen, den Polli bei Siemens zuletzt verspürte.

Furcht vor politischer Kampagne

In Konzernkreisen heißt es, der Sicherheitschef habe eine politische Kampagne gegen sich gefürchtet. Vor allem die USA sollen ein Problem mit Pollis undurchsichtigen Beziehungen zu Iran gehabt haben. Wenngleich er sich zu unrecht angegriffen fühle, so heißt es weiter, habe Polli das Gespräch über eine Auflösung seines Vertrages gesucht, um Schaden von Siemens abzuhalten. Ein Nachfolger wird noch gesucht; dass Pollis Vorgänger Wolf zurückkehrt, gilt in Konzernkreisen als unwahrscheinlich.

Der mögliche Schaden für Siemens muss auch Löscher spätestens in den vergangenen Wochen klar geworden sein. Anfang Oktober ist dem Konzern in Los Angeles einen Großauftrag für Hochgeschwindigkeitsbahnen entgangen. Der Bürgermeister der Stadt begründete die Entscheidung auch mit Geschäftsbeziehungen der Münchner nach Iran. Das Joint Venture Nokia Siemens Networks liefert eine Überwachungstechnologie dorthin. Verboten sind solche Geschäfte nicht, den Amerikanern aber sind sie ein Dorn im Auge - zumal Siemens seit der Schmiergeldaffäre in den USA besondere Aufmerksamkeit genießt.

Österreichs Öffentlichkeit elektrisiert das Thema Iran immer wieder. Schon zu Zeiten des Irak-Iran-Krieges gab es unerlaubte Lieferungen schwerer Artillerie aus Österreich in die Region, mit schmerzlichen gerichtlichen Folgen für österreichische Politiker und Manager. Vor mehr als zwanzig Jahren wurden vier Kurdenführer von Iranern in Wien ermordet. Eine Tat, in die sogar der heutige iranische Präsident Ahmadinedschad als Mitglied der Revolutionsgarden verwickelt gewesen sein soll. All das gibt dem Fall Polli eine flackernde Aura, deren Schlaglichter den nachmaligen Siemens-Mann in der Tradition der österreichischen Verschwörungstheorien aber vielleicht auch greller beleuchten, als er es verdient hätte.

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