Schweden:"Junge Leute nutzen kein Bargeld"

Der schwedische Zentralbank-Chef Stefan Ingves glaubt, dass der Einsatz von Münzen und Scheinen keine Zukunft hat.

Interview von Markus Zydra

Stefan Ingves erlebt in Schweden, was Deutschland vielleicht noch bevorsteht: Die Immobilienpreise sind gefährlich hoch, die Menschen leihen sich zu viel Geld. Der schwedische Zentralbankchef stärkt den Häuser-Boom durch Negativzinsen. Ingves erklärt im Interview, warum er keine andere Wahl hat.

SZ: Herr Ingves, die schwedische Zentralbank hat schon 2009 Negativzinsen eingeführt. Heben die Bürger Bargeld ab, um es unter der Matratze zu bunkern?

Stefan Ingves: Nein, diese Debatte haben wir nicht. Wir erleben einen technologischen Wandel. Schweden ist vielleicht das einzige Land in der Welt, wo der Einsatz von Bargeld abnimmt. Es ist eine Generationenfrage. Junge Leute nutzen kein Bargeld. Stattdessen wird immer häufiger mit dem Mobiltelefon bezahlt. Das elektronische Bezahlen wird die Zukunft dominieren.

Gefährdet der Negativzins die Stabilität des Bankensystems?

Unsere Banken können das kompensieren. Sie machten insgesamt einen Profit von rund 90 Milliarden Kronen.

In Deutschland jammern die Banken über den Negativzins.

Man sollte da erst mal nachrechnen. Aber natürlich ist unser Bankensystem ziemlich profitabel, gut kapitalisiert und hat niedrige Kosten. Deshalb haben wir nicht diese Diskussion, die in Europa geführt wird, wo einige Banken schlechter dastehen.

Die Immobilienpreise in Schweden steigen seit Jahren, auch wegen der niedrigen Zinsen. Die schwedische Zentralbank nimmt das in Kauf?

Swedish Property As Runaway Property Prices Put Investment Funds At Risk

"Wir sitzen in der Ecke", gibt der schwedische Zentralbankchef Stefan Ingves zu. In Schweden steigen seit Jahren die Immobilienpreise. Das ist eine Folge der niedrigen Zinsen.

(Foto: Johan Jeppsson/Bloomberg)

Wenn wir höhere Leitzinsen beibehalten hätten, dann hätte unsere Währung aufgewertet. Das wiederum hätte Wachstum und Inflation beeinflusst, was wir verhindern wollten. Wir sitzen in der Ecke. Gleichzeitig sagen wir deutlich, dass der Häusermarkt dysfunktional ist und die Leute sich zu viel Geld leihen. Das ist nicht zukunftsfähig. Doch das Problem müssen die Politiker und Aufseher lösen. Die machen bislang zu wenig.

Schwedens Wirtschaft boomt, dennoch gibt es keine Inflation. In den Lehrbüchern steht das anders. Eigentlich müssten die Preise steigen.

Wir leben in einer komischen Welt. Ich bin jetzt ein alter Mann und erinnere mich an die Lehrbücher. Doch in der Realität muss man die Welt so nehmen, wie sie ist.

Durch die Niedrigzinsen steigen die Preise für Aktien und Immobilien. Viele Leute können sich diese Investitionen nicht leisten. Ist ihre Geldpolitik unfair?

Unsere Geldpolitik hat dafür gesorgt, dass die Nachfrage gestiegen, die Arbeitslosigkeit gesunken und das Wachstum gut ist. Wir haben also trotz dieser Probleme dazu beigetragen, dass es der ganzen Gesellschaft besser geht.

Die Europäische Zentralbank (EZB) kämpft verzweifelt darum, dass sie ähnlichen Erfolg hat.

Es ist nicht an mir, die EZB zu beurteilen. Aber eine Sache möchte ich ganz deutlich sagen: Wir wünschen der EZB wirklich Erfolg, weil es gut für Europa und für uns ist.

Sind die Zentralbanken auf dem richtigen Weg mit ihrer lockeren Geldpolitik?

Die Zentralbanken erledigen ihren Teil, aber sie können nicht jedes erdenkliche Problem lösen. Wir können Preise für eine lange Zeit stabilisieren, aber beim Rest geht es um Ausbildung, Produktivität und strukturelle Veränderungen, die den Wohlstand einer Nation ausmachen. Um diese Dinge muss man sich über einen langen Zeitraum regelmäßig kümmern.

Zentralbanken sind Kreditgeber in letzter Instanz. Wer bezahlt, wenn es schiefgeht?

Am Ende bezahlt immer die allgemeine Öffentlichkeit. Aber das viel wichtigere Thema ist doch, dass Probleme im Finanzsektor Probleme in der Realwirtschaft verursachen. Die Zentralbanken, Aufseher und Politiker müssen nach einer Krise die Teile wieder zusammenfügen, um so schnell wie möglich Wachstum zurückzubekommen. Ein Mangel an Wachstum ist ein riesiger Verlust für die Gesellschaft.

Also müssen die Zentralbanken einspringen?

Die meisten Bürger sind Steuerzahler, sie haben Ersparnisse und einen Rentenanspruch. Nach einer Finanzkrise gibt es dann eigentlich nur noch die Wahl, Ersparnisse oder Pensionsansprüche zu verlieren oder aber höhere Steuern zu bezahlen. Wenn man die Sache so sieht, dann erscheint es mir eine gute Idee zu sein, wenn man einen Kreditgeber der letzten Instanz hat. Die Kosten einer Finanzkrise wären sonst ungleich höher.

Sie haben 1993 auch die schlimme Finanzkrise in Schweden erlebt. Ganz generell: Haben die Verantwortlichen aus den vielen Krisen gelernt?

Es werden immer wieder dieselben Fehler gemacht. In Europa demonstrieren viele Staaten einen starken Unwillen, das Richtige zu tun. Wir wissen, wie man eine Bank restrukturiert und wie man das Durcheinander nach der Krise aufräumt. Das ist keine große Kunst - technisch. Aber es gibt immer jemanden, der dagegen ist, weil diese Aufräumarbeiten Macht und Reichtum neu verteilen. Die Leute, die ihre Macht behalten möchten, kämpfen gegen die richtigen Maßnahmen.

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