Schuldfragen bei VW:Intrigenbiotop Wolfsburg

Der größte Autobauer Europas ist unter Druck geraten. Die Spekulationen über den Rausschmiss von Vorstandschef Pischetsrieder blühen schon - doch der hat viele Probleme nur geerbt.

Von Karl-Heinz Büschemann

München: Manfred Keller (Name geändert) ist empört. Er ist leitender Verkäufer eines großen VW-Händlers, und aus Erfahrung weiß er, wie das Geschäft läuft: Der Golf hat sich immer gut verkauft. Und nun das: Jetzt steht der Klassiker plötzlich im Ruf eines Ladenhüters, der nur noch Abnehmer findet, wenn es die Klimaanlage gratis gibt.

Der Golf 5 und Pischetsrieder

Ladenhüter Golf 5? Da wackelt Pischetsrieders Stuhl - dabei hat er die Probleme von VW nur geerbt.

(Foto: Foto: ddp)

"Es wäre besser gewesen, diesen Zusatz gleich umsonst einzubauen", meint der Verkäufer. Die Kunden seien nun erst recht verunsichert. "Die fragen sich doch: Welche Vergünstigung kriege ich morgen? Und dann warten sie weiter mit dem Autokauf." Keller versteht nicht mehr, was in Wolfsburg passiert.

Welt aus den Fugen

Bei Europas größtem Autokonzern, der im vorigen Jahr mit über 300.000 Mitarbeitern fünf Millionen Autos baute, ist die Welt aus den Fugen. Eine Autokrise grassiert: Die Nachfrage stockt, Anbieter stechen sich mit kostspieligen Rabatten gegenseitig aus, die Erlöse schrumpfen. Seit sich herumspricht, dass der Golf - ausgerechnet das wichtigste Auto der Wolfsburger - nicht so läuft wie erwartet, herrscht Panik im VW-Backsteinhochhaus am Mittellandkanal, wo der Vorstand sitzt.

Was in Zeitungen zu lesen ist, rückt den Traditionskonzern in die Nähe des Sanierungsfalls: Der Gewinn bricht ein, die Dividende wird gekürzt, das US-Geschäft stockt. Im Stammwerk Wolfsburg werden freie Tage eingeschoben, weil die Nachfrage lahmt.

"Wachsende Probleme bei VW" stellte das Wall Street Journal fest, und die Ratingagentur Standard & Poor's macht, was sie immer tut, wenn der letzte Aktionär schon längst wissen konnte, dass etwas schief läuft: Sie stufte den Ausblick für VW auf "negativ". Von Käuferstreik ist die Rede, von Konsumverweigerung. "Wir wissen nicht mehr, was auf dem Markt los ist", sagt ein VW-Mann.

Die Gerüchteküche brodelt

Kein Wunder, dass in der Autobranche, die nächste Woche auf dem internationalen Autosalon in Genf zusammenläuft, über kein Thema so intensiv geklatscht wird wie über die Führungsfrage bei VW: Wie lange wird Bernd Pischetsrieder, der vor zwei Jahren den Posten von Ferdinand Piëch übernahm, noch an der Spitze stehen? In der Gerüchteküche ist auch schon klar, wer Nachfolger wird: Martin Winterkorn, Chef der VW-Tochter Audi.

Die beiden sind sich verblüffend ähnlich. Beide sind 56 Jahre alt. Winterkorn wie Pischetsrieder sind begeisterte Ingenieure und Autofreaks. Den einen wie den anderen zeichnet ruhiges Temperament aus. Große Sprüche sind ihre Sache nicht. Winterkorn fällt eher durch nuscheliges Schwäbeln auf. Pischetsrieder pflegt gelassenen bayerischen Tonfall und liebt es, im Gespräch den Rauch seiner Havannas nachdenklich in die Luft zu pusten und möglichst wenig zu sagen.

Doch von Winterkorn heißt es, er sei ein alter Vertrauter und Wegbegleiter des heutigen VW-Aufsichtsratschefs Ferdinand Piëch, der zehn Jahre lang das Unternehmen führte. Pischetsrieder muss sich dagegen vorhalten lassen, dass der VW-Aktienkurs von mehr als 50 Euro auf unter 30 Euro gefallen ist, seit er den Chefstuhl übernahm. Jetzt soll ein Maßnahmenpaket helfen, das Bild aufzuhellen. Wie es aussehen soll, will Pischetsrieder am 9. März verraten.

Audi steht glänzend da

Der Strahlemann ist Winterkorn. Selten hat Audi so grandiose Schlagzeilen bekommen wie in den beiden Jahren unter Winterkorn. Der löste in den Medien einen regelrechten Wirbel von Jubelmeldungen über Audi aus. "Einer bietet immer mehr - der Audi A 8", schrieb die Fachzeitschrift Auto Motor und Sport enthusiastisch über einen Vergleich der Luxuskarossen von Mercedes über BMW bis Jaguar.

Der neue A6 sei "eine Skulptur aus Stahl", jubelte die Berliner Zeitung. "Große Schnauze" stellte ein anderes Blatt bewundernd über die auffallende neue Frontpartie der Audis fest und traf damit genau den richtigen Ton für das neue Ingolstädter Selbstbewusstsein. "Winterkorn läuft sich schon mal warm", heißt es im Konzern. Und ein anderer weiß: "Es gibt viele, die Pischetsrieder scheitern sehen wollen."

Ritt auf dem Monstrum

Der frühere BMW-Chef Pischetsrieder hat den undankbarsten Job in der deutschen Autoindustrie. Der einstige Staatsbetrieb, noch immer zu 13,7 Prozent im Besitz des Landes Niedersachen, gilt als fast unführbares Monstrum. Acht verschiedene Marken von Audi über Skoda, Seat und Volkswagen bis hin zu Lamborghini und Bugatti machen den Überblick schwer. Im Aufsichtsrat passt Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff mindestens so gut auf, dass in Niedersachsen kein Job wegrationalisiert wird wie der Betriebsratsvorsitzende Klaus Volkert, ohne dessen Segen bei VW nichts läuft.

Vor allem aber braucht Pischetsrieder den mächtigen Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch. Der hatte den Bayern, der nach dem Rover-Debakel den BMW-Konzern verlassen musste, nach Wolfsburg geholt. Doch wie lange lässt sich der knarzige Österreicher an der Aufsichtsratsspitze noch die schlechten Nachrichten aus Wolfsburg bieten? Viele bei VW trauen "dem Alten" zu, dass er plötzlich aus dem Hintergrund kommt und Pischetsrieder aus dem Sattel stürzt.

Damit würde Piëch den Konzernchef für Probleme bestrafen, die er selbst eingeleitet hat. Keiner hat die Geschicke von VW von 1993 bis 2002 so geprägt wie Piëch. Gleiches gilt für den Betriebsratsvorsitzenden Volkert, der zu Piëchs Zeiten manches im Aufsichtsrat abgenickt hat, was in Wolfsburg heute schief läuft.

Kampf der Kulturen

Bei VW schwelt ein brutaler Kulturkampf. Pischetsrieder, der einen kollegialen Umgangston pflegt, steht der Tradition eines alten Staatsbetriebs gegenüber, in dem von oben nach unten befohlen wird. Der fähige Autoingenieur Piëch regierte so autoritär in dem Konzern herum, dass er persönlich noch für die Veränderung der kleinsten Schraube sorgte. "In diesem Umfeld wirkt Pischetsrieder wie ein Zauderer", sagt ein Management-Experte.

Ohnehin ist Europas größter Autokonzern traditionell ein Eldorado für Heckenschützen und Fallensteller, die es darauf anlegen, dem Konzernchef ein Bein zu stellen. Über Pischetsrieder wird auf den langen Konzern-Fluren schon mal böse gelästert: "Der löst keine Emotionen aus und treibt die Leute nicht an."

Solche Äußerungen sägen an der Autorität des Chefs. In dem Wolfsburger Intrigenbiotop war es auch normal, dass es immer wieder krachte zwischen der Zentrale und Audi. So fand es Piëch in Ordnung, die bayerische Tochter öffentlich zu blamieren: "Da herrscht Stillstand", sagte Piëch einmal in einem Zeitungsinterview. Schon deshalb gelten Winterkorn und Pischetsrieder als Rivalen.

Hausgemachte Probleme

Dabei wird bei VW längst eingeräumt, dass Einiges im Argen liegt; dass der Golf zu teuer ist, seine Entwicklung zu aufwändig war, dass der technikverliebte frühere Konzernchef Piëch dem Auto eine superteure Hinterachse verpasste, die zwar die Rechenkünstler im Hause zur Verzweiflung bringt, dem Käufer aber gar nicht weiter auffällt. "Wir müssen uns fragen, was die Kunden wollen", sagte Pischetsrieder kürzlich auf einer Ingenieurstagung in Wolfsburg.

Im VW-Konzern gibt es über 100 verschiedene Motoren. Allein für den Basis-Polo stehen zehn Antriebe zur Auswahl - ein Alptraum für Kostenrechner. Die gesamte Dreier-Reihe von BMW kommt mit acht Triebwerken aus. Unter Piëch galt es als fruchtbarer interner Wettbewerb, dass bei Audi wie bei Volkswagen zwei Achtzylindermotoren parallel entwickelt wurden. Piëch fand auch nichts dabei, für VW den Phaeton völlig neu zu planen, obwohl es bei Audi mit dem A 8 einen Oberklassewagen schon gab. So verschenkt man Kostenvorteile.

Als Kunstfehler gilt auch, dass bei VW die teuren Autos wie der Geländewagen Touareg zum großen Teil im günstigen osteuropäischen Ausland gebaut werden. Massenautos wie der Golf, die unter brutalem Konkurrenzdruck stehen, laufen dagegen in deutschen Werken mit hohen Löhnen vom Band. "Wir haben bei VW ein zu hohes Kostenniveau", sagt ein VW-Manager. Mit diesem Problem hätte auch Winterkorn zu kämpfen.

Doch das Fernduell der VW-Häuptlinge ist nicht ohne Ironie: Bevor Winterkorn nach Ingolstadt ging, war er Entwicklungschef in Wolfsburg. Würde Winterkorn den VW-Chef beerben, käme der Mann auf Pischetsrieders Stuhl, der einen großen Teil der Entwicklung des neuen Golf verantwortet - für den Pischetsrieder heute gescholten wird.

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