Kommentar:Die Moral richtet's nicht

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Es wäre naiv, die Hoffnung auf einen besseren Schutz vor Hackern an die Macht des Verbrauchers oder gar den Staat zu knüpfen. Die Rettung könnte aus anderer Richtung kommen.

Von Varinia Bernau

Wovor sich die Deutschen fürchten? Davor, im Alter ein Pflegefall zu werden oder nicht genug Geld zu haben. Aber auch, wenngleich in geringerem Maße, davor, dass all die Informationen, die sie im Internet preisgeben, missbraucht werden. Die Menschen wissen wohl um die Risiken, die im Netz lauern. Sie fürchten sich vor kriminellen Hackern, vor übergriffigen Geheimdiensten und vor sammelwütigen Unternehmen. Aber sie tun nichts. Selbst Chat-, Bezahl- und Speicherdienste, die immer wieder wegen schlechter Sicherheitsstandards in die Schlagzeilen geraten, werden eifrig genutzt.

Denn der Verbraucher ist kein rationales Wesen. Er ist mal knapp bei Kasse, mal geizig. Er ist mal dumm, mal auch nur desinteressiert. Mit jeder Meldung über das nächste Internetportal, das Hacker geknackt und Daten geklaut haben, wird er etwas gleichgültiger. Was soll er schon machen? Verschlüsselungstechnologien versteht doch ohnehin niemand mehr ohne Informatikstudium. Der Verbraucher will es praktisch haben. Schließlich ist das doch das große Versprechen der Technik: dass sie das Leben einfacher macht.

Zögerlich, aber zunehmend treiben die Internetfirmen die Verschlüsselung voran

Auf Sicherheit im Netz verzichten viele sehr schnell, wenn sie es dafür etwas billiger oder etwas bequemer haben können. Deshalb ist es naiv, die Hoffnung auf bessere Sicherheitsstandards an die Macht des Verbrauchers zu knüpfen. Ebenso naiv übrigens wie auf strenge Vorgaben von staatlicher Seite zu setzen. Eine Regierung, die im Zweifelsfall selbst an die Daten ihrer Bürger kommen will, wird sich nicht für einen strengen Datenschutz einsetzen. Und es allein einer Aufsichtsbehörde zu überlassen, Sicherheitstechnologien auf mögliche Schlupflöcher zu prüfen, birgt zumindest die Gefahr, dass sich staatliche Stellen diese selbst zunutze machen. Nicht immer nur werden sie dabei von Allmachtfantasien getrieben. Manchmal geht es auch darum, ein Netzwerk aufzuspüren, das über Chatdienste Dschihadisten auf deutschen Schulhöfen rekrutiert. Wo dient der Zugriff auf persönliche Daten einem höheren Zweck, etwa Terroranschläge zu verhindern, und wo nur dem niedrigen, nämlich die eigenen Bürger zu bespitzeln? Weil die Antwort auf diese Frage in vielen Fällen nicht einfach ist, darf Sicherheitstechnologie nicht nur Sache des Staates sein.

Die Unternehmen, die das Netz bauen und die Geräte, mit denen die Menschen dieses durchforsten, müssen sichere Technologien aus den Laboren und rein in die Läden bringen. Die Anbieter von Internetdiensten, sei es zum bequemen Bezahlen oder zur Ablage von Schnappschüssen, müssen Sicherheit zu einem bereits eingebauten und einfach zu bedienenden Standard machen. Der Vorstoß des deutschen E-Mail-Anbieters 1 & 1, die Verschlüsselung bei gmx und web.de zu vereinfachen, ist der jüngste Beleg dafür, dass sich die Wirtschaft dieser Aufgabe durchaus annimmt. Zögerlich zwar, aber zunehmend. Auch Apple, Google und Facebook treiben die Verschlüsselung voran. Nicht aus einem moralischen Impetus, sondern weil sie wollen, dass diejenigen, die ihre Dienste nutzen, dies auch weiterhin tun werden. Und dass in Zukunft noch mehr kommen. Deshalb werden die deutschen Anbieter nicht müde zu betonen, dass Daten auf einem deutschen Server am sichersten sind. Und deshalb nutzen die amerikanischen Anbieter ihren Einfluss beim Präsidenten, um davor zu warnen, dass die Gier der Geheimdienste das Vertrauen der Menschen ins Netz und damit all die Verheißungen der Digitalisierung gefährdet. Der wahre Gewinner dieses Wettstreits wird der Verbraucher sein.

© SZ vom 22.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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