Selbstanzeigen von Steuersündern:Welle der Ehrlichkeit

Der Fall Hoeneß wirkt sich aus: Steuerberater und Anwälte beobachten einen rapiden Anstieg bei den Selbstanzeigen von Steuersündern. Doch straffrei auszugehen ist nicht leicht.

Von Silke Bigalke und Harald Freiberger, Frankfurt

Der Fall Hoeneß und die Folgen: Seit am 20. April öffentlich wurde, dass der Präsident des FC Bayern München auf einem Konto in der Schweiz Steuern hinterzogen hat, ist die Anzahl der Selbstanzeigen in Deutschland rapide gestiegen. Steuerberater und Anwälte registrieren derzeit Hunderte Steuersünder, die sich straffrei stellen wollen, indem sie sich selbst anzeigen.

"Die aktuelle Diskussion hat die Selbstanzeigen flutwellenartig ansteigen lassen", sagt Franz Bielefeld, Steuerstrafverteidiger in der Kanzlei Rölfs-Partner. Er beschäftigt sich seit Wochen mit kaum etwas anderem als mit Selbstanzeigen neuer Mandaten. Auf seinem Schreibtisch in München sind in diesem Jahr bereits 35 Fälle gelandet. In den zwölf deutschen Standorten seiner Kanzlei zählen die Berater seit Jahresanfang deutlich über 100 Fälle. "Das sind viel mehr als 2012 und auch mehr als bei den letzten beiden Wellen 2008 und 2010", sagt Bielefeld. Damals zeigten sich viele Steuersünder selbst an, weil der deutsche Fiskus CDs mit Daten einer Liechtensteiner und einer Schweizer Bank aufgekauft hatte.

Auch Markus Brender, Steuerfachanwalt in Frankfurt, spricht von einer "Welle von Selbstanzeigen". Derzeit arbeitet er an rund 20 Fällen. Eigentlich habe er gedacht, dass es kaum mehr Steuersünder im Ausland gibt, die sich nicht schon offenbart haben. "Aber offensichtlich haben viele bis zuletzt darauf vertraut, dass das Schweizer Bankgeheimnis schon halten werde", sagt der Anwalt. Das Scheitern des Steuerabkommens im Herbst letzten Jahres, das die Anonymität gewahrt hätte, hat diese Hoffnung zerrinnen lassen.

"Die Indiskretion hat allen gezeigt: Das ist kein Spaß"

Hinzu kommt, dass die Schweizer Banken ausländische Kunden derzeit auffordern, steuerlich reinen Tisch zu machen. Sie wollen Schwarzgeld loswerden und ändern ihr Geschäftsmodell. "Der Fall Hoeneß hat wohl wegen der Prominenz auch bei bisher Unentschlossenen den Anstoß gegeben, etwas zu unternehmen", sagt Brender. "Die Indiskretion hat allen gezeigt: Das ist kein Spaß", meint Bielefeld.

Die Welle der Selbstanzeigen kommt auch schon in den Finanzämtern an. In Rheinland-Pfalz gab es seit Jahresbeginn 760 Selbstanzeigen, davon allein 137 im Mai. In Baden-Württemberg kamen in der zweiten Aprilhälfte 125 Fälle hinzu, in Nordrhein-Westfalen seit 1. Mai 173, in Hessen im April und Mai 250. Eine Sprecherin des Finanzministeriums in Düsseldorf erwartet, dass die Zahl in den nächsten Wochen noch deutlich steigt. Erfahrungsgemäß dauert es ein paar Wochen vom Entschluss bis zum Gang zum Finanzamt, weil erst die Daten zusammengestellt werden müssen.

Bundesweit gab es von Februar 2010 bis Ende April dieses Jahres gut 47.000 Selbstanzeigen. Damals führten die Bundesländer regelmäßige Meldungen ein. Die meisten Fälle entfallen auf Baden-Württemberg mit fast 12.000, es folgen Nordrhein-Westfalen (rund 7950), Bayern (6000), Niedersachsen (5800), Rheinland-Pfalz (5350) und Hessen (4700).

"Das Dilemma der Berater"

Eine Selbstanzeige ist heute viel aufwendiger als noch vor wenigen Jahren. Mit dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz 2011 sei das Verfahren "sehr stark erschwert worden", sagte Hartmut Schwab, Vizepräsident der Steuerberaterkammer, am Montag auf dem Steuerberaterkongress in Dresden. Das habe seine Zunft in die Bredouille gebracht. Durch das Gesetz sind keine Teilanzeigen mehr möglich, alles muss beim ersten Versuch komplett erfasst sein. "Wenn Sie irgendwas vergessen, haben Sie sich selbst angezeigt, aber keine Straffreiheit", sagt Schwab. Auch hier ist der Fall Hoeneß ein abschreckendes Beispiel.

Die Selbstanzeige muss vollständig sein, bei großen Summen muss sie über zehn Jahre zurückgehen, sie muss auch alle Steuerarten für alle möglichen Einnahmen erfassen. Es hilft nichts, wenn man Zinseinnahmen und Dividenden im Blick hat, aber Gewinne aus Aktienverkäufen übersieht. Wer zwar Erträge aus dem Schweizer Depot nachträglich meldet, aber beispielsweise ein Honorar für eine Rede vergisst, die er vor Jahren auf einem Kongress hielt, hat auch Pech. Er verliert ebenfalls die Möglichkeit, straffrei zu bleiben. "Häufig kommt Geld aus Schenkungen oder Erbschaften, hier kann man viele Fehler machen", sagt Bielefeld. Das Problem sei, dass es wenig Spezialisten auf dem Gebiet gebe. "Das Dilemma der Berater ist, dass sie der Flut der Fälle kaum noch Herr werden."

Schlaflos, bis die Papiere auf dem Weg zum Finanzamt sind

Häufig passieren Fehler aus Zeitdruck. "Aus Angst vor Entdeckung will der Steuersünder so schnell wie möglich handeln", sagt Anwalt Brender. Sein Kollege Bielefeld kennt Mandanten, die "nicht mehr schlafen können, bis die Papiere auf dem Weg zum Finanzamt sind". Doch das Auflistung der Daten kann Monate dauern. Das Finanzamt verlangt, dass jeder erzielte und unversteuerte Gewinn aufgeführt wird. Manche Bankkunden machen täglich mehrere Geschäfte. Müssen diese über einen Zeitraum von zehn Jahren zurück aufgeführt werden, "kann dies ein ganzes Paket von Unterlagen sein", sagt Brender.

"Die Banken kommen kaum damit hinterher, die Unterlagen an die Kunden zu verschicken", sagt Bielefeld. Die großen drei in der Schweiz, UBS, Credit Suisse und Julius Bär, hätten das Problem zwar gut im Griff. In manchen Fällen brauchten die Institute aber bis zu sechs Monate. Für viele Mandanten von Bielefeld ist das eine schwer erträglich lange Zeit.

Nicht alle Banken sammeln die Daten über zehn Jahre. Sind die Zahlen nicht mehr belegt, muss man schätzen - und dann sicherheitshalber zu hoch als zu niedrig. Aber: Wer hoch schätzt, muss auch viel nachzahlen. Und hat er das Geld nicht parat, wenn die Forderung (inklusive sechs Prozent Zinsen pro Jahr) vom Finanzamt kommt, war die Selbstanzeige umsonst - und der Steuersünder muss sich am Ende vor Gericht verantworten. "Bei der Selbstanzeige kann viel schiefgehen. Man hat nur einen einzigen Schuss, entweder der sitzt, oder er sitzt nicht", sagt Bielefeld.

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