Siemens bereitet Klagen vor:Alle Ex-Zentralvorstände sollen verklagt werden

Es wäre ein Präzedenzfall in der deutschen Wirtschaftsgeschichte: Siemens will wegen der Schmiergeld-Affäre den gesamten Ex-Vorstand auf Schadensersatz verklagen - auch von Pierer und Radomski. Aktionärsschützer sprechen von einem "beispiellosen Verfahren".

Markus Balser und Klaus Ott

Mehrere Aufsichtsräte des Konzerns gehen davon aus, dass ein Vorgehen gegen den gesamten ehemaligen Zentralvorstand, darunter Ex-Chef Heinrich von Pierer und der frühere Personalchef Jürgen Radomski, "unumgänglich" sei. Siemens stützt sich auf ein eigens dazu angefertigtes Rechtsgutachten.

Siemens bereitet Klagen vor: Die Siemens-Aufsichtsräte wollen Schadensersatz einfordern - von bis zu zehn Ex-Vorständen.

Die Siemens-Aufsichtsräte wollen Schadensersatz einfordern - von bis zu zehn Ex-Vorständen.

(Foto: Foto: AP)

Siemens ist durch die Affäre um schwarze Kassen ein Schaden von mehr als einer Milliarde Euro entstanden. Einen Teil dieses Geld wollen der jetzige Vorstand des Konzerns und der Aufsichtsrat offenbar bei den früheren Siemens-Vorständen wieder eintreiben.

Deshalb erwägt das Unternehmen nun Schadensersatzklagen gegen die ehemalige Konzernspitze. "Es gibt keinen anderen Weg", sagte ein Aufsichtsratsmitglied.

Siemens hat zur Vorbereitung solcher Klagen ein Rechtsgutachten eingeholt: Professor Holger Fleischer, Direktor des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht der Universität Bonn, kommt darin zu dem Schluss, dass bei einer Aktiengesellschaft die Verantwortung für den Kampf gegen die Korruption "zwingend dem Gesamtvorstand zugewiesen" sei.

Es sei zwar zulässig und häufig sogar geboten, diese Kontrollaufgabe vorrangig einem einzelnen Vorstand zuzuweisen. Die übrigen Vorstandsmitglieder hätten aber eine "Restverantwortung". Erfahre einer dieser Manager von Fehlentwicklungen, dann habe er eine "konkrete Interventionspflicht" und müsse "alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um den bekanntgewordenen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken".

Das Gutachten liegt in der Konzernzentrale und mehreren Mitgliedern des Aufsichtsrates vor, dessen Chef Gerhard Cromme. Der Aufsichtsrat und der Siemens-Vorstand um Konzernchef Peter Löscher wollen Ende April auf der Grundlage des Rechtsgutachtens und der neuesten Erkenntnisse im Korruptionsskandal über das weitere Vorgehen beraten.

Cromme leitet auch eine für die Bundesregierung tätige Kommission für gute Unternehmensführung. Ihr gehört auch der Bonner Rechtsprofessor Marcus Luther an. Er sagte auf Anfrage, in Deutschland sei es über Jahrzehnte Brauch gewesen, Vorstände für Fehlentwicklungen nicht in Haftung zu ziehen. Das ändere sich jetzt. Ein Schadensersatzverfahren gegen Siemens-Manager habe ähnliche Bedeutung wie der Prozess um die Millionen-Abfindungen bei Mannesmann.

Die Deutsche Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW) spricht von einer einmaligen Entwicklung. Sollte Siemens gegen den gesamten Ex-Vorstand vorgehen, "wäre das ein in seiner Größe und Komplexität beispielloses Verfahren", so DSW-Geschäftsführer Carsten Heise.

Fleischer betont in seinem Gutachten, er habe auf der Basis des ihm von Siemens geschilderten Sachverhalts nicht abschließend beurteilen können, ob der alte Vorstand Pflichtverstöße begangen habe. Fleischer hat sein Gutachten im Januar abgeschlossen. Inzwischen sind eine Zeugenaussage und mehrere Vermerke über die Jahre 2003 und 2004 bekannt geworden. In dieser Zeit soll der damalige Vorstand intern über schwarze Kassen und über mutmaßliche Mängel im Kontrollsystem unterrichtet worden sei.

Für das Kontrollsystem war vor Beginn des Skandal Ende 2006 im Siemens-Vorstand zuletzt Personalchef Jürgen Radomski zuständig gewesen. "Ich habe keinerlei Anlass zu glauben, dass ich meine Amtspflichten in irgendeiner Weise verletzt haben könnte", teilte Radomski mit. Jeder Einzelfall sei mit der notwendigen Sorgfalt bearbeitet worden.

Ex-Konzernchef Pierer teilte mit, das von Siemens angeforderte Gutachten sei ihm unbekannt. Deshalb könne er dazu nicht Stellung nehmen. Er könne aber generell sagen, dass die notwendigen Maßnahmen ergriffen worden seien, um den bekannten Verdachtsfällen und den bekanntgewordenen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken.

Es habe sich "immer um Einzelfälle" gehandelt. Aus Einzelfällen hätte nicht auf ein unternehmensweites System von sogenannten schwarzen Kassen geschlossen werden können. "Bei mir liegt keine Pflichtverletzung vor", so Pierer. Fast alle Ex-Vorstände haben jegliche Verantwortung in der Affäre bisher zurückgewiesen.

Pierer zählt künftig nicht mehr zum Beraterkreis von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Als Grund nannte Merkel neue Strukturen bei den Beratungsgremien.

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