Selbstverteidigung:Wer von der Angst profitiert

Selbstverteidigung: Waffengeschäft in München: Seit den Übergriffen in der Silvesternacht sind Pfeffersprays gefragt. Das merken auch Läden, die sonst eher Kunden mit Faible für großes Gerät haben.

Waffengeschäft in München: Seit den Übergriffen in der Silvesternacht sind Pfeffersprays gefragt. Das merken auch Läden, die sonst eher Kunden mit Faible für großes Gerät haben.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Seit den Anschlägen von Paris am 13. November steigt in der Bevölkerung das Bedürfnis, sich verteidigen zu können.
  • Pfefferspray ist so stark nachgefragt, dass die Hersteller mit der Produktion nicht hinterherkommen, und immer mehr Deutsche beantragen den Kleinen Waffenschein.

Von Nora Kolhoff

Wenn eine Armlänge nicht ausreicht." Mit diesem Satz wirbt die Waffenfirma Umarex auf ihrer Facebook-Seite kurz nach den sexuellen Übergriffen in Köln und anderen Städten für Pfefferspray. Mindestens eine Armlänge Abstand zu halten, um sich zu schützen, hatte die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker Frauen geraten und war dafür stark kritisiert worden.

Nach der Silvesternacht rüsten sich viele Menschen mit freien Abwehrwaffen, also beispielsweise mit Pfefferspray, Elektroschockern oder Schreckschusspistolen, aus. Beim Online-Versandhändler Amazon ist Pfefferspray in dieser Woche mehrere Tage Bestseller unter den Küchengeräten, neben Filterkartuschen und Bügeleisen. Die Hersteller kommen mit der Produktion teilweise nicht mehr nach.

Über die hohe Nachfrage freuen will sich niemand so wirklich

"Wir mussten Kunden wegschicken, weil uns das Pfefferspray ausgegangen ist", sagt die Inhaberin eines Münchner Militär-Ladens. Dort ist Pfefferspray jetzt im Schaufenster ausgestellt, auf der Eingangstür klebt Werbung dafür. Der Laden befindet sich nahe des Hauptbahnhofs, innen sieht es verstaubt und schmuddelig aus. Militärjacken hängen da und Nachtsichtgeräte. Normalerweise kommen Kunden, um sich Uniformen oder Militärhelme zu kaufen. Pfefferspray ist erst seit wenigen Monaten Verkaufsschlager, sagt die Inhaberin. Die große Nachfrage hat sie überrascht: "Mehrere Wochen mussten wir auf neue Lieferungen warten." Die Verkaufszahlen für Abwehrmittel sind jedoch nicht erst nach Neujahr gestiegen. Schon 2015 habe sich der Absatz verdoppelt, sagt Ingo Meinhard, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Büchsenmacher und Waffenfachhändler.

Offen über die gestiegene Nachfrage freuen, will sich jedoch niemand. "Wir Waffenhersteller reiben uns nicht unbedingt freudig die Hände, wenn der Umsatz steigt", heißt es von einem Unternehmen, das sich sonst nicht dazu äußern will. Die meisten Hersteller und großen Online-Händler schweigen zu den Gründen für die gestiegene Nachfrage und verweisen auf den Waffenverband. Dieser begründet sie mit einer allgemeinen Verunsicherung.

"Das Vertrauen in den Staat schwindet", sagt auch Kai Prase, Geschäftsführer des Pfefferspray-Herstellers Def-Tec. Sicher habe der gestiegene Absatz mit der Flüchtlingskrise zu tun. Ein Einzelhändler berichtet von der Angst der Kunden vor möglicherweise kriminellen Flüchtlingen.

Seit Paris wollen sich die Menschen verteidigen können

Begonnen hat der extreme Anstieg der Nachfrage um die Zeit des 13. November, der Anschläge von Paris, sagt Meinhard. Seitdem wollen sich Menschen verteidigen können. Dass ein Pfefferspray bei den Terroranschlägen nicht geholfen hätte, spielt keine Rolle. Verunsicherung spiegelt sich auch in den Kommentaren unter den Produkten im Online-Handel wider. "Traurig, dass man im eigenen Land Angst haben muss" oder "Werde ich mir kaufen, mich fasst keiner an", steht da unter Pfefferspray-Artikeln bei Amazon. Manchmal ist direkt von kriminellen Einwanderern die Rede.

Die Verunsicherung, die oft in Vorurteilen mündet, lässt sich durch Statistiken nicht belegen. So sind einem Lagebericht des Innenministeriums von 2015 zufolge die Fälle der durch Zuwanderer begangenen Straftaten gestiegen, jedoch im Verhältnis zur Anzahl der neu angekommenen Flüchtlinge im vorigen Jahr gering. Der Großteil dieser Straftaten sind zudem keine Gewalttaten, sondern Delikte wie Schwarzfahren oder Fälschungen der Ausweispapiere. Insgesamt zeige der Lagebericht, dass Flüchtlinge im Durchschnitt genauso wenig oder oft straffällig werden wie Vergleichsgruppen der hiesigen Bevölkerung, sagte Innenminister Thomas de Maizière im November 2015 zu dem Thema. Es gibt noch keine Zahlen, die die Übergriffe an Silvester berücksichtigen. Dennoch: Dass Flüchtlinge krimineller sind als andere, bestätigen Zahlen nicht.

Der Kleine Waffenschein wird plötzlich immer beliebter

Trotzdem beantragen immer mehr Deutsche den Kleinen Waffenschein. 2015 besaßen ihn etwa 23 000 Menschen mehr als noch im Jahr zuvor. Der Großteil von ihnen hat den Schein zwischen November und Dezember vergangenen Jahres erhalten. Der Kleine Waffenschein berechtigt zum Mitführen von Schreckschuss-, Reizstoff- oder Signalwaffen, für den Kauf braucht man ihn nicht. Aktuell besitzen nun etwa 300 900 Menschen den Schein, nach den Angriffen in der Silvesternacht ist die Zahl noch einmal um 15 000 gestiegen. Teilweise müssen die Antragsteller mittlerweile mehrere Wochen auf den Kleinen Waffenschein warten, so gefragt ist er.

Selbstverteidigung: SZ-Grafik; Quelle: Nationales Waffenregister

SZ-Grafik; Quelle: Nationales Waffenregister

Auch in den Läden kauft nicht mehr nur der Waffen-Fan. Früher sei die Kundschaft größtenteils männlich gewesen, jetzt kämen auch viele Frauen, sagt die Münchner Einzelhändlerin. Teilweise kämen Familienväter, die für ihre Töchter Elektroschocker kaufen oder Ehepaare, die sich gemeinsam ausrüsten wollen. "Das sind aber alles normale, rechtstreue Bürger", versichert Meinhard. Die meisten würden die Waffen gar nicht verwenden.

Die Aufrüstung ist nicht billig: Schreckschusspistolen kosten 100 bis 200 Euro. Online beschweren sich viele über stark gestiegene Preise von Pfefferspray. Eine Preissteigerung hält Prase vom Hersteller Def-Tec nicht für nötig: Um etwa 600 Prozent sei sein Umsatz zwischen September und Dezember 2015 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, sagt er. "Im Januar haben wir sogar das Zwölffache verkauft."

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