Schweiz:Streit um Standards

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Die Schweiz und auch die EU wollen Umwelt- und Menschenrechte außerhalb ihrer Grenzen stärken. Allerdings mit unterschiedlichen Regeln. Schweizer Unternehmen befürchten dadurch Wettbewerbsnachteile.

Von CHarlotte THeile, Zürich

Viermal im Jahr stimmen die Schweizer über Themen von nationaler Bedeutung ab, die Abläufe sind immer ähnlich: Einige Wochen vor der Wahl erhalten die Bürger ihr "Stimmbüchlein", darin sind Pro- und Contra-Argumente aufgelistet. Dann beginnt die entscheidende Phase des Abstimmungskampfes. Jede Interessengruppe schlägt sich nun auf die eine oder andere Seite. Doch je wichtiger eine Initiative ist, desto früher beginnt die Diskussion. Das heißt: Der Schweiz steht offenbar eine der wichtigsten Abstimmungen ihrer Geschichte bevor. Denn der Vorstoß, über den alle reden, ist einer, der erst 2019 zur Abstimmung kommen könnte.

85 Vereine, viele von ihnen international tätige Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), fordern, dass Unternehmen, die ihren Sitz in der Schweiz haben, den Schutz von Menschen und Umwelt verbindlich in ihre Geschäfte einbauen. Das bedeutet: Die Konzerne wären künftig dafür verantwortlich, sämtliche Geschäftsabläufe darauf hin zu überprüfen, ob sie mit geltenden Menschenrechtsstandards vereinbar sind oder die Umwelt zerstören. Kommen sie dieser Verantwortung nicht nach, könnten sie vor Schweizer Gerichten auf Wiedergutmachung verklagt werden. Bei den Wirtschaftsverbänden Economiesuisse und Swissholdings hat der Vorstoß schon jetzt zahlreiche Reaktionen hervorgebracht, alle mit dem gleichen Tenor: Die Initiative stelle die "Schweiz als Konzernstandort infrage" und verlange den Unternehmen eine "grenzenlose Bürokratie" ab. Denn auch wenn in der EU bald ähnliche Regelungen Gesetz werden, die Schweiz hätte mit dieser Initiative eine eher strikte Auslegung der ethischen Standards. Um es mit Economiesuisse zu sagen: einen Wettbewerbsnachteil. Besonders fürchten sich die Konzerne vor der Haftung, die sie für Tochter-Firmen im Ausland eingehen müssten. Im Initiativtext heißt es, die Sorgfaltspflicht liege beim Unternehmen.

Die Initiative wird auch "Lex Glencore" genannt - schließlich hat der Rohstoffkonzern mit Sitz im Kanton Zug in der Vergangenheit mit Umwelt- und Menschenrechtsskandalen von sich reden gemacht. Glencore ist allerdings nur einer von vielen multinationalen Unternehmen, die von niedrigen Steuern und günstigen Rahmenbedingungen in die Schweiz gelockt wurden. Viele warnen: Wenn die Konzerne fürchten, in der Schweiz verklagt zu werden, verlassen sie das Land. Solche Argumente haben in der Vergangenheit meist ausgereicht, um Abstimmungen zu gewinnen.

Dieses Mal scheint das anders zu sein. Nach den Enthüllungen der Paradise Papers fühlen sich die Wirtschaftsverbände unter Druck, schreiben in scharfem Ton über "Heuchler und Moralisten" wie etwa U2-Sänger Bono, der gegen Armut kämpfe und sein Geld in Steueroasen lagere, und betonen: "Recht und öffentliche Moral sind nicht immer das Gleiche."

In der Öffentlichkeit haben sie damit einen überraschend schweren Stand. Die Berichte über die Initiative werden viel kommentiert und gelesen. "Die Wirtschaft hat schon recht. Es ist unheimlich schwierig, Geschäfte zu machen, ohne die Menschenrechte zu verletzen und ohne die Umwelt zu zerstören ...", heißt es an einer Stelle, andere wiederum schreiben: "Ich möchte von solchen Geschäften nicht profitieren." Ob sich diese Haltung in einem Ja zur Initiative niederschlägt? Unwahrscheinlich. Dennoch bewegt sich etwas. Immer mehr Politiker und Unternehmen fordern nun, den NGOs entgegenzukommen und die rechtlichen Standards zumindest ein bisschen zu verschärfen.

© SZ vom 15.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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