Franken-Kurs:Echter Schock, kein Schöckli

Japanese tourists pose for a photo with an artificial cow in Zermatt

Auf den Gästen aus Asien ruht die Hoffnung vieler Schweizer Hoteliers: Japanische Touristen mit Kuh in Zermatt.

(Foto: Adrian Streun/Reuters)
  • Der teure Franken trifft die Schweizer Wirtschaft: Die Exporte gehen zurück, weil ihre Produkte teurer werden.
  • Kleinere Exportfirmen und Zulieferer können dem Währungsschock kaum ausweichen. Leichter haben es große Konzerne.
  • Besonders betroffen ist der Tourismus: Für Urlauber aus den Euro-Ländern werden Ferien in der Schweiz noch teurer, für die Schweizer in der Euro-Zone günstiger.

Von Charlotte Theile, Zürich

Im März sah es für die Schweizer Wirtschaft eigentlich schon wieder ganz gut aus. Die Arbeitslosigkeit war zurückgegangen, statt der befürchteten Rezession wurde ein geringes Wachstum prognostiziert. Selbst der Tourismus - die Branche, von der alle angenommen hatten, sie werde am stärksten unter dem starken Franken leiden - meldete keine Einbrüche, sondern sechs Prozent mehr Übernachtungen. "Franken-Schöckli statt FrankenSchock?" fragten Journalisten, während sich in Diskussionen Experten einig wurden: Die Schweizer Unternehmen seien so gut aufgestellt, dass sie mit der Freigabe des Mindestkurses vom Franken zum Euro leben könnten. Ist die Panik vom Januar, als der Franken schlagartig um zwanzig Prozent teurer geworden war und alle Swatch-Chef Nick Hayek zitierten, der die Schweiz in einem schier unkontrollierbaren "Tsunami" sah, wirklich unbegründet?

Seither ist der Franken nicht, wie erhofft, wieder etwas günstiger geworden, sondern hat sich in die andere Richtung bewegt. Am Dienstag stand er bei knapp 1,05 Franken pro Euro. Die Parität, ein Kurs von eins zu eins, ist nahe. 15 Wochen nach der Freigabe des Wechselkurses wird das zu einem immer ernsteren Problem. So gab die Eidgenössische Zollverwaltung am Donnerstag bekannt, die Exporte des Landes seien im ersten Quartal 2015 um 1,4 Prozent auf 50,6 Milliarden Franken zurückgegangen. Auch die Schweizerische Nationalbank ist betroffen: Anlagen in fremden Währungen wie dem Euro oder dem US-Dollar verloren an Wert. Die Zentralbank hat für das erste Quartal einen Verlust von 30 Milliarden Franken ausgewiesen.

Große Konzerne weniger betroffen

Am schwersten erwischt hat es die Papier- und Grafische Industrie. Dort gingen die Exporte im ersten Quartal 2015 um 13 Prozent zurück. Auch Kunststoffindustrie (minus neun Prozent) und Maschinen- und Elektronikindustrie (minus 6,5 Prozent) mussten große Verluste hinnehmen. Andere dagegen scheinen gegen Wechselkursschwankungen immun zu sein: Exporteure von Präzisionsinstrumenten und Uhren konnten in den ersten drei Monaten des Jahres gar Zuwächse verzeichnen.

Frank Schmidbauer, Konjunkturanalyst beim schweizerischen Staatssekretariat für Wirtschaft, sagt: "Die Abhängigkeit vom Kurs des Schweizer Franken, die sogenannte Wechselkurssensitivität, unterscheidet sich je nach Firma und Branche erheblich." Große Konzerne etwa, dazu zählt die Pharma-Industrie, seien von Währungsschwankungen weniger betroffen als kleinere Exportfirmen und Zulieferer, die dem Währungsschock kaum ausweichen können. "Wer überall auf der Welt aktiv ist, kann leichter strategische Verlagerungen vornehmen - also zum Beispiel einen Produktionsstandort ins günstige europäische Ausland verlagern." Doch so weit müsse es oft gar nicht kommen, glaubt Schmidbauer. Große Konzerne könnten auch günstige Vorleistungen aus dem Euro-Raum einkaufen oder Geschäfte in anderen Regionen der Welt machen.

Uhren aus der Schweiz müssen teuer sein

So lässt sich zum Beispiel der Erfolg der Schweizer Uhrenindustrie erklären. Obgleich die Unternehmen oft zu sehr hohen Löhnen in der Schweiz fertigen, haben sie den Franken-Schock scheinbar unbeschadet überstanden. Das Geschäft mit den luxuriösen Zeitmessern läuft besonders in Asien gut. Das Verhältnis von Franken und Euro spielt dabei kaum eine Rolle. Außerdem funktionieren die Preise im Luxussegment nach anderen Regeln: Uhren aus der Schweiz müssen teuer sein.

Ganz anders sieht es bei Firmen aus, die ihr Geschäft im Euro-Raum machen. Der Zürcher Verlag Diogenes etwa musste seine Prognosen für 2015 nach der Freigabe des Wechselkurses komplett überarbeiten. Man müsse einen einstelligen Millionbetrag einsparen, erklärte die Geschäftsleitung. Die Arbeitsplätze in der Schweiz seien jedoch vorerst nicht gefährdet.

Stattdessen will der Verlag Preiserhöhungen durchsetzen. Doch auch das ist schwierig. 90 Prozent des Umsatzes erwirtschaften die Zürcher in Deutschland. "Die deutschen Verbraucher sind extrem preisorientiert", sagt Stefan Fritsch, Geschäftsleiter des Verlags. Hier könne man den Bogen leicht überspannen, langjährige Kunden vergraulen. Und so hat Diogenes in diesem Jahr eine andere Sparmaßnahme beschlossen: Zur Frankfurter Buchmesse im Oktober werden die Schweizer diesmal nicht anreisen. Zu teuer.

Der Umzug in den Euroraum ist verlockend

Stefan Pfister, CEO des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG in der Schweiz, beobachtet, dass viele Unternehmen überlegen, welche Prozesse sie ins Ausland verlagern könnten. Das habe den Druck erhöht, wirtschaftspolitische Reformen "rasch erfolgreich umzusetzen", um möglichst wenige Arbeitsplätze im Land zu verlieren. Die Forderungen der Wirtschaft nach günstigen Rahmenbedingungen haben zur Zeit großen Erfolg. Als kurzfristige Maßnahme wurde die Kurzarbeit eingeführt. Nicht wenige Betriebe, gerade in der Maschinenbau- und Elektroindustrie, setzen aber auf das Gegenteil: "Viele haben in den vergangenen Wochen die Arbeitszeit erhöht, bei gleichem Lohn", sagt Konjunkturanalyst Schmidbauer. Er findet: In Notlagen seien Wochenarbeitszeiten von 42 oder 44 Stunden eine gute und flexible Lösung.

Doch auch, wenn jeden Tag eine halbe Stunde länger gearbeitet wird: Der Umzug ins billige Euro-Land bleibt für Schweizer Unternehmen verlockend. Vom 11. bis 13. Juni etwa findet in Cottbus der Kongress "Innovativ zu Fachkräften" statt, veranstaltet von der "Vorteilsregion Lausitz". Eine Werbeveranstaltung, die Unternehmen aus der Schweiz in den günstigen Osten Deutschlands locken soll. Was bei Schweizer Zeitungen für Empörung sorgt ("Deutsche ködern Schweizer Firmen mit Prämien"), könnte sich für die Lausitz als Erfolgsrezept erweisen.

"Die Übernachtungen aus dem Euro-Raum gehen zurück"

Auch in die andere Richtung ist die Mobilität groß: Grenzgänger aus Frankreich, Italien und Deutschland spielen in der Schweiz eine wichtige Rolle. Zudem kommen Saisonarbeitskräfte ins Land, um zum Beispiel in Hotels und Restaurants zu arbeiten. Doch in dieser Branche dürften in Zukunft Veränderungen anstehen. Christoph Juen, Chef der Schweizer Hotellerie, sieht die guten Zahlen vom Winter vor allem durch vorherige Buchungen und die Konzentration der Skiferien auf den Februar begründet. Doch schon im März waren die Zahlen rückläufig, auf den Sommer schaut er mit Sorge. "Für Asien und die Golfstaaten sind unsere Zahlen gut. Die Übernachtungen aus dem Euro-Raum gehen dagegen zurück." Und nicht nur das: Auch die Schweizer können jetzt deutlich günstiger im nahen Ausland Urlaub machen.

Der Tourismus ist wohl am stärksten vom starken Franken betroffen. Die Strategien der Branche könnten daher wegweisend für die ganze Schweiz sein: Asien statt Europa. Gelegentliche Sonderangebote für die Nachbarländer, um kleine Familienbetriebe in den Bergen am Leben zu halten. Aber vor allem immer mehr und immer teurere Luxushotels.

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