Siemens: Ausreiseverbot:Eine Art Faustpfand

Der Korruptionsfall Siemens wird immer bizarrer: Ein früherer Konzernvorstand darf Griechenland nicht verlassen. Soll er gegen den in Deutschland verhafteten Ex-Siemens-Manager aus Athen ausgetauscht werden?

K. Ott

Eigentlich könnte Volker Jung, einst einer der führenden Köpfe in der deutschen Wirtschaft, seinen Ruhestand in Griechenland genießen. Er besitzt ein Haus auf der Sonneninsel Paros, mit großen Garten und Blick auf das Meer. Seit Wochen hält sich der ehemalige Zentralvorstand der Siemens AG in der Ägäis auf, wo viele Landsleute gerne ihre Ferien verbringen, doch für ihn ist es eine Art Zwangsurlaub. Die Staatsanwaltschaft in Athen ermittelt gegen Jung, weil er in den Schmiergeldskandal seines ehemaligen Arbeitgebers verwickelt sein soll. Nach einer Vernehmung Anfang Juni in Athen verhängte die griechische Justiz ein Ausreiseverbot gegen den wohlhabenden Rentner aus dem Münchner Vorort Grünwald. Er muss sich regelmäßig bei der Polizei melden und darf das Land nicht verlassen.

Siemens, ddp

Der Siemens-Korruptionsskandal hat längst Griechenland erreicht.

(Foto: Foto: ddp)

Jetzt wird in den griechischen Medien spekuliert, Jung sei eine Art Faustpfand. Er dürfe dann gehen, wenn die deutsche Justiz im Gegenzug Michael Christoforakos ausliefere, den früheren Chef von Siemens Hellas, des griechischen Ablegers der Siemens AG. Christoforakos war dieser Tage in der Nähe von Rosenheim verhaftet worden. Gegen ihn wird in Athen ermittelt. Die dortigen Behörden haben einen internationalen Haftbefehl ausgestellt. Ein Sondereinsatzkommando der bayerischen Polizei stellte Christoforakos nach wochenlanger Suche, nun sitzt er in München-Stadelheim im Gefängnis. In den kommenden Tagen will ein Staatsanwalt aus Athen seine deutschen Kollegen in München aufsuchen und den Ex-Chef von Siemens Hellas am liebsten gleich mitnehmen. Wird da ein Tauschgeschäft versucht?

Schmiergeld für Telefonauftrag

Jungs Athener Anwalt Wassilis Karkazis hofft, dass dem nicht so ist. "Es sollte in der Europäischen Union möglich sein, diese Probleme anders zu lösen als durch einen Austausch von Beschuldigten", sagt Karkazis. Kenner der griechischen Verhältnisse schließen freilich nicht aus, dass Jung als Faustpfand festgehalten werde. So ginge es nicht, sagt der Münchner Anwalt von Christoforakos, Stefan Kursawe. "Jeder Fall muss für sich betrachtet und behandelt werden."

Siemens hat nach Erkenntnissen der Münchner Staatsanwaltschaft in Griechenland mehr als 50 Millionen Euro Schmiergeld gezahlt, um einen lukrativen Großauftrag der nationalen Telefongesellschaft OTE zu erhalten. Außerdem soll Siemens Regierungsbeamte und Politiker bestochen haben, um mit der Armee und bei den Olympischen Sommerspielen 2004 in Athen ins Geschäft zu kommen. Sowohl in München wie auch in Athen wird gegen Jung ermittelt, der bei Siemens zeitweise auch für das Telefongeschäft und für Griechenland zuständig gewesen war. Jung weist alle Vorwürfe zurück und beteuert seine Unschuld.

Geburtstag auf Paros

Der studierte Elektrotechniker hatte über Jahrzehnte hinweg Karriere bei Siemens gemacht und gehörte von 1992 bis 2003 dem Zentralvorstand an, dem innersten Zirkel der Macht. Jung war außerdem Aufsichtsratschef des aus Siemens hervorgegangenen Chip-Konzerns Infineon und des Fahrzeugskonzerns MAN, Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Verbandspräsident in der Elektro- und Telekommunikationsbranche und hielt regelmäßig die Eröffnungsrede bei der Cebit in Hannover, der weltweit größten Messe für Informations- und Kommunikationstechniken. Nun sitzt Jung in Griechenland fest und wartet darauf, dass er wieder ausreisen kann.

Den dortigen Behörden soll er versichert haben, jederzeit zur Verfügung zu stehen. Er wolle ohnehin im Sommer wieder nach Paros zurückkehren, heißt es, um dort seinen Geburtstag zu feiern. Jung wird Ende August 70 Jahre alt.

Die Aussichten für seinen früheren Siemens-Kollegen Christoferakos sind weniger schön. Der ehemalige Chef von Siemens Hellas wartet in Stadelheim darauf, ob er ausgeliefert wird oder nicht. Sein Vorteil: Er ist nicht nur griechischer, sondern auch deutscher Staatsbürger, insofern gilt für ihn auch deutsches Recht. Und nach den deutschen Paragrafen sind die Delikte, die ihm vorgeworfen werden (und die er bestreitet), zumindest größtenteils verjährt - wenn nicht gar ganz verjährt, wie seine Anwälte Stefan Kursawe und Daniel Peter behaupten. Sie beklagen auch, dass in Griechenland Korruption mit lebenslanger Haft geahndet werde. Es könne nicht sein, dass Christoferakos "als deutscher Staatsbürger in Griechenland zu lebenslanger Haft verurteilt wird, und die Haupttäter bei Siemens in Deutschland kommen alle mit Bewährung davon".

In München wurde im Korruptionsfall Siemens in der Tat noch niemand zu Gefängnis verurteilt.

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