Siemens-Chef Löscher:"Die Krise wurde von Menschen gemacht"

Siemens-Chef Peter Löscher über Fehler von Bankern, verantwortungslose Finanzjongleure - und seine Lehren aus der Finanzkrise.

M. Balser und Th. Fromm

Siemens-Chef Peter Löscher fordert von der Wirtschaftselite mehr Verantwortung in der Krise. Bankmanager müssten ihre Fehler eingestehen, Industriebosse den geforderten Optimismus auch selbst vorleben. Schwarzmalerei verschärfe die Probleme, warnt Löscher.

Siemens-Chef Löscher: Siemens-Chef Peter Löscher: "Die Geschäfte laufen derzeit noch weitgehend stabil."

Siemens-Chef Peter Löscher: "Die Geschäfte laufen derzeit noch weitgehend stabil."

(Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Löscher, die Weltwirtschaft steht vor einer gewaltigen Krise. Strauchelnde Banken, taumelnde Aktienmärkte, Milliardenkonzerne vor dem Aus. Sind Sie auch in Sorge um die Zukunft Ihres Konzerns?

Peter Löscher: Nein. Ich bin überzeugt davon, dass Siemens gut darauf eingestellt ist und die Krise auch Chancen eröffnet. Aber Spuren wird es auch bei uns geben.

SZ: Ein Großteil Ihrer Kollegen in Chefetagen ist in diesen Tagen eher depressiv. Sie machen auf Optimismus. Meinen Sie das ernst?

Löscher: Wir sind zuversichtlich. Die Geschäfte laufen derzeit noch weitgehend stabil. Wir haben uns früh vorbereitet. Außerdem haben wir als großer deutscher Konzern eben auch eine Verantwortung für den Standort Deutschland. Ich sehe es als Pflicht, unsere Sicht nach vorne in die öffentliche Debatte einzubringen, und das ist ein positives Signal.

SZ: Gehört es zur Verantwortung von Managern, Menschen zu ermutigen statt zu entmutigen?

Löscher: Ja, denn man kann das Ausmaß einer Krise auch durch Reden vergrößern.

SZ: Sehen Sie diese Gefahr?

Löscher: Absolut. In der Krise sind die Wirtschaftslenker gefragt. Wir müssen der Gesellschaft Kraft und das Vertrauen geben, um durch die Krise zu gehen. Klar: Die Zeiten sind nicht einfach. Aber ich würde es mir zu leicht machen, mich vor meine Leute zu stellen und zu sagen: "Es ist alles fürchterlich."

SZ: Welche Verantwortung haben Politik und Medien?

Löscher: Eine große, und dessen müssen sie sich bewusst sein. Wenn ich Menschen über längere Zeiträume hin stark verunsichere, kann ich nicht erwarten, dass sie sich normal verhalten und konsumieren.

SZ: Ausgerechnet jetzt ist das Vertrauen in Manager so schlecht wie nie.

Löscher: Stimmt. Zum Teil sogar zu Recht. Die Krise zeigt, dass wir nachhaltiger arbeiten müssen. Dass wir uns auf Dinge konzentrieren müssen, die wir wirklich verstehen und keine unkalkulierbaren Risiken eingehen.

SZ: Müssen Banker endlich Fehler einräumen?

Löscher: Einzelne haben das gemacht, und das war auch gut und richtig so. Denn es ist zu einfach zu sagen, das System war es. Diese Krise wurde von Menschen gemacht.

SZ: Der frühere AIG-Chef Robert Willumstad hat wegen der Schieflage des Versicherungskonzerns auf eine Millionenabfindung verzichtet ...

Löscher: Solche Gesten helfen. Sie zeigen Verantwortungssinn.

Lesen Sie weiter, warum die Welt eine neue Finanzarchitektur benötigt.

"Die Krise wurde von Menschen gemacht"

SZ: Jahrelang zockten gierige Finanzjongleure mit hochriskanten Wertpapieren und fügten der Wirtschaft schwere Schäden zu. Haben wir dazugelernt, oder stehen wir in einigen Jahren wieder da, wo wir heute sind?

Löscher: Für mich ist klar: Wir müssen reagieren. Die Welt braucht eine neue Finanzarchitektur. Es wird neue Spielregeln geben, die für mehr Transparenz sorgen. Und das ist nötig. Nur 20 Prozent der Finanzströme stehen in Verbindung mit der Realwirtschaft. Die restlichen 80 Prozent sind Verpackungen riskanter Finanzinstrumente. Das geht so nicht.

SZ: Was sind Ihre persönlichen Lehren aus der Krise?

Löscher: Es gibt vier. Erstens: Verstehe dein Geschäft! Zweitens: Schuster bleib bei deinen Leisten! Die dritte ist: Schätze Risiken richtig ein! Die vierte Lehre: Handle entschlossen!

SZ: So entschlossen wie beim Abbau von 17.000 Jobs bei Siemens?

Löscher: Wir haben immer gesagt, wir wollen ein wachsendes Unternehmen mit schlanken Verwaltungen sein. Weniger Stellen in der Verwaltung, ja, das war notwendig, und das sehen mittlerweile auch viele Kritiker so. Zeitgleich haben wir außerhalb der Verwaltung 17.000 neue Stellen geschaffen. Aber mir ist auch klar: Siemens lebt von motivierten Mitarbeitern. Dafür die passende Atmosphäre zu schaffen, ist eine der wichtigsten Aufgaben des Managements und somit auch von mir.

SZ: Haben Sie keine Angst, von Ihren Mitarbeitern als zu hart wahrgenommen zu werden?

Löscher: Ich hoffe, dass der Siemens-Vorstand und ich persönlich wahrgenommen werden als ehrlich, entschlossen und als Team, das sich durch Nachhaltigkeit leiten lässt. Dass ich konsequent und nach der Devise "Tempo, Tempo" vorgehe, müsste auch angekommen sein.

SZ: Ist das die neue Löscher-Kultur?

Löscher: Es gibt eine Siemens-Kultur mit neuen Elementen und etablierten Werten, keine Löscher-Kultur. Ich brauche und will keinen Löscher-Kult. Ich will auch nicht Mr. Siemens sein, das ist mir nicht wichtig.

SZ: Was ist Ihnen wichtig?

Löscher: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Da gab es bei Vorstandssitzungen früher die berühmte blaue Mappe, da war jede Entscheidung als Vorlage vorbereitet. Da wurde kurz durchgesprochen, Unterschrift, fertig. Alles war extrem formalistisch. Wir haben heute offene Diskussionen miteinander. Wir tauschen uns aus, dann entscheiden wir gemeinsam. Die Führungskultur hat sich schon sehr stark verändert.

SZ: Es hat weder an blauen Mappen noch an straffen Hierarchien gemangelt. Dennoch die gigantische Schmiergeldaffäre. Was hat gefehlt - Moral?

Löscher: Es hat an Führungskultur gefehlt. Es hat Führungskräfte gegeben, die haben diese berühmte rote Linie übersehen oder bewusst überschritten. Als Führungspersönlichkeit müssen Sie sich aber eindeutig positionieren - und sagen: Wir stehen für saubere Geschäfte, immer und überall. Da gibt es bei mir keine Grauzone. Das ist auch die Kultur, die ich mir wünsche und die ich einfordere.

Lesen Sie weiter, wie Peter Löscher auf dem Teppich bleibt.

"Die Krise wurde von Menschen gemacht"

SZ: Ist Moral nicht manchmal schlecht fürs Geschäft?

Löscher: Da kann ich nur sagen: Das einzig gute Geschäft ist ein nachhaltiges. Das haben wir bitter erfahren müssen. Jetzt haben wir schon 2,5 Milliarden Euro für die Aufarbeitung der Affäre ausgegeben. Wenn Sie darüber hinaus schauen, wie viele Stunden Mitarbeiter mit der Aufarbeitung verbracht haben ...

SZ: Mussten Sie jemals selbst zwischen Moral und Profit abwägen?

Löscher: Mich hat zwar niemand gefragt, ob er mich mal schmieren darf. Aber natürlich war ich solchen Situationen ausgesetzt. Ich war schon vor meiner Zeit bei Siemens in Geschäften tätig, wo man glaubte, man könne mit Geld nachhelfen. Ich kenne das alles - habe das aber stets kategorisch abgelehnt. In solchen Situation muss man konsequent bleiben.

SZ: Sie sind geerdet genug, um solchen Versuchungen zu widerstehen?

Löscher: Ich bin extrem geerdet - von Kindheit an. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, meine Eltern waren Waldbesitzer. Demut vor der Natur habe ich früh gelernt. Und dass man auf dem Teppich bleiben und normal bleiben muss. Auch als Chef eines Weltkonzerns. Wir Manager haben alle nur eine geliehene Autorität. Keiner sollte sich deswegen überschätzen.

SZ: Gibt es im Leben eines Siemens-Chefs eigentlich noch alltägliche Dinge - oder schwebt er nicht schon völlig über den Wolken? Hand auf's Herz: Geht ein Peter Löscher noch selbst einkaufen?

Löscher: Na klar, im Supermarkt, was denken Sie denn? Außerdem habe ich kleine Kinder. Die bringen mich immer wieder auf den Teppich zurück. Kinder wollen 100 Prozent Aufmerksamkeit, da können Sie nicht abheben. Ich lebe mit meiner Familie ganz normal. Wir gehen einkaufen, fahren Fahrrad, spielen Tennis, wandern. Das gibt mir Kraft und das bedeutet Normalität.

SZ: Werden Sie in München denn nicht auf Schritt und Tritt erkannt?

Löscher: Ja, es gibt solche Viertel. Aber es gibt auch andere - wo viele junge Leute oder solche mit anderem kulturellem Hintergrund leben. Da bin ich einer von vielen. In solchen Gegenden fühle ich mich wohl. Ich lebe auch in so einer Gegend. Ich mag buntes Treiben und Vielfalt. Mich hinter hohen Zäunen und Mauern verstecken - das könnte ich nicht.

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