Serie:Das Recht des Starken

Kurz nach dem Fall der Mauer startete der Allianz-Konzern die Übernahme der staatlichen DDR-Monopolversicherung - ein glänzendes Geschäft.

Von Karl-Heinz Büschemann

Glaubt man Günter Ullrich, war die Sache in Ostberlin schon durchgespielt worden, bevor die Mauer gefallen war. Der Diplom-Ökonom, heute 77, war zu Erich Honeckers Zeiten Stellvertretender Hauptdirektor der staatlichen Versicherung in der DDR. Dem Vizechef des ostdeutschen Staats-Monopolisten war im Sommer 1989 klar, dass die "Staatliche" so gut wie pleite war und Devisen brauchte. "Die Lösung konnte nur die Zusammenarbeit mit einem westlichen Konzern sein", erinnert sich Ullrich. Nur, wie wollte man an einen solventen Versicherungskonzern herankommen? Man kannte doch niemanden im Westen.

Ähnlich ratlos tappte der Münchner Versicherungskonzern Allianz vor 25 Jahren durch die deutsch-deutsche Geschichte, nachdem am 9. November 1989 die Mauer gefallen war und er Kontakt in den Osten suchte. Keine Woche nach der Öffnung hatte Wolfgang Schieren, der damalige Allianz-Chef ("Der General"), seine Manager angewiesen, die staatliche Ost-Versicherung zu übernehmen. Nur, wen sollten sie fragen? Sie wandten sich an eine Person, die sie aus dem Fernsehen kannten: Wolfgang Vogel, der schillernde Ostberliner Spezialanwalt für Agentenaustausch und Menschenhandel schien ihnen der richtige Gesprächspartner zu sein. Der hatte aber gerade keine Zeit, als die Allianzer ihn sprechen wollten. Vogel saß im Gefängnis. Die DDR-Behörden hatten ihn in Untersuchungshaft genommen.

DDR - Abschnittsbevollmächtigter 1982

Verkehrsunfall in Ostberlin 1982. Die Staatliche Versicherung der DDR kam für den Schaden auf. Die Allianz sicherte sich den Monopolisten nach der Wende.

(Foto: Eberhard Klöppel/dpa)

Die Chance war zu verlockend: Auf einen Schlag, den Versicherer in die Hand zu bekommen, der alle 16 Millionen DDR-Bürger in seiner Kartei hatte, der alle Trabis versicherte und jedes Haus, bei dem die Bürger ihre Lebensversicherungen abschlossen. Weil Goldgräberstimmung in der frei gewordenen DDR herrschte, auch weil das Recht des Stärkeren in jenen Tagen der Wende eine Art Grundgesetz des Handelns war, erreichte der Marktführer aus dem Westen sein Ziel. Am 1. Juli, dem Tag der Währungsunion, übernahm die Allianz die ersten 51 Prozent der Staatlichen Versicherung der DDR. Der Rest kam später. Der Einstieg war ein Coup. Die Konkurrenz schäumte und Politiker waren beunruhigt.

Das Bundeskartellamt hatte vor dem neuen Monopolisten gewarnt. "Klappt der Coup, hat die Allianz einen uneinholbaren Vorsprung auf dem neuen Markt", urteilte der Spiegel. Die Berliner Zeit ung schrieb, dieser Zusammenschluss könnte "uns Versicherten noch schwer zu schaffen machen." Die Zeit sprach von einem "Fischzug". Manche hielten den Einmarsch der Allianz in Ostdeutschland sogar für einen Raubzug. Für den Allianz-Chef war die Übernahme ein Akt des Patriotismus.

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Es war ein gutes Geschäft, auch wenn die Münchner einschließlich des Kaufpreises von mehr als 200 Millionen Mark über zwei Milliarden Mark in die Staatliche investieren mussten. Die Erfüllung von milliardenschweren Altlasten der Staatlichen überließ die Allianz souverän dem Steuerzahler. Heute hat die Allianz in Ostdeutschland einen Marktanteil von über 20 Prozent, viel mehr als im Westen. Der Ost-Teil des Allianz-Geschäfts ist der profitabelste der Münchner. "Es war kein Schnäppchen, aber auch nicht das befürchtete Milliardengrab", sagt ein Allianz-Mann.

Günter Ullrich war in der entscheidenden Zeit dabei, erst auf DDR-Seite, dann als Allianz-Manager. Als junger Mann hatte er sich seinen ersten Trabi mit dem Verkauf von Versicherungspolicen an Küchentischen verdient. Nach der Wende gehörte er zu den wenigen Ost-Führungskräften, die den Übergang zum Kapitalismus überlebten. Ullrich wurde 1990 Vorstandsvorsitzender der von der Allianz neugegründeten Deutschen Versicherungs-AG in der DDR. Neben ihm saßen in der Führungsmannschaft nur Westdeutsche.

Serie: Günter Ullrich gehört zu den wenigen Führungskräften der DDR, die den Wechsel zum Kapitalismus überstanden.

Günter Ullrich gehört zu den wenigen Führungskräften der DDR, die den Wechsel zum Kapitalismus überstanden.

(Foto: OH)

Es gibt Kaffee und Kekse in der nüchternen Allianz-Vertretung in Dresden. Der bescheiden wirkende Ex-DDR- und spätere Allianz-Manager, der in der Nähe von Sachsens Landeshauptstadt lebt, erzählt von seinem Leben in den beiden Welten, in der sozialistischen DDR und in der kapitalistischen Allianz: "Ich habe unendlich viel Glück gehabt." Wurden die Ossis von den aggressiven Wessis überlaufen? Ullrich schaut an die Decke, als wäre dort die Antwort zu lesen. Seine Perspektive unterscheidet sich von der Sicht der West-Allianzer, die wie selbstverständlich von "Übernahme" sprechen. Ulrich sagt, auch die Ossis hätten Einfluss gehabt auf den Lauf der Dinge: "Wir suchten", sagt der hagere Mann mit dem schütteren Haar tatsächlich: "Wir suchten jemanden, der den ganzen Laden zusammenhält." Das sei nichts gewesen für kleine Fische: "Das musste ein Großunternehmen sein." Die Staatliche sei viel zu marode gewesen ohne Elektronik und mit ihren Karteikarten der 30 Millionen Versicherten. Sogar Papier sei bei ihnen Mangelware gewesen und genug Benzin, um zu ihren Kunden oder Schadensorten zu fahren, hätten sie auch nicht gehabt. Nur die Münchner seien als Retter in Frage gekommen. Auch wenn in der heißen Phase zeitweilig 700 eingeflogene West-Allianzer Entwicklungshilfe leisteten, sei der Einstieg des mächtigen West-Konzerns für die Ostdeutschen kein Einmarsch gewesen: "Die Allianz war nicht der Befehlshaber." Und sie hätten erreicht, dass die Verwaltung im Osten bleibt und nicht nach München geht.

Allerdings sei es ohne Befehle auch nicht gegangen. Am Ende hatten viele ihre Arbeit verloren, von den 13 000 Arbeitsplätzen waren bald nur noch 8500 übrig. Das sei ein Schock gewesen. "Wir haben nicht geglaubt, dass wir bei einer so niedrigen Zahl landen würden", sagt Ullrich. Aber bei den Mitarbeitern habe es "eine starke Motivation gegeben, sich in die neue Welt hineinzubewegen".

Das sah in den Augen der Westler anders aus. Die Betreuungstrupps der Allianz waren nach Monaten der Schulung und der Einrichtung von Computertechnik zunehmend frustriert. Nach anfänglicher Begeisterung sei die Resistenz der Ostdeutschen gewachsen, die sich von den Besserwissern aus München geschurigelt fühlten. Das berichten Allianz-Manager heute noch so lebhaft, als sei die Integration erst vor ein paar Monaten passiert.

Wieder hält Ullrich dagegen. Von diesem Widerstand habe er nichts gemerkt: "Diese Geschichte höre ich zum ersten Mal." Es habe gelegentlich Diskussionen gegeben. Es sei für die DDR-Menschen nicht einfach gewesen, "dass die Führungskräfte zu 80 Prozent aus dem Westen kamen". Ullrich, der sich als harmoniebedürftig bezeichnet, musste oft schlucken, so sagt er, wenn ein forscher West-Kollege in seinem Vorstand loslegte. Das habe es aber schon auch zu DDR-Zeiten gegeben, sagt er diplomatisch. "Ich habe in der Branche vor und nach der Wende Führungskräfte kennengelernt, deren Methoden ich als zweifelhaft, unzeitgemäß und manchmal rüde empfand."

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