Schweden:Das gläserne Land

Wollen Sie wissen, was Ihre Nachbarn und Kollegen verdienen? In Schweden geht das - und jeder kennt das Vermögen von Popstars, Tennislegenden und Managern.

Gunnar Herrmann

Karl-Bertil Jonsson steht jedes Jahr an Weihnachten von dem klassischen Robin-Hood-Problem. Der junge Postangestellte will an seinem Arbeitsplatz die Pakete der Reichen stehlen und sie den Armen geben. Doch woher weiß er, wer reich ist? Da Karl-Bertil in Schweden arbeitet, ist die Lösung dieses Problems für ihn ganz simpel. Er schlägt die besonders betuchten Mitmenschen seiner Gemeinde einfach im Besteuerungs-Kalender nach. Das telefonbuchartige Verzeichnis erscheint jährlich und es listet wohlhabende Bürger auf, mit genauer Angabe ihres zuletzt versteuerten Jahreseinkommens. Die Zahlen stammen vom Finanzamt, denn ein Steuergeheimnis kennen die Schweden nicht.

Schweden: Schwedens Bürger sind transparent. Zumindest was ihr versteuertes Einkommen betrifft - Wimbledonsieger Björn Borg meldete für das Jahr 2005 ein Einkommen von nur rund 260 Euro.

Schwedens Bürger sind transparent. Zumindest was ihr versteuertes Einkommen betrifft - Wimbledonsieger Björn Borg meldete für das Jahr 2005 ein Einkommen von nur rund 260 Euro.

(Foto: Foto: dpa)

Die Geschichte von Karl-Bertil ist ein Trickfilm, der jeden Heiligen Abend vom schwedischen Fernsehen ausgestrahlt wird. Die Erzählung vom Postangestellten, der Pakete umverteilt, ist ein modernes Märchen und gehört für viele Schweden zu Weihnachten wie Pfefferkuchen und Christbaum. Den Besteuerungskalender aber gibt es wirklich. Er erscheint seit über 100 Jahren. Die Ranglisten mit den Einkommen von Wirtschaftsbossen, Stars und Politikern liefern den Zeitungen alljährlich Stoff für Schlagzeilen. Heutzutage ist der gedruckte Kalender freilich etwas aus der Mode. Im Kommunikationszeitalter gibt es bessere Methoden, um in den öffentlich zugänglichen Daten des Finanzamts zu recherchieren. Journalisten, Kaufleute oder neugierige Bürger können die Behörde einfach anrufen. Zum Beispiel, um zu fragen, wie viel Geld der Nachbarn, der potentielle Kunde oder der Arbeitskollege zuletzt versteuert hat.

Über Löhne schweigen Arbeitnehmer trotzdem

Das klingt für Bundesbürger ungewöhnlich. Aber trotz dieser Offenheit im Amt geht es an schwedischen Arbeitsplätzen in puncto Geld nicht viel anders zu als an deutschen. "Es ist jedenfalls nicht so, dass Gehälter hier Dauerthema in der Kaffeepause wären", sagt zum Beispiel Martin May. Der Deutsche arbeitet als Unternehmenssprecher für den Energiekonzern Vattenfall in Stockholm. May sagt, dass schwedische Arbeitnehmer sich meist über ihren Lohn ausschweigen. Er jedenfalls wisse nicht, was seine Kollegen verdienen und er sei auch nie auf seinen eigenen Lohn angesprochen worden. Wenn May mit neuen Mitarbeitern über ihr Gehalt verhandelt, bleibt das Ergebnis - ebenso wie in Deutschland - geheim; zumindest bis zum nächsten Steuerbescheid.

Einige Unterschiede gibt es aber doch. Aufgefallen ist May zum Beispiel die hohe Moral der Schweden gegenüber dem Fiskus. Das bei Deutschen so beliebte Steuersparen gilt im Norden als unfein. "Ich war überrascht, als ich in meinem Sprachkurs gelernt habe, dass das Wort Steuerplanung für Schweden einen sehr negativen Klang hat", sagt May. "In Deutschland ist es ja völlig normal, seine

Einnahmen und Ausgaben so zu planen, dass man möglichst wenig ans Finanzamt zahlen muss." Die kritische Einstellung der Schweden in diesem Punkt ist sicher auch eine Folge einfacherer Gesetze, die Durchschnittsverdienern wenig Schlupflöcher bieten. Der normale Angestellte schickt in Schweden seine Steuererklärung schon mal per SMS ins Finanzamt, so kurz ist sie.

Das gläserne Land

Hotline des Finanzamts informiert über das Einkommen anderer

"Steuerplanung" bringt nur Selbstständigen oder Spitzenverdienern wirklich Vorteile. Die hohe Steuermoral hängt aber zudem sicher mit der großen Offenheit zusammen. Denn selbst wenn im Alltag nicht ständig davon Gebrauch gemacht wird: Theoretisch lassen sich beim Finanzamt binnen Minuten Informationen über die Einkommensverhältnisse aller Steuerzahler erfragen. Der Bescheid vom Fiskus ist eben keine Privatsache, sondern eine öffentliche Angelegenheit. Jeder kann unter 0771-567 567 die "Steuerauskunft" erreichen.

Zum Beispiel, um zu fragen, was Regierungschef Fredrik Reinfeldt so verdient. Das Finanzamt grüßt dann mit einer freundlichen Computerstimme: "Für Privatpersonen: Drücken Sie bitte die Eins. Für Unternehmen die Zwei ..." Reinfeldt ist eine Privatperson, also Nummer eins. Die Stimme informiert nun darüber, dass 54 Personen in der Warteschlange sind und von 96 Sachbearbeitern bedient werden. Fünf Minuten später sagt eine Mitarbeiterin der Behörde auf die Frage nach dem zuletzt versteuerten Jahreseinkommen von Ministerpräsident Fredrik John Reinfeldt nur: "Haben sie ein Geburtsdatum? Dann finde ich ihn leichter." Reinfeldt ist am 4. August 1965 geboren. "Im Jahr 2006 belief sich sein Einkommen auf 1.383.600 Kronen." Das sind knapp 150.000 Euro. " Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?"

Die Boulevardpresse veröffentlicht regelmäßig den Verdienst der wohlhabendsten Schweden. So erfährt man zum Beispiel, dass Per Gessle - bekannt als Sänger des Pop-Duos Roxette - ein Jahreseinkommen von 12,9 Millionen Kronen versteuert, was 1,4 Millionen Euro entspricht und ihn zu einem der bestbezahltesten Künstler des Landes macht. Eine Schlagzeile war auch die Steuerklärung von Björn Borg wert. Die Tennislegende hatte dem Finanzamt für das Jahr 2005 ein Einkommen von nur 2462 Kronen (260 Euro) Kronen gemeldet. Im gleichen Jahr sorgte Borg für Aufsehen, weil er seine alten Wimbledonpokale versteigerte. Dank Immobiliensteuer ging aus den öffentlichen Daten allerdings auch hervor, dass das Finanzamt Borgs Villa im Stockholmer Schärengarten auf einen Wert von 4,5 Millionen Kronen (480.000 Euro) schätzte. Pleite war er also nicht. Weil auch Vermögen in Schweden steuerpflichtig ist, kann man selbst über das Ersparte seiner Mitmenschen etwas in der Zeitung lesen.

Ericsson-Chef ist einer der reichsten Schweden

Einer der reichsten Schweden ist demnach Carl-Henric Svanberg, Chef des Mobilfunk-Konzerns Ericsson, der im Jahr 2006 ein Vermögen von mehr als 833 Millionen Kronen (88 Millionen Euro) zur Taxierung meldete. Gehälter und Vermögen von Firmenchefs wie Svanberg werden auch alljährlich in einem Bericht des Gewerkschaftsdachverbands LO veröffentlicht - und dort mit den Einkommen von Industriearbeitern verglichen.

Die Zahlen, die beim Finanzamt erfragt werden, entsprechen allerdings nicht in allen Fällen dem tatsächlichen Verdienst, wie Lars Tegenfeldt erläutert, Rechtsexperte beim schwedischen Finanzamt. Schließlich gibt die Behörde nur Auskunft über steuerpflichtige Einnahmen, die Grundlage des Steuerbescheids sind. "Die Steuererklärung, in der der Bürger seine gesamten Verhältnisse ausführlich darlegen muss, ist dagegen auch bei uns geheim", sagt Tegenfeldt. Außerdem haben Superreiche in Schweden ähnliche Möglichkeiten, den Fiskus kurz zu halten, wie im Rest der Welt - beispielsweise durch einen Zweitwohnsitz in einem Steuerparadies. Trotzdem lassen sich aus dem Steuerbescheid natürlich gewisse Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Situation eines Menschen ziehen.

Dass diese Informationen so frei zugänglich sind, sei im Vergleich mit anderen Ländern sicher außergewöhnlich, sagt Tegenfeldt. Aber Offenheit gehöre eben seit dem 18. Jahrhundert in schwedischen Amtsstuben zur Tradition.

Das gläserne Land

Damals beschlossen König und Reichstag, dass grundsätzlich alle Verwaltungsakte öffentlich sind, außer es wird ausdrücklich das Gegenteil verordnet. "Man wollte verhindern, dass eine kleine Gruppe das Land hinter verschlossenen Türen regiert", sagt Tegenfeldt. "Aber natürlich waren die Voraussetzungen damals anders: Der Staat sammelte einfach nicht so viele Informationen über seine Bürger wie heute." Trotz der veränderten Bedingungen halten die Schweden aber an der Informationsfreiheit in Geldfragen fest. "Die Menschen sind eben daran gewöhnt, niemand stört sich daran", sagt Tegenfeldt.

Auch Karl-Bertil Jonssons Paketdiebstähle nehmen schließlich ein gutes Ende - obwohl sie zunächst eine Menge Ärger verursachen. Der Vater des Postangestellten ist von den Taten seines Sohnes nämlich entsetzt. "Ich habe einen Kommunisten an meinem Busen genährt!", flucht er, packt Karl-Bertil und den Besteuerungskalender und macht sich auf den Weg zu den Bestohlenen, damit der Übeltäter sich bei ihnen entschuldigt. Die wohlhabenden Opfer des Paketdiebes sind aber gar nicht böse über ihren Verlust. Im Gegenteil: Die Millionäre freuen sich, dass sie einmal ein Weihnachten ohne die vielen gehäkelte Topflappen und nutzlose Aschenbecher von Verwandten und Geschäftsfreunden verbringen dürften. Und so ist Karl-Bertil Jonsson, Schwedens Robin Hood, am Ende dank seiner gewissenhaften Recherche in den Steuerdaten sogar bei den Reichen beliebt.

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