Serie: Finanzfrauen:Freie Radikale

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Ihre Familie wurde von den Bolschewisten enteignet, in den USA profilierte sich Ayn Rand als Prophetin des Laissez-faire. Ein Dollarzeichen schmückte ihren Sarg.

Von Teresa Stiens

Politik und Religion haben eines gemeinsam: die Überzeugung Einzelner, den richtigen Weg zu kennen. Gerade wenn politische Positionen zur Radikalität neigen, werden ihre Vordenker wie Heilige verehrt, ihre Grundlagen gelten als Glaubensbekenntnis. Als Prophetin des radikalen Laissez-faire-Liberalismus gilt in den USA eine Frau, die in Europa weit weniger bekannt ist: Ayn Rand. Sie war Drehbuchautorin, Philosophin und schrieb mehrere Bestseller - nicht unbedingt der klassische Werdegang einer Wirtschaftswissenschaftlerin. Dass aus ihr eine vehemente Verfechterin der freien Marktwirtschaft werden konnte, ist jedoch kein Zufall, sondern eine fast logische Folge ihrer Lebensgeschichte. Und diese Lebensgeschichte begann nicht in Amerika, sondern ausgerechnet in einem Land, das jahrzehntelang als Erzfeind des Kapitalismus galt: in Russland.

Im Jahr 1905 wurde Ayn Rand in Sankt Petersburg unter dem Namen Alisa Rosenbaum als Tochter deutschstämmiger Juden geboren. Dort erlebte sie sowohl die Februarrevolution als auch die Oktoberrevolution 1917. Als sie Zeugin wurde, wie ihr Vater, ein Apotheker, von den Bolschewisten enteignet wurde, war Rands Feindbild geboren: ein übermächtiger Staat, der hart arbeitende Unternehmer ihres Besitzes beraubt. Sie floh mit ihrer Familie in die Ukraine, wo sie ihren Schulabschluss machte, kehrte aber 1921 nach Russland zurück. Dort begann sie ein Philosophiestudium und von 1924 an eine Ausbildung zur Drehbuchautorin - just in dem Jahr, als ihre Heimatstadt den Namen Leningrad erhielt.

Um dem Sozialismus zu entfliehen, beantragte die junge Studentin ein Ausreisevisum für einen kurzen Besuch ihrer Verwandten in den USA. Für Rand der rettende Anker. Sie entschied sich, in den USA zu bleiben. Nach Osteuropa kehrte sie nie zurück. Im Gepäck auf der Reise über den Atlantik hatte Ayn Rand ihre Erlebnisse in Russland und die tiefe Überzeugung, dass der besitzergreifende Staat die Wurzel allen Übels sei. Sie war, anders als die Mehrheit der konservativen Amerikaner, Atheistin und doch Botschafterin eines Glaubens, der in den USA auf fruchtbaren Boden fiel - des Glaubens an die Freiheit des Individuums.

In den USA erteilte sie ihrer sowjetischen Vergangenheit auch offiziell eine Abfuhr und ließ ihren Namen in Ayn Rand ändern. Woher die Idee für diesen ungewöhnlichen Namen kam, ist unklar. Doch er zeigt, wie sehr sich Alisa Rosenbaum danach sehnte, mit ihrer Vergangenheit abzuschließen. Die neue Identität der jungen Frau ließ keinerlei Rückschlüsse auf ihre russische oder ihre jüdische Herkunft zu und war gleichzeitig geschlechtsneutral. Die erste Festung, die die frisch gebackene Ayn Rand in ihrer neuen Heimat eroberte, war die amerikanische Traumfabrik Hollywood. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann Frank O'Connor kennen. Über Komparsenrollen fasste Rand Fuß und verkaufte 1932 ihr erstes Drehbuch mit dem Namen "Red Pawn" an Universal Pictures. Wie auch in ihren späteren Werken gab es für Rand in "Red Pawn" nur ein Thema: die Übermacht des diktatorischen Staates. Bis heute hat es die Geschichte allerdings nicht auf die Leinwand geschafft.

Filme und Romane waren fortan Rands Sprachrohr - sie benutzte die Kunst, um ihre politische Botschaft zu verbreiten. Im Jahr 1943 erschien ihr erster großer Roman "The Fountainhead", in dem ein junger Architekt sich den Zwängen der Gemeinschaft widersetzt. Die Autorin zeichnet eine dystopische Welt, in der das Personalpronomen "ich" per Gesetz verboten ist und in der die Leistungsfähigkeit des Einzelnen keine Bedeutung erhält. Das Buch zeigt, wie sehr Rand den Kollektivismus verteufelte: Die 720 Seiten sind ein Loblied auf die Kraft des Individuums.

Doch es ist Rands zweites Werk "Atlas Shrugged", das ihre Anhänger wie Jünger verehren und deren wichtigste Passagen sie rezitieren wie Glaubensbekenntnisse. Der Vergleich scheint überzogen zu sein, doch tatsächlich wurde das Werk in den USA in einer Umfrage des Washingtoner Library of Congress 1991 zum zweiteinflussreichsten Buch der Literaturgeschichte gewählt - gleich hinter der Bibel. In epischer Länge beschreibt Rand einen Streik der Leistungsträger, indem sie die Geschichte der jungen Unternehmerin Dagny Taggert erzählt, die immer wieder mit derselben Frage konfrontiert wird: Wer ist John Galt? Eine Frage, die seit der Veröffentlichung des Buches aus der amerikanischen Politdebatte nicht mehr wegzudenken ist. Anhänger der Tea-Party-Bewegung halten Schilder mit eben dieser Frage in die Luft, wenn sie gegen die Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama protestieren.

Aber, wer ist John Galt?

John Galt ist der Held in Rands Roman, ein brillanter Philosoph und Erfinder, der den Protest der Elite gegen die träge Gesellschaft anführt. "Ich schwöre, dass ich niemals für jemand anderen leben werde und dass ich niemals jemand anderen bitten werde, für mich zu leben", sagt Galt und fasst damit Rands philosophisches Credo zusammen, das sie, ganz unbescheiden, als Objektivismus betitelte.

Die Radikalität, mit der Ayn Rand die Unabhängigkeit des Einzelnen befürwortet, ließ sie als gnadenlose Egoistin erscheinen. Tatsächlich sah sie das Erreichen des Gemeinwohls in der Tradition von Adam Smith nur dadurch ermöglicht, wenn jedes Mitglied der Gesellschaft nach seinem eigenen Glück strebt. Das Wirtschaftssystem, das dies ermöglicht, war der Kapitalismus in Reinform - ohne staatlichen Einfluss. Ayn Rands Liebe zu diesem Wirtschaftssystem ging so weit, dass sie das Dollarzeichen wie ein religiöses Emblem am Körper trug. Bei ihrer Beerdigung im Jahr 1982 war ihr Sarg mit einem Dollarzeichen aus Blumen geschmückt.

Als Systemkritikerin ließ sie sich im Krankenhaus unter falschem Namen operieren

Ein Studium der Wirtschaft konnte sie ebenso wenig aufweisen wie eine Banklehre und doch wird sie von Wirtschaftsgrößen wie dem ehemaligen Notenbankchef Alan Greenspan bewundert. Sie war eine Künstlerin, die Bücher statt Reden schrieb und die Ökonomie als Glaubensfrage statt als Wissenschaft betrachtete. Für die Hohepriesterin des Laissez-faire waren ihr Menschen- und ihr Selbstbild gleich: Das bestand aus einem Individuum, ausgestattet mit einer uneingeschränkten Vernunft, fähig, rationale und richtige Entscheidungen zu treffen. Die Vehemenz, mit der sie ihre eigene Ideologie lebte, lassen sie als fleischgewordenen amerikanischen Traum erscheinen.

Wäre da nicht der Lungenkrebs, an dem die Raucherin 1974 erkrankte. Ihrem Sozialarbeiter Evva Joan Pryor zufolge hatte sich die Gegnerin jeglicher Sozialleistungen 1976 operieren lassen - unter falschem Namen und auf Kosten der staatlichen Krankenversicherung. Kein Wunder, dass Rand, die den Sozialstaat verteufelte, dies bis zu ihrem Tod verheimlichte.

Kaum eine Figur der amerikanischen Literaturgeschichte polarisiert wie Ayn Rand. Grund dafür sind Aussagen wie die über die Landrechte der nordamerikanischen Ureinwohner. Rand bezeichnete sie als "primitiv" und vertrat offen die Meinung, dass "jeder Weiße, der die Zivilisation mitbrachte, das Recht hatte, sich den Kontinent Amerika anzueignen".

Trotzdem bleibt die Verehrung Ayn Rands in den USA bis heute ungebrochen. 29 Millionen Exemplare ihrer Bücher wurden bis 2013 in den USA verkauft, zwei Institute ("The Ayn Rand Institute" und "The Atlas Society") streiten sich um die wahrhaftige Interpretation ihrer Botschaft. Ihre Anhänger sind überzeugt davon, dass Ayn Rand den Weg zur ultimativen Freiheit gefunden hatte. Die Glaubensfrage nach dem richtigen politischen Weg ist für sie beantwortet.

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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