Schuldenerlass für Griechenland:Ein ziemlich guter Schnitt

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Betrachtet man die nackten Zahlen, steht Griechenland bei in- und ausländischen Schuldnern so tief in der Kreide, dass angesichts des aktuellen Bruttoinlandsprodukts die Belastung auf Dauer nicht tragbar ist. (Foto: AFP)
  • Griechenland muss die Kredite der Euro-Staaten spät zurückzahlen. Die erste Rate wird erst 2023, die letzte sogar erst 2054 fällig.
  • Problematisch ist aber das laufende Jahr, in dem Griechenland mehr als 26 Milliarden Euro überweisen muss.
  • Denkbar wäre ein Erlass von zwei Drittel der privaten und einem Drittel der öffentlichen Schulden. Deutschland müsste in dem Fall auf etwa 18 Milliarden Euro verzichten, gestreckt über 30 Jahre.

Von Cerstin Gammelin und Claus Hulverscheidt

Seit Alexis Tsipras im Amt ist, trägt er gebetsmühlenartig seine Forderung nach einem Schuldenschnitt vor. Der griechische Premier weiß viele internationale Ökonomen hinter sich, die - wie er es tut - glauben, dass sein Land niemals wieder auf die Beine kommen wird, wenn der staatliche Schuldenberg nicht deutlich abgetragen wird. Die übrigen Euro-Staaten, die die Leidtragenden der Operation wären, sehen das völlig anders: Sie halten einen Teilschuldenerlass schlicht für unnötig.

Wer hat nun recht? Die unbefriedigende Antwort lautet: alle und keiner. Betrachtet man die nackten Zahlen, steht Griechenland bei in- und ausländischen Schuldnern mit fast 320 Milliarden Euro in der Kreide. Angesichts eines Bruttoinlandsprodukts von zuletzt deutlich unter 200 Milliarden Euro im Jahr ist das eine gewaltige, auf Dauer nicht tragbare Belastung.

Dass die Euro-Partner die Lage dennoch anders beurteilen, hat zwei Gründe. Erstens: Eine Quote besteht naturgemäß aus einem Zähler und einem Nenner, und ihr rapider Anstieg in Griechenland ist weniger auf steigende Schulden als auf das über Jahre drastisch gesunkene Bruttoinlandsprodukt zurückzuführen. Umgekehrt bedeutet das: Sobald die Wirtschaft wieder spürbar wächst, sinkt die Quote - von ganz alleine. Und zweitens: Die Euro-Staaten haben die Rückzahlung ihrer Kredithilfen im Gesamtumfang von 195 Milliarden Euro bereits über 30 Jahre gestreckt. Die erste Rate wird erst 2023, die letzte sogar erst 2054 fällig.

Credits: SZ-Grafik; Quelle Eurostat, EU Kommission (Foto: Credits: SZ-Grafik; Quelle Eurostat, EU Kommission)

Das Problem ist das laufende Jahr

In den Jahren bis 2023 muss Griechenland nur vergleichsweise wenig zahlen, unter anderem an den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Europäische Zentralbank (EZB). Insgesamt liegt die jährliche Belastung zwischen 2016 und 2054 mit nur geringen Abweichungen bei durchschnittlich 6,5 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Mag die Quote noch so hoch sein, der anfallende Schuldendienst ist für die Regierung in Athen sehr wohl tragbar.

Die Ausnahme von dieser Regel - und damit das Problem - ist ausgerechnet das laufende Jahr, in dem mehr als 26 Milliarden Euro fällig werden. Diese Summe kann Griechenland nicht aufbringen. Hinzu kommt, dass ein Forderungsverzicht der Gläubiger auch ein politisches Signal an das darbende griechische Volk wäre, dass das Leiden irgendwann ein Ende hat.

Für einen Teilschuldenerlass infrage kommen die erwähnten 195 Milliarden Euro der Euro-Staaten sowie 74 Milliarden Euro, die bei privaten Kapitalgebern liegen, darunter den griechischen Banken. Die gut 20 beziehungsweise 18 Milliarden Euro, die Griechenland dem IWF und der EZB schuldet, müssten außen vor bleiben: Der IWF sollte sein Geld zurückerhalten, damit er weiter als letztmöglicher Kreditgeber der Welt agieren kann, und die EZB muss ausgezahlt werden, weil sie sich sonst der verbotenen Staatsfinanzierung schuldig machen würde.

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Denkbar wäre ein Erlass von zwei Dritteln der privaten und einem Drittel der öffentlichen Schulden. Damit kämen 115 Milliarden Euro zusammen, die griechische Schuldenquote würde auf einen Wert unter 100 Prozent sinken - europäischer Durchschnitt. Deutschland müsste in dem Fall auf etwa 18 Milliarden Euro verzichten, gestreckt über 30 Jahre. So schmerzhaft das klingt - das wäre zu verkraften.

Auch sonst ist Berlin beim Schuldenschnitt unter Druck geraten. Der Report, den die Bundesregierung gerne nicht gesehen hätte, stammt vom 26. Juni 2015, ist unter den Namen IMF Country Report No 15/165 registriert und für 18 Dollar online zu bestellen ( oder hier als PDF). Auf 23 Seiten haben IWF-Experten darin einen "vorläufigen Entwurf der Schuldentragfähigkeitsanalyse" erstellt. Sie haben sich gefragt, unter welchen Umständen es für den Fonds sinnvoll ist, Griechenland weiter zu stützen.

Der IWF ist per Statut verpflichtet, technische Analysen anzustellen, bevor er Kredite bewilligt. Die politisch ungefärbte Expertise war es, die Bundeskanzlerin Angela Merkel im Mai 2010 bei Beginn der Griechen-Krise dazu bewogen hatte, darauf zu dringen, dass europäisches Geld ohne die Mitsprache des IWF nicht fließt. Der veröffentlichte indes 2013 einen Bericht, in dem er einräumte, drei Jahre zuvor von unrealistischen Annahmen ausgegangen zu sein. Die Kanzlerin änderte ihre Position nicht. Unionsfraktionschef Volker Kauder bezeichnete es kürzlich als "absolute Bedingung", dass der IWF im Boot bleibe, "sonst ist die Situation, unter der wir bereit waren, Hilfe zu leisten, nicht mehr gegeben".

Der Länderbericht Nr. 165 bringt die Union nun in eine heikle Lage. Denn dort ist nachzulesen, dass die Annahme, wonach Athen seine Schulden bis 2022 auf deutlich unter 110 Prozent reduzieren könnte, bezogen auf das Bruttosozialprodukt, hinfällig ist. Unter Punkt 6 heißt es: Selbst mit Hilfskrediten bis 2018 bliebe der Schuldenberg zu hoch. "Ein Schuldenerlass in Höhe von 30 Prozent des Bruttosozialproduktes ist nötig", sagen nun auch die IWF-Experten, auf die Berlin bisher so gesetzt hat. Ganz am Ende weist der IWF darauf hin, dass bei ganz vorsichtigen Schätzungen des Wirtschaftswachstums noch viel mehr zu tun ist: 50 Milliarden Euro Kredite, festgeschriebene Zinsen bis 2020, doppelt so lange Tilgungsfristen für die Kredite wie bisher und ein Schuldenerlass von 53,1 Milliarden Euro. Genau das will Berlin allerdings keinesfalls.

© SZ vom 08.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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