Schuldenkrise in Europa:Brüssel erwägt neues Instrument zur Euro-Rettung

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Zu spät, zu wenig, zu uneffektiv: Die Politik hat es bislang nicht geschafft, Europa aus dem Schuldensumpf zu ziehen, nun wächst die Kritik insbesondere aus den USA. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" arbeitet Brüssel an einem neuen Modell für europäische Schuldscheine. Ob Deutschland diesmal einwilligt, wird mit Spannung erwartet.

Die EU arbeitet nach Informationen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel an einem neuen Modell für europäische Schuldanleihen - an sogenannten Euro-Bills. Dabei handelt es sich um gemeinsame europäische Anleihen, die nur eine kurze Laufzeit haben und in der Summe begrenzt sind.

Ein Mann hat an einem Athener Automaten Geld abgehoben. An diesem Sonntag wird sich entscheiden, ob Griechenland weiterhin zur Euro-Zone gehören wird. (Foto: REUTERS)

Die Idee: Jeder Staat darf sich bis zu einem bestimmten Prozentsatz seiner Wirtschaftsleistung mittels Euro-Bills finanzieren. Das Druckmittel zur Einhaltung: Wer sich nicht an die Regeln hält, wird im Folgejahr vom Handel mit den Papieren ausgeschlossen.

Das neue Modell soll in der kommenden Woche beim Treffen der Staats- und Regierunggschefs vorgeschlagen werden. Mit Spannung erwartet wird vor allem die Reaktion Deutschlands: Die Bundesregierung hatte gemeinsame Anleihen in der bisher diskutierten Form der Euro-Bonds stets abgelehnt. Im Gegensatz zu den "Bonds" wären die "Bills" jedoch in Höhe und Dauer begrenzt - und könnten damit laut Angaben aus Brüssel mit dem deutschen Grundgesetz übereinstimmen.

Seehofer erwägt deutschen Alleingang bei Transaktionssteuer

Deutschland wird indes versuchen, die von der Bundesregierung seit langem favorisierte Finanztransaktionssteuer durchzusetzen. Nachdem sich Regierung und Opposition geeinigt haben, lässt Finanzminister Wolfgang Schäuble nun konkrete Pläne für die Abgabe ausarbeiten, berichtet der Spiegel. Demnach soll die neue Steuer nur für Verkäufe von Aktien und solche Derivate gelten, bei denen die Aktien tatsächlich auch physisch den Besitzer wechseln.

Da zunächst ein neues elektronisches Erfassungssystem für den Handel installiert werden muss, können nach Einschätzung der Bundesregierung frühestens 2015 Einnahmen aus der geplanten Steuer fließen. Das Finanzministerium rechnet mit einem jährlichen Aufkommen von etwa zwei Milliarden Euro in Deutschland. Der Steuersatz von 0,1 Prozent auf den Kaufpreis soll sowohl für den Käufer wie auch für den Verkäufer fällig werden.

Gehen die Pläne der Bundesregierung auf, soll die Finanztransaktionssteuer in der gesamten EU eingeführt werden. Gelingt dies nicht, soll der Weg der "verstärkten Zusammenarbeit" beschritten werden - dann würden sich neun Mitgliedsländer an dem gemeinsamen Vorgehen beteiligen. Bei einem Scheitern will Schäuble versuchen, eine "Koalition der Willigen" zu bilden, die die Steuer in ihre jeweilige nationale Gesetzgebung umsetzen.

Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer sprach sich im Interview mit dem Spiegel dafür aus, die Steuer notfalls im Alleingang einzuführen. "Wer die Finanztransaktionssteuer nur dann will, wenn alle EU-Mitglieder sie beschließen, will sie in Wahrheit überhaupt nicht. Dann soll er das ehrlich sagen", sagte der bayerische Ministerpräsident. Es sei ideal, wenn eine bestimmte Zahl an Euro-Ländern die Steuer zu abgestimmten Bedingungen einführe. Wenn es aber auch dazu nicht kommen sollte, "dann gehen wir Deutschen eben mit gutem Beispiel voran".

Wie wichtig es für Deutschland ist, die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen, zeigen aktuelle Zahlen des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Sollte die Euro-Zone zusammenbrechen, liegt das finanzielle Risiko in Deutschland demnach bei 1,5 Billionen Euro. Die Bundesbank aber auch andere deutsche Banken, die Staatsanleihen von Euro-Ländern halten, wären betroffen. Finanzminister Schäuble müsste 100 Milliarden an Hilfsgeldern verlorengeben, die südeuropäischen Krisenländern versprochen wurden. Die Staatsschuld Deutschlands würde sich wegen notwendiger Rettungsaktionen für Banken und Unternehmen deutlich erhöhen. "Was die Verschuldung betrifft, könnten wir das heutige italienische Niveau erreichen", sagte IfW-Wissenschaftler Jens Boysen-Hogrefe dem Spiegel.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mahnt die Bundesregierung angesichts der anhaltenden Euro-Krise zum Handeln. Die Euroländer bräuchten demnach dringend einen Investitionsschub, an dem sich vor allem die deutsche Industrie und Politik beteiligen müssten.

Auch aus Übersee wächst der Druck auf die europäische Politik. Die bisherige Krisenpolitik könne Zeit erkaufen und den Druck mindern, löse aber nicht die strukturellen Probleme in Europa, sagte Weltbankchef Robert Zoellick dem Spiegel. Weiteres Zögern sei gefährlich: "Wenn Europa weiter so schwächelt, wird es an globalem Einfluss verlieren." Deutschland müsse bei der schnellen Umsetzung der Maßnahmen vorangehen. Es sollte jedoch nicht nur auf "fiskalen und strukturellen Reformen" bestehen, sondern auch im Voraus genauer erläutern, "was für Hilfen es im Gegenzug für Reformen anbiete".

Der Chef der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Angel Gurría, sagte am Samstag im mexikanischen Los Cabos, die EU verfüge zwar über "die Mittel, die Institutionen, die Stärke und die Kraft", um der Krise Einhalt zu gebieten, die einzelnen Staaten müssten ihre Entscheidungen aber "besser koordinieren". In Los Cabos beginnt am Montag der G20-Gipfel der führenden Industrie- und Schwellenländer, der thematisch von der Eurokrise beherrscht werden dürfte.

© Süddeutsche.de/dpa/dapd/feko - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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