Politik in der Euro-Krise:"Schlafwandelnd in die Katastrophe"

Renommierte Ökonomen schlagen Alarm: In einem dramatischen Appell warnen sie vor dem drohenden Kollaps der Euro-Zone - und schlagen eine Alternative zur Sparpolitik vor. Die Idee: Ein Tilgungsfonds, in den die angeschlagenen Krisenstaaten einen Großteil ihrer Schulden auslagern können.

Ökonomen streiten sich gerne. Peter Bofinger bildet da keine Ausnahme, und in Zeiten der Krise gibt es genügend Gelegenheit zum Streit. Was ist angesichts der dramatischen Schulden- und Vertrauenskrise in Europa zu tun? Bofinger, Wirtschaftsprofessor in Würzburg und Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung meint, kurz gefasst: Nicht noch mehr Sparen, sondern im Gegenteil mehr Geld ausgeben.

BESTPIX   University Students Protest In Barcelona

Europa tut zu wenig in der Krise. Diese Ansicht vertreten 17 führende Ökonomen. Im Bild: Ein Hotelangestellter in Barcelona, der versucht, mit einem Gartenschlauch ein von Demonstranten gelegtes Feuer zu löschen.

(Foto: Getty Images)

Das strikte Spardiktat stürze ohnehin schon angeschlagene Volkswirtschaften wie Griechenland oder Spanien noch immer in die Rezession. Die Folge sei, dass breite Bevölkerungsschichten verarmten und am Ende sogar die Demokratie in Gefahr geraten könne.

Gemeinsam mit 16 anderen führenden Ökonomen hat Bofinger jetzt ein Gutachten verfasst, das vom Institute for New Economic Thinking in New York veröffentlicht wurde. Die Wissenschaftler verlangen von den Regierungen dringend mehr Anstrengungen, um den drohenden Kollaps noch zu vermeiden.

"Europa steuert schlafwandelnd auf eine Katastrophe von unabsehbaren Ausmaßen zu", heißt es in dem Gutachten. Das Währungs- und Finanzsystem in der Eurozone müsse grundlegend reformiert werden. Außerdem bestünden Zweifel, ob das bisher ökonomisch starke Deutschland der europäischen Schuldenkrise noch gewachsen sei.

Anlass ist die aktuelle Einschätzung der Ratingagentur Moody's, welche die Spitzenbonität der Bundesrepublik, der Niederlande und Luxemburgs gefährdet sieht. Als Konsequenz stufte sie den Bonitätsausblick des Euro-Rettungsschirms herab, zu dem Deutschland erheblich beiträgt.

Wissenschaftler schlagen Schuldentilgungsfonds vor

"Entscheidend ist, dass mehr getan wird, um die Probleme kurzfristig zu lösen", sagte Bofinger der Financial Times Deutschland. Der Rettungsschirm sei zu klein, um den größeren Euro-Ländern zu helfen. Daher hätten sich die Wissenschaftler als akute Krisenmaßnahme auf den bereits vom Sachverständigenrat der Bundesregierung vorgeschlagenen Schuldentilgungsfonds geeinigt. Damit könnten die Verbindlichkeiten langfristig wieder auf ein tragfähiges Niveau fallen, sagte der Freiburger Professor Lars Feld, der wie Bofinger an dem Gutachten mitgearbeitet hat. "Dann wäre auch ein Licht am Ende des Tunnels erkennbar."

Der Pakt sieht vor, dass Euro-Staaten, die noch keine Hilfe erhalten, all ihre Staatsschulden oberhalb von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zeitlich gestreckt in einen Schuldentilgungsfonds übertragen, für den die Gemeinschaft haftet. Gleichzeitig müssen sie sich unwiderruflich verpflichten, die eingelagerte Schuld nach einem verbindlich festgelegten Tilgungsplan abzuzahlen.

Die Ökonomen fordern eine stärkere Verflechtung des Finanzsystems mit einer starken Institution auf EU-Ebene oder in der Euro-Zone, um die Stabilität der Banken zu einem Anliegen der ganzen Union zu machen. Zudem sollte der Euro-Rettungsfonds ESM als Kreditgeber mit einer Banklizenz ausgestattet werden, um seine "Feuerkraft" zu erhöhen. Alle Strukturreformen könnten aber nur Erfolg haben, wenn die Staaten ihre hohen Schulden abbauten und ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellten, erklärten die Fachleute. "Die Wahrnehmung einer nicht endenden Krise, in der ein Dominostein nach dem anderen fällt, muss revidiert werden", heißt es in der Stellungnahme.

Erweiterung des Rettungsschirms vonnöten

Die Beseitigung der Altlasten - also der Schuldenkrise - müsse noch stärker als bisher von allen Euro-Ländern gemeinsam getragen werden, heißt es in der Studie. Kurzfristig sei unter anderem die Erweiterung des Rettungsschirms für die Schuldenstaaten notwendig, sofern sie die vereinbarten Reformauflagen umsetzten. Eine langfristige Transferunion lehnen sie dagegen ab, ebenso wie Euro-Bonds.

Wirtschaftsweiser Feld nannte den kritischen Ausblick von Moody's für Deutschland berechtigt. Er plädierte dafür, Griechenland in der Euro-Zone zu halten. Ein drittes Rettungspaket dürfe es aber nicht geben, wenn die Regierung in Athen Auflagen nachweislich nicht erfüllt habe, sagte der Ökonom der Rheinischen Post.

Auch das Münchner Ifo-Institut sieht in der neuen Bewertung Deutschlands eine deutliche Warnung. "Wir sehen uns in unserer Analyse bestätigt, dass auch Rettung ansteckend sein kann", sagte Konjunkturchef Kai Carstensen der Neuen Osnabrücker Zeitung. Im schlimmsten Fall werde Deutschland mit 770 Milliarden Euro belastet. Darin enthalten seien die Risiken aus den Rettungsfonds, die Anleihen der Europäischen Zentralbank und 400 Milliarden Euro an Forderungen, die Deutschland über das europäische Abwicklungssystem Target gegenüber den Krisenländern aufgebaut habe.

Die Bundesregierung hat die Warnungen hingegen als überzogen bezeichnet. "Die Einschätzung, dass Europa am Rande einer Katastrophe steht, wird von der Bundesregierung ausdrücklich nicht geteilt", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter am Mittwoch in Berlin. Das Finanzministerium wies zudem Berichte zurück, Deutschland habe Spanien bei einem Ministertreffen am Dienstag gedrängt, sich unter den europäischen Rettungsschirm zu begeben. "Das ist abwegig und steht überhaupt nicht zur Debatte", sagte ein Sprecher.

Der Präsident des Bayerischen Finanz Zentrums, Wolfgang Gerke, nannte den Austritt Griechenlands aus dem Euro unvermeidbar. "Je länger damit gewartet wird, desto mehr wird es kosten", sagte er der Schweriner Volkszeitung. "Wenn jetzt Ratingagenturen wie Moody's vonseiten der Bundesregierung kritisiert werden, ist dies eine billige Ablenkung."

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