Serie: IT-Unternehmen:Überbleibsel des Internet-Rauschs

Gerade als die Dotcom-Blase platzte versuchte sich Netviewer, ein Karlsruher Startup, im Online-Geschäft - und hatte Erfolg.

Markus Strehlitz

In einer Serie porträtiert sueddeutsche.de innovative IT-Mittelständler. Teil zwei: Netviewer aus Karlsruhe.

Serie: IT-Unternehmen: undefined
(Foto: Screenshot: Netviewer)

Die New Economy ist seit langem Geschichte - doch bei Netviewer in Karlsruhe ist noch ein wenig die Atmosphäre von damals zu spüren. Die Türen zu allen Räumen stehen offen, an der Wand lehnen zwei Tretroller - zeitgemäß: Kickboards - und die Dame am Empfang schlurft mit Flip-Flops zur Begrüßung heran.

Auch Vorstandsvorsitzender Andreas Schweinbenz mag es leger: Statt Oberhemd und Krawatte trägt er Polohemd. Sein Büro wirkt wie die Werkstatt eines Software-Tüftlers. Der Tisch ist fast komplett von Kabeln bedeckt, zwischendrin steht eine benutzte Müsli-Schale.

Um die Jahrtausendwende hat Schweinbenz mit einem Jugendfreund eine Software entwickelte, mit der sich die Inhalte eines PC-Bildschirms auf dem Monitor eines anderen Nutzers darstellen lassen. Der Clou dabei: Das Programm muss nicht auf dem Rechner des Anwenders installiert werden. Netviewer stellt die Software vom hauseigenen Server aus zur Verfügung.

"Eine harte Zeit"

2001, der Niedergang der New Economy hatte gerade begonnen, präsentierten die Netviewer-Gründer ihr Produkt auf der IT-Messe Cebit. "Das war eine harte Zeit", erinnert sich Schweinbenz. Und während er so den Erinnerungen nachhängt, demonstriert er immer wieder Funktionen seiner Software auf einem riesigen Monitor. "Viele Firmen zeigten zwar Interesse", berichtet der Netviewer-Chef weiter. Aber zu dieser Zeit sei es sehr schwierig gewesen, Geld zu bekommen. "Wir haben erst mal 60.000 Mark selbst investiert. Dazu kamen dann noch 300.000 Mark von Freunden."

Es war viel Arbeit. "Wir saßen den ganzen Tag am Telefon und haben verkauft, verkauft, verkauft", so Schweinbenz. Und weiter: "Wir haben nicht mehr ausgegeben als wir eingenommen haben und uns selbst ganz kleine Gehälter gezahlt."

Mittlerweile beschäftigt Netviewer 260 Mitarbeiter. Das Unternehmen hat Niederlassungen über weite Teile Europas verstreut. Zu den Standorten zählen Paris, London, Amsterdam, Wien, Stockholm, Barcelona und Mailand. In 55 Ländern werden 12.000 Kunden betreut. Darunter finden sich auch große Konzerne wie Daimler, BMW, Volkswagen und SAP.

Konkrete Geschäftszahlen veröffentlicht Netviewer nicht. Nur so viel verrät der Vorstandsvorsitzende: Im vergangenen Jahr lag der Umsatz bei ungefähr 25 Millionen Euro und in diesem Jahr legt das Unternehmen um circa 40 Prozent zu.

Etliche Preise eingeheimst

Der Karlsruher Software-Anbieter konnte seit 2001 zahlreiche Preise von Marktforschungsinstituten oder der Fachpresse einheimsen. Das Beratungsunternehmen Deloitte listete Netviewer im vergangenen Jahr als Nummer sechs der am schnellsten wachsenden Technologiefirmen in Deutschland. In einer entsprechenden Aufstellung für Europa steht das ehemalige Startup-Unternehmen immerhin auf Platz 48.

"Netviewer war einfach zur richtigen Zeit mit dem richtigen Produkt am Markt", sagt Anke Hoffmann, Beraterin beim Consulting-Haus Experton Group. Unternehmen arbeiteten mittlerweile verstärkt an verteilten Standorten und in geographisch voneinander getrennten Teams. Daher sei der Bedarf groß, Konferenzen auch über das Internet abhalten zu können.

Lesen Sie weiter, welches Schicksal das Unternehmen ereilen könnte.

Das Marktpotenzial ist entsprechend. Das Analystenhaus Gartner geht davon aus, dass der Gesamtumsatz von Systemen für Webkonferenzen in Europa in diesem Jahr bei 378,9 Millionen Dollar liegen wird. 2009 wird sich das Geschäft Gartner zufolge auf 466,2 Millionen Dollar steigern. Die jährliche Wachstumsrate bis 2011 liegt im Durchschnitt bei 27,1 Prozent.

Netviewer fokussiert sich auf Europa. Die Hälfte des Umsatzes wird in Deutschland gemacht. In den USA wickelt der Software-Anbieter sein Geschäft nur über das Web ab. Es gibt dort keine eigene Vertriebsmannschaft. "Wir wollen uns nicht verzetteln", sagt Schweinbenz.

Doch der Markt ist hart umkämpft. Auch die großen IT-Unternehmen wie IBM, Microsoft oder Cisco mischen kräftig mit. Um als mittelständischer Anbieter gegen diese Konkurrenz bestehen zu können, müsse man den Wettbewerbern technologisch immer einen Schritt voraus sein, weiß Hoffmann. Entsprechend arbeitet Netviewer auch daran, die eigenen Produkte zum Beispiel fit für das Web-2.0-Zeitalter zu machen. Dazu zählt, dass sich Netviewer-Software auch mit anderen Webanwendungen kombinieren lässt.

Neue Märkte müssen angesteuert werden

Doch Beraterin Hoffmann glaubt, dass sich Netviewer nicht nur technisch, sondern auch strategisch weiter entwickeln muss. Wichtig sei, die neuen Märkte in Asien und im mittleren Osten anzusteuern sowie stärker die Großkunden zu fokussieren. Denn in solchen Unternehmen sei die Software aus Karlsruhe lediglich in einzelnen Abteilungen vertreten. Dieser nächste Entwicklungsschritt werde nicht einfach, prognostiziert Hoffmann.

Schwierig werde es auch sein, unabhängig zu bleiben. Hoffmann kann sich gut vorstellen, dass Netviewer irgendwann das gleiche Schicksal ereilt wie dem direkten Konkurrenten Webex. Der wurde im vergangenen Jahr vom IT-Koloss Cisco geschluckt.

Geschluckt werden - daran mag Schweinbenz lieber nicht denken. "Dafür macht mir das Ganze viel zu viel Spaß", sagt der Netviewer-Chef.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: