Serie: Denk doch, wie du willst:Du, ich und wir zusammen

Miriam Beblo erforscht, wie Paare über alltägliche Fragen entscheiden, warum Männer und Frauen unterschiedlich viel verdienen und wie Familienpolitik wirkt. Den Plan, Professorin zu werden, hatte sie nie.

Von Aloysius Widmann

Von dem, was Ökonomen jüngerer Generationen ausmacht, hat Miriam Beblo ziemlich viel. Ihre Arbeit ist stark empirisch ausgerichtet, sie nutzt Methoden verschiedener Disziplinen, sie ist interessiert an Geschlechter- und Identitätsfragen. Und sie mag es, alte Gewissheiten infrage zu stellen. Den alten weisen Wissenschaftler, der Experte für alles ist, gibt es ohnehin nicht mehr: "Das große Ganze ergibt sich aus vielen Einzelbeiträgen", ist Beblo überzeugt. Heute wird arbeitsteilig geforscht.

Seit ihrer Doktorarbeit ist Beblo einem Thema treu geblieben: Sie untersucht, wie Paare über alltägliche Fragen entscheiden. Wer geht arbeiten? Wer bringt die Kinder zur Kita? Welche Rolle spielt das Geschlecht, wenn Paare gemeinsam Entscheidungen treffen? Es sind Fragen, die Ökonomen bis vor kurzem noch überhaupt nicht interessiert haben.

Beblo führt durch eine lichtdurchflutete Erdgeschosswohnung in Berlin-Schöneberg. Sie betritt einen kleinen Raum, der noch karg eingerichtet ist: ein Schreibtisch, ein Stuhl, helles Parkett. Die Wände sind blank. Vor dem Fenster erstreckt sich ein ruhiger Innenhof. In Hamburg, sagt sie, hätte man den schönen Blick aus ihrem Bürofenster auf die Oper beschreiben können. Dort ist Beblo, Jahrgang 1970, Professorin für Arbeitsmarkt, Migration und Gender. So ungewöhnlich wie dieser Professorentitel ist auch ihre akademische Laufbahn: Anders als viele Kollegen hat sie keine Forschungsaufenthalte an Eliteuniversitäten in Übersee oder England hinter sich, vor ihrer Berufung hielt sie weder eine Juniorprofessur, noch konnte sie eine Publikation in namhaften Fachjournalen wie dem American Economic Review vorweisen. Ihr Umweg war eine Professur an einer Berliner Fachhochschule.

Serie: Denk doch, wie du willst: Miriam Beblo hat herausgefunden: Je mehr Frauen zum Einkommen beitragen, desto größer ist ihre Verhandlungsmacht gegenüber dem Partner.

Miriam Beblo hat herausgefunden: Je mehr Frauen zum Einkommen beitragen, desto größer ist ihre Verhandlungsmacht gegenüber dem Partner.

(Foto: Regina Schmeken)

"Ich hatte nie den übergeordneten Plan, Universitätsprofessorin zu werden", sagt sie. Beblo hat stets bloß gemacht, was sie gerade interessierte. Es geschah einfach: Als Abiturientin wollte sie Architektin oder Städteplanerin werden, besuchte einmal eine Vorlesung in Makroökonomik und blieb dort hängen, weil ihr das Thema gefiel. Als Studentin begeisterte sie sich eigentlich für Makro-Themen und Wirtschaftspolitik, wollte Diplomatin werden, und durchdrang dann doch immer tiefer die angewandte Mikroökonomik. Am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, als Nachwuchswissenschaftlerin, spezialisierte sie sich auf Arbeitsmarktökonomik und ökonomische Geschlechterforschung. Während ihrer Jahre FH-Professorin fand Beblo neben der Lehre genügend Zeit für ihre eigene Forschung, so blieb sie wissenschaftlich vorne mit dabei.

Als die Professur in Hamburg ausgeschrieben wurde, wusste Beblo sofort: Das passt. Die Uni Hamburg sah das genauso.

Jetzt hat sie das richtige Umfeld gefunden, um all die Forschungsfragen anzugehen, die sie umtreiben. Denn die brauchen Zeit - und ein Labor. Wer wissen will, wie sich das Geschlecht auf Entscheidungen von Paaren auswirkt, stößt bald an Grenzen. Es gibt kaum verwertbare Daten, die alle wichtigen Aspekte abbilden. Beblo interessiert sich für weit mehr als die Frage, ob sich Männer und Frauen unterscheiden, wenn es darum geht, welche Berufe sie ergreifen und wie viel sie verdienen. Die Antwort ist schon lange bekannt und lautet in beiden Punkten: ja. Frauen verdienen im Mittel rund 20 Prozent weniger als Männer. Wenn man berücksichtigt, dass Frauen und Männer oft unterschiedliche Berufe wählen und Frauen durchschnittlich öfter ihre Karriere unterbrechen, liegt der sogenannte bereinigte Gender Wage Gap, der Lohnunterschied bei gleichwertigen Tätigkeiten, noch immer zwischen sieben und acht Prozent. Beobachtet man noch mehr Unterschiede, könnte man den Lohn-Unterschied zwischen Männern und Frauen vielleicht sogar ganz erklären.

Serie: Denk doch, wie du willst: Dullien ist einer der 36 Ökonomen, den die SZ in ihrem Buch „Denk doch, wie du willst“ vorgestellt hat. Erhältlich im Handel, unter sz-shop.de oder Telefon: 089/21 83 18 10.

Dullien ist einer der 36 Ökonomen, den die SZ in ihrem Buch „Denk doch, wie du willst“ vorgestellt hat. Erhältlich im Handel, unter sz-shop.de oder Telefon: 089/21 83 18 10.

Und dann? "Dann nichts", sagt Beblo: "Dann ist zwar erklärt, warum es ein Lohndifferenzial gibt. Aber nicht, wie es dazu kommt, warum Frauen und Männer systematisch andere Berufe ergreifen und warum sie unterschiedliche Präferenzen zu haben scheinen."

Deshalb bohrt Beblo tiefer. Welche Vorstellungen und Wünsche gehen mit dem Geschlecht einher und woher kommen sie? Dazu gibt es kaum Daten. Also schaut sie in die Geschichte. Oder bittet gleich Probanden ins Labor. "Besonders an unserer Arbeit ist, dass wir echte Paare ins Labor holen und mit ihnen Entscheidungsexperimente durchführen", sagt Beblo. Das ist zwar viel teurer und aufwendiger als die klassischen Experimente mit Studenten, dafür aber aussagekräftiger.

In Paaren, so zeigt sich, haben in finanziellen Fragen meist die Männer das Sagen, weil sie stärker zum Haushaltseinkommen beitragen. Je mehr Frauen zum gemeinsamen Einkommen beitragen, desto größer ist ihre Verhandlungsmacht gegenüber ihrem Partner. Und desto öfter setzen sie sich durch. "Unsere Ergebnisse lassen auch Rückschlüsse auf Entscheidungen außerhalb des Labors zu", sagt Beblo.

Eigene Daten aus dem Labor allein reichen nicht. Sie muss auch nach neuen Wegen suchen, um ihre Experimente zu deuten. Deshalb nimmt sie immer wieder Anleihen bei anderen Wissenschaften. Experimentabläufe entlehnt sie aus der Psychologie, Erklärungsansätze auch aus der Soziologie. Vor kurzem hat sie sich in die Sprachwissenschaft vertieft und untersucht, ob Geschlechtlichkeit der Sprache ökonomisch relevant ist. Dass es so ist und durch Geschlechtlichkeit der Sprache Kosten für die Volkswirtschaft entstehen, konnte Beblo zumindest nicht ausschließen.

Zwei Lieblingsbücher

Eher zufällig ist Miriam Beblo ein Reclam-Heftchen in die Hände gefallen: Jens Grimstein, Timo Skrandies und Urs Urban haben "Texte zur Theorie der Arbeit" zusammengestellt. Die Gedanken von Adam Smith bis Hannah Arendt bieten ganz unterschiedliche Erkenntnisse über das Wesen und die Bedeutung von Arbeit, findet die Wissenschaftlerin.

Auf ihrem hohen Nachttisch-Bücherstapel liegt schon seit Längerem auch Ernest Hemingway: "A Moveable Feast" oder "Paris - ein Fest fürs Leben". Hemingway schaut darin auf sein Leben im Frankreich der Zwanzigerjahre zurück, eine Epoche, die Beblo fasziniert. Aus traurigem Anlass (die Terroranschläge) hat das Buch neue Popularität erfahren.

"Wichtig ist, dass die Forschung gemacht wird. Nicht in welchem Journal sie erscheint"

Wie sich Geschlechtsunterschiede ökonomisch auswirken, hat sie lange Zeit nicht beschäftigt. Irgendwann kam sie damit in Berührung - und nicht mehr davon los. Vor wenigen Jahren habe es auf großen Konferenzen immer nur eine oder zwei Sessions zum Thema Gender gegeben; beim vergangenen Mal zählte sie bereits sechs. Und es werden immer mehr, die sich für Geschlechterfragen interessieren. Das freut Beblo. Ihre Motivation aber gewinnt sie anderswo.

Sie feilt nicht gern endlos an Texten, bis eine Top-Zeitschrift sie akzeptiert. "Wichtig ist, dass die Forschung gemacht wird. Nicht in welchem Journal sie erscheint", sagt Beblo. Sie möchte von der Politik gehört werden und auch von einem fachfremden Publikum: "Im Idealfall erforscht die VWL Wirkungszusammenhänge. Dadurch gibt sie der Politik genaue Handlungsoptionen an die Hand."

Seit 2014 ist die Ökonomin Mitglied im wissenschaftlichen Beirat für Familienfragen beim Bund. Mit Handlungsoptionen hat sie dort öfter zu tun: Das Betreuungsgeld etwa führe dazu, dass Frauen öfter dem Arbeitsmarkt fern bleiben, warnte Beblo. Besonders gering qualifizierten Frauen gäbe es besondere Anreize, nicht arbeiten zu gehen, weil durch das Betreuungsgeld ein verhältnismäßig größerer Teil des Lohns ersetzt wird. Frauen ohne Arbeitseinkommen haben tendenziell auch weniger Mitsprache bei familiären Entscheidungen. Hingegen könne das Elterngeld die Verhandlungsmacht und Entfaltungschance beider Partner erhöhen, ist sich Beblo sicher. Ebenso befürwortet sie Quotenregelungen, um dauerhaft Chancengleichheit herzustellen. Positive Diskriminierung also, denn Quoten beeinflussen, was Frauen zugetraut wird: "Das gilt nicht nur für Quoten in Führungspositionen, sondern sogar in Parteigremien. Das hat uns dann doch erstaunt", sagt Beblo.

Positive Diskriminierung allein macht aber nicht unbedingt alles besser. Das kennt sie aus eigener Erfahrung. An Unis müssen in Kommissionen und Ausschüssen ausreichend Frauen sitzen. Immer wieder hört sie von Kolleginnen, dass sie deshalb kaum zum Forschen kämen. Solange der Frauenanteil an den Universitäten nicht groß genug ist, können solche Quoten auch ein Nachteil für Frauen sein. Denn es sind häufig dieselben Frauen, die für die Besetzung von Gremien infrage kommen. Dann sind plötzlich viel mehr Verwaltungsaufgaben zu erledigen, während die männlichen Kollegen mehr Zeit für die Forschung haben. "Zum Glück ist der Frauenanteil an meiner Uni recht hoch", sagt Beblo. "Aber selbst wenn nicht: Wenn Frauen zu viel im Unimanagement zu tun haben, haben sie einen ganz persönlichen Anreiz, weitere Frauen an die Uni zu holen, und die Arbeit mit ihnen zu teilen."

Die Quote wirkt also irgendwann auch so.

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