Siemens-Betriebsräte tagten:"Überall Misstrauen"

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Während der Siemens-Vorstand vor allem aus den Schlagzeilen kommen möchte, fordern die Mitarbeiter Aufklärung. Sie fürchten um die Existens des Konzerns.

Markus Balser und Karl-Heinz Büschemann

Es sollte der Tag der Begegnung werden, doch es wurde die Stunde der Enttäuschung. Etwa 600 Siemens-Betriebsräte trafen sich in der vergangenen Woche im Berliner Estrel-Hotel zu ihrer Jahrestagung.

Siemens-Betriebsräte sind enttäuscht vom laxen Vorgehen bei der Aufklärung der Korruptionsaffäre. (Foto: Foto: Patrizia Odyniec)

Nach Korruptionsaffäre, Handydesaster und Gehälterdiskussion warteten sie mit Spannung auf die Rede von Vorstandschef Klaus Kleinfeld. Doch daraus wurde nichts. Kleinfeld sagte seine Teilnahme kurzfristig wegen anderer Verpflichtungen ab, stattdessen sprach Arbeitsdirektor Jürgen Radomski.

"Es ging ein Raunen durch den Saal", erinnern sich Teilnehmer. Die Betriebsräte hätten auf ein klares Wort des Konzernchefs zum Korruptionsfall und zur aktuellen Lage gehofft, sagt einer. "Die Verunsicherung im Unternehmen ist so groß wie noch nie."

Enttäuschung gepaart mit Misstrauen

Das Treffen in Berlin gibt die Stimmung im Unternehmen wieder. Die Enttäuschung über den Bestechungsskandal und die Verstrickung von Spitzenmanagern mische sich mit Misstrauen über ihre Führung, sagt einer.

Einig sind sich die Betriebsräte darüber, dass es in der Diskussion um Gründe der Affäre längst nicht mehr um den klassischen Konflikt zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, zwischen Untergebenen und Führungskräften geht. Hier geht es um den ganzen Konzern.

"Es steht viel auf dem Spiel. Wir erleben eine sehr ernste Situation", sagt ein Betriebsrat aus Norddeutschland. "Die meisten Mitarbeiter des Konzerns sind schockiert." Wenn die Staatsanwaltschaft von "Bandenbildung" spreche, gehe das den Beschäftigten besonders nahe. "Das Unternehmen wird in seinen Grundfesten erschüttert."

Noch nie dagewesene Ausmaße

An einen Skandal solchen Ausmaßes kann sich auf der Betriebsrätetagung jedenfalls niemand erinnern. "Und das Schlimme ist: Wir wissen nicht, was noch kommt, wer ist noch alles verstrickt ist."

Die Sorgen um die Folgen sind verständlich, denn selbst an den Kapitalmärkten führt der Skandal, der den Konzern seit mehr als zwei Wochen durchschüttelt, zunehmend zu Unruhe.

Siemens sei bei den Prinzipien guter Unternehmensführung immer vorne mitmarschiert, sagen Börsianer in Frankfurt. Doch inzwischen werde deutlich, dass die Kontrollmechanismen offensichtlich versagt hätten, sagt Henning Gebhardt, Fondsmanager der Deutsche-Bank-Tochter DWS.

Fehlende Signale nach außen

Das interne Kontrollsystem bei Siemens müsse überprüft werden. Wenn die Affäre noch größere Kreise ziehe, drohten Folgen für die Aufträge, glaubt Gebhardt. Noch immer gebe es keine eindeutigen Signale, dass nun das Kontrollsystem des Konzerns, der ein Aushängeschild der deutschen Wirtschaft ist, auf den Kopf gestellt werde, heißt es in Investorenkreisen.

Der Vorstand unter Klaus Kleinfeld verunsichert die Finanzmärkte wie die eigene Belegschaft. Obwohl der jüngste Konflikt schon über zwei Wochen die Medien beschäftigt und die Mitarbeiter praktisch nur aus den Zeitungen erfahren, was bei Siemens los ist, gibt der Konzernchef nach außen noch immer keine unmissverständlichen Signale gegen die Praxis der Korruption.

Angesichts des größten Schmiergeldfalles, den die Münchner Staatsanwaltschaft je in der Hand hatte, setzt Kleinfeld dem Eindruck nicht viel entgegen, dass Siemens die Praxis der Bestechung bei der Vergabe von Auslandsaufträgen, die bis 1999 offiziell erlaubt war, noch immer stillschweigend toleriert.

Da hilft es auch nicht viel, dass der Konzern seit fünf Jahren klare Verhaltensregeln hat. Ein inzwischen ausgeschiedener Top-Manager sagt: "Das Unternehmen müsste sich nach außen klarer äußern". Es müsste bei Verletzung der Verhaltensrichtlinien die Verfehlungen einzelner Mitarbeiter sofort für alle anderen sichtbar ahnden. "Man muss bei Verfehlungen sehr konsequent sein".

Personalressort muss Verantwortung für Skandal tragen

Die Verantwortung für die zurückhaltende Reaktion trage das Personalressort: "Die müssen sich fragen lassen, was sie in der Vergangenheit in solchen Fällen gemacht haben". Ein Unternehmen müsse allen Verdachtsmomenten nachgehen, auch einmal Stichproben machen "und bei Verstößen sichtbar zeigen, was die Konsequenzen sind".

Damit scheint Siemens aber Schwierigkeiten zu haben, oft entsteht der Eindruck, der Konzern gehe bei Verdacht auf Verstöße gegen die Verhaltensvorschriften nur halbherzig vor.

Im März dieses Jahres soll der Konzern mit einem führenden griechischen Siemens-Manager nach Beginn von Ermittlungen wegen Geldwäsche und anderer Delikte nur einen Aufhebungsvertrag vereinbart haben. Siemens lässt im Dunkeln, warum sich der Konzern von seinem Mitarbeiter getrennt hat.

Bestechung als "interne Angelegenheit"

"Das haben wir als eine interne Angelegenheit behandelt", heißt es bei Siemens. Es sei nicht nötig, das konzernweit oder öffentlich bekannt zu machen. Es reiche, dass jeder Angestellte mit seinem Arbeitsvertrag auch interne Verhaltensregeln unterschreibe.

Vor wenigen Tagen hat Unternehmenschef Kleinfeld auch bei der Versammlung der leitenden Angestellten eine Chance verpasst, seine Position zur Geschäftsanbahnung mittels Bestechung deutlich zu machen. Er ließ sie verstreichen. Siemens wollte nicht mitteilen, was Kleinfeld seiner Führungstruppe mitgab. "Das war eine interne Veranstaltung", sagt ein Sprecher.

Der Eindruck der Zaghaftigkeit lässt sich nicht dadurch ausräumen, dass Kleinfeld und der Aufsichtsratsvorsitzende Heinrich von Pierer vor wenigen Tagen in einem gemeinsamen Brief an die Mitarbeiter mitteilten, Siemens müsse "kompromisslos aufräumen". Bisher hat Siemens das genau nicht getan.

Ombudsmann viel zu spät installiert

Ein Mitarbeiter räumt ein, dass es ein Fehler war, den sogenannten Ombudsmann, bei dem Mitarbeiter ihre Beobachtungen über zwielichtige Vorgänge im Unternehmen anonym melden können, erst jetzt einzurichten. "Das hätten wir früher machen sollen."

Längst greift in dem Konzern die Ratlosigkeit um sich. "Wir fragen uns, was wir falsch gemacht haben", sagt ein ernüchterter Siemens-Manager. "Wir haben einen Fehler gemacht, wenn die Mitarbeiter der Kontrollabteilung die Missstände unter den Teppich kehren, die sie aufklären sollen". Noch fehlten im Unternehmen die richtigen Antworten, aber es werde bei Siemens "Maßnahmen geben", um solche Pannen für die Zukunft zu verhindern.

Der Anfang macht nicht viel Hoffnung. Mit aller Macht will das Unternehmen vor allem eines: raus aus den Schlagzeilen. In Berlin ließ das Krisenmanagement des Konzerns deshalb jedenfalls Kopfschütteln zurück. Die Konzernführung habe signalisiert, dass es jetzt in erster Linie darum geht, das Image des Konzerns nicht noch mehr zu beschädigen. "Mir", sagt dagegen ein Betriebsrat, "geht es vor allem um Aufklärung".

© SZ vom 04.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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