Schriftsteller Ingo Schulze:"Wer fragt, womit die Banken Geld verdienen?"

Schriftsteller Ingo Schulze über die Finanzkrise, das Leben in der DDR, die Käuflichkeit von Literatur und die Fußball-Nationalmannschaft.

M. Beise und I. Mangold

Das Gespräch mit Ingo Schulze findet in den Räumen des Berlin Verlags im Osten der Hauptstadt statt. Der Autor lässt auf sich warten, er führt ein erstes Gespräch mit einem Regisseur über die mögliche Verfilmung seines neuen Romans "Adam und Evelyn". Im Verlag ist Schulze ein gerngesehener Gast. Bis zu drei Lektoren kümmern sich um ihn und seine Texte. Das neue Buch verkauft sich gut, die Verleger sind stolz auf ihren erfolgreichen Autor.

Schriftsteller Ingo Schulze: Schriftsteller Ingo Schulze sieht sich selbst als Kritiker des Kapitalismus.

Schriftsteller Ingo Schulze sieht sich selbst als Kritiker des Kapitalismus.

(Foto: Foto: Regina Schmeken)

SZ: Herr Schulze, wir wollen über Kultur und Wirtschaft reden. Letztere spielt gerade verrückt. Die Börsen rauschen nach unten und oben, Banken kollabieren, der Staat muss retten. Was denken Sie bei diesen Nachrichten?

Ingo Schulze: Ich bin fasziniert. Das Cover meines Buches "Neue Leben" hat als Motiv eine Anleitung zum Roulettespiel. Unser Wirtschaftssystem wird mehr und mehr von Zockern beherrscht. Wer mal einen Anruf von seiner Bank bekam, wird das wissen.

SZ: Wie meinen Sie das?

Schulze: Wenn man sein Konto überzieht, wird alles gesperrt. Da gibt's kein Pardon. Als Selbständiger bekam ich nicht mal Überziehungskredit. Hat man dann aber wieder was auf dem Konto, wird man die sogenannten Berater gar nicht mehr los, die reden mit Macht und andererseits sehr devot auf einen ein. Sie versuchen, einen bei der Gier zu packen.

SZ: Sind Sie anfällig für diese Gier?

Schulze: Ja, man möchte gern mehr haben. Aber man muss einfach zweimal nachdenken. Wer fragt schon, womit die Banken ihr Geld verdienen. Ich protestiere gegen Kinderarbeit, habe aber gerade diese Firma im Fondspaket, und dieses Paket soll vielleicht meine Altersvorsorge sichern.

SZ: Ist das Rettungspaket der deutschen Politik für die Banken über 500 Milliarden Euro für Sie noch nachvollziehbar?

Schulze: Die Gewinne werden privatisiert und die Verluste sozialisiert. Das ist nicht neu. Jetzt allerdings wird das so offensichtlich, dass ich die Hoffnung habe, dass wir Wähler endlich solche Vertreter wählen, die unser Gemeinwesen vor dieser Entwicklung schützen.

SZ: Was schließen Sie aus alldem?

Schulze: Auch nichts Neues: Dass die Politik die Globalisierung nicht wie ein Naturereignis ansehen darf, sondern dass man international politisch handeln muss. Denn auch die Staaten, die nicht im Irakkrieg mitgemacht haben, bezahlen ihn. Und wir bezahlen eben auch die sogenannte Liberalisierung im Finanzwesen. Jeder weiß doch, dass man Geld nicht ohne Sicherheiten gibt. Das Selbstverständlichste hat hier nicht stattgefunden. Und jetzt zahlen alle dafür.

SZ: Ist das Marktversagen?

Schulze: Die Regeln des Marktes werden von Menschen gemacht. Mir kommt das so vor, als würde man sagen, wir schaffen die Tempolimits ab, weil unsere Autos dann viel schneller fahren können. Und jetzt, da sie vor den Baum gefahren sind, rufen sie den Rettungshelikopter und die Feuerwehr, also den Staat.

SZ: Mit dem Staat haben Sie ja Erfahrung. Sie sind in der DDR aufgewachsen, leben seit 1990 in der Marktwirtschaft, waren sogar einmal länger in der Hochburg des Kapitalismus, New York ...

Schulze: ... ein halbes Jahr nur.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie viel Geld Ingo Schulze in der DDR verdiente - und wie er nach der Wende zum Unternehmer wurde.

"Wer fragt, womit die Banken Geld verdienen?"

SZ: Eine interessante Abfolge: Erst das geschlossene System, dann das offenere Gesamtdeutschland, dann die verrückten Amerikaner.

Schulze: Dem letzten Drittel stimme ich zu. Ich habe im Februar 1990 erstmals über Geld nachgedacht. Da war ich 28 Jahre alt.

SZ: Es gab auch in der DDR Geld.

Schulze: Schon, aber die Bedeutung war vergleichsweise gering. Bei der Wahl des Berufes spielte Geld kaum eine Rolle. Ich bin nicht Altphilologe und Dramaturg geworden, weil ich da besonders viel verdient hätte, oder habe bewusst in Kauf genommen, wenig zu verdienen. Es gab die Frage nicht. Ein enger Westverwandter dagegen sagte sofort: Was studierst du da für eine brotlose Kunst?

SZ: War es denn eine brotlose Kunst?

Schulze: Ich habe 700 Mark netto im Monat verdient, das war Durchschnitt. Es gab keine großen Unterschiede. Wer unbedingt Geld machen wollte, wurde Handwerker und hat nach Feierabend schwarz gearbeitet.

SZ: Prägt diese Vergangenheit?

Schulze: Schon. Wer so aufgewachsen ist, hat einen anderen Blick.

SZ: Einen besseren?

Schulze: Erst mal nur anders. Es fehlt die Erfahrung, dadurch reagiert man eher extrem in Zustimmung oder Verweigerung. Man musste erst mal lernen und begreifen, was ökonomische Abhängigkeit bedeutet.

SZ: Das klingt ein bisschen so, als sei die DDR gemütlicher, weniger materialistisch, damit auch menschlicher gewesen?

Schulze: Es gab nicht diese Angst, materiell abzustürzen, es gab nicht diese extreme Ungleichheit, und damit gab es auch weniger Grund zum Neid. Die DDR hatte andere Bedrückungen, die ich jetzt nicht alle aufzuzählen brauche, die konnten auch Existenzen gefährden oder vernichten. Aber es gab Freiräume, die ich erst nach dem Ende der DDR als solche begreife.

SZ: Die Sie heute vermissen?

Schulze: Wir können nicht über Freiheit diskutieren und über die Gleichheit schweigen, Gleichheit als soziale Gerechtigkeit. Das Gespräch darüber vermisse ich. Denn Freiheit und Gleichheit gehören seit der Französischen Revolution zusammen.

SZ: Sie sind dann mit der Wende selbst Unternehmer geworden.

Schulze: Ja, aus Versehen. Wir wollten unseren Teil zur Demokratisierung beitragen und haben deshalb das Altenburger Wochenblatt gegründet, aber niemand wollte uns finanzieren. Plötzlich waren wir Unternehmer.

SZ: Hat das Spaß gemacht?

Schulze: Solange es gutgeht, macht das Spaß. Ich war eher ein Mini-Patriarch. Ich habe sogar mal einen Teil des Verlages weggeschenkt, den musste ich teuer zurückkaufen. Als ich Ende 92 ausstieg, war unsere Zeitung nur noch ein Anzeigenblatt.

Lesen Sie im dritten Teil, warum Verdienste mit der Gesundheit für Ingo Schulze unmoralisch sind - und warum er sich selbst als Kritiker des Kapitalismus sieht.

"Wer fragt, womit die Banken Geld verdienen?"

SZ: Sie wurden dann Schriftsteller, ein Mann des Wortes. Leben Sie als solcher heute in der falschen Welt?

Schulze: Wieso?

SZ: Sie haben mal gesagt, die DDR sei auf Worte gebaut, die BRD auf Zahlen, auf Ökonomie. Empfinden Sie Trauer über den Verlust des Werts des Wortes?

Schulze: Wenn ich es so gesagt habe, war das nicht richtig. Natürlich beruht auch der Westen auf Absprachen, Gesetzen. Selbstverständlichkeiten. Ich meinte den Wechsel der Abhängigkeiten.

SZ: Hat sich nicht so viel geändert, meinen Sie?

Schulze: Aus weitgehend ideologischen Abhängigkeiten sind weitgehend ökonomische Abhängigkeiten geworden.

SZ: Was meinen Sie?

Schulze: Wenn bei der Zeitung Stellen abgebaut werden, widerspreche ich besser dem Chefredakteur nicht, obwohl ich natürlich meine Meinung als Bürger frei sagen darf. Ein anderer Aspekt ist die Ideologie der Privatisierung. Meine Mutter leitete im Krankenhaus ein Labor. Das musste privatisiert werden. Sie wollte das übernehmen, um die Nachtdienste loszuwerden. Den Kredit dafür bekam sie von keiner Bank, weil sie kein Eigentum als Sicherheit hatte. Zwei Westberliner Freundinnen haben dann für sie gebürgt. Mit dem Labor ist sie später für unsere Verhältnisse wohlhabend geworden. Ich frage Sie: Wie kann man mit solcher Arbeit reich werden? Das finde ich unmoralisch; das sieht sie übrigens auch so.

SZ: Was genau ist daran unmoralisch?

Schulze: Dass im Gesundheitswesen Unternehmertum stattfindet, finde ich absurd. Das wäre, als ob man den Pfarrer pro Beerdigung oder neu gewonnenem Gemeindemitglied bezahlt.

SZ: Trifft das auch für den Künstler zu? Merken Sie auch selbst den Primat des Ökonomischen beim Schreiben? Fragen Sie sich nach einem Erfolg, wie Sie ihn kopieren können? Ob Sie im Zweifel ein eingängigeres Sujet wählen?

Schulze: Natürlich möchte ich, dass möglichst viele Leute meine Bücher kaufen. Aber trotzdem kann man nur machen, was man kann. Ich habe sieben Jahre an "Neue Leben" gearbeitet. Danach war ich abgebrannt, auch finanziell. Mit den beiden folgenden Büchern hatte ich Glück, die schrieben sich wesentlich schneller. Für die Fortsetzung von "Neue Leben" muss ich erst mal wieder Kraft und Geld sammeln. "Handy" und "Adam und Evelyn" stehen für mich trotzdem gleichberechtigt daneben. Ich habe nicht das Gefühl, hier habe ich Konzessionen gemacht, da nicht. Aber sofort wieder sieben Jahre schreiben, das wäre schon finanziell nicht möglich gewesen.

SZ: Sie schreiben viel über wirtschaftliche Zusammenhänge. Sind Sie ein Kapitalismuskritiker?

Schulze: Ja, natürlich. Der Westen hat sich seit 1989, seit ich ihn kenne, nicht zu seinem Vorteil entwickelt. Wir geben viel zu viel preis.

SZ: Wie meinen Sie das?

Schulze: Nehmen Sie die Bahn. Warum kann man nicht sagen, wir wollen eine gut funktionierende Bahn haben, die keine Verluste macht? Sie muss aber auch keinen Gewinn machen, sondern den Gewinn reinvestieren wir oder senken die Preise und bauen eine wirkliche ökologische Alternative zur Straße auf. Genau das Gegenteil passiert.

SZ: Dafür gibt es ein Wort: Planwirtschaft.

Schulze: Und was ist dagegen zu sagen? Warum sollen nicht viele Bereiche der Grundversorgung in Staatshand sein oder Staatsbeteiligung haben? Die Energiekonzerne gehören in Staatshand, damit sie nicht unentwegt die Preise erhöhen, um den Profit zu maximieren, das Gesundheitswesen, bei den Banken scheint es ja schon konkrete Ansätze zu geben.

SZ: Als Notlösung. Vielleicht. Und nur für den Übergang.

Schulze: Gerade die aktuelle Krise zeigt doch, wie sinnvoll es wäre, nicht weiter vor dem Goldenen Kalb der Privatisierung knien zu bleiben.

Lesen Sie im vierten Teil, wie Ingo Schulze einen Kulturpreis wegen eines Sponsors ausschlug - und wie er zu Marcel Reich-Ranickis Reaktion bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises steht.

"Wer fragt, womit die Banken Geld verdienen?"

SZ: Sie hätten ja auch gerne die Kultur in Staatshand. Jedenfalls die Kulturpreise. Den Thüringer Literaturpreis haben Sie auf der Bühne ausgeschlagen, weil er von Eon finanziert war. Das war im Frühjahr ein ziemlicher Eklat.

Schulze: Ich habe den Preis nicht ausgeschlagen.

SZ: Was genau hat Sie gestört? Dass der Preisgeber ein Energieriese war?

Schulze: Wenn ein Preis Thüringer Literaturpreis heißt, sollten ihn die Thüringer auch bezahlen oder anders nennen. Wenn ein Kulturstaatssekretär das Firmenlogo auf der Preisurkunde als Akt der Freiheit bezeichnet, dann ist das Kartellamt die letzte Bastion der Demokratie. Wenn Preisträger zu Werbeträgern gemacht werden, halte ich das für problematisch.

SZ: Warum haben Sie den Eklat gesucht, nicht einfach abgelehnt?

Schulze: Ich dachte, besser darüber reden als abwinken. Außerdem können es sich die meisten Kollegen gar nicht leisten, sechstausend Euro auszuschlagen.

SZ: Die 6000 Euro konnten Sie verschmerzen. Was, wenn er mit 600.000 Euro dotiert gewesen wäre?

Schulze: Nur her damit, die hätte ich schon zu verteilen gewusst. Das darüber Reden hat sich ja auch ausgezahlt: Jetzt finanziert Thüringen ein Literaturstipendium mit jährlich 12.000 Euro, in den ersten drei Jahren gebe ich je 2000 Euro Eon-Geld dazu. Die Preisabhängigkeit bleibt allerdings bestehen.

SZ: Auch Marcel Reich-Ranicki hat gerade einen Preis abgelehnt, wegen der Verflachung des Fernsehens. Ist das auch eine ökonomische Kategorie?

Schulze: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen sollte vom Privatfernsehen zu unterscheiden sein, deshalb wird ja auch dafür gezahlt.

SZ: Lehnen Sie Sponsoren generell ab?

Schulze: Nein. Das Problem ist nur, wenn wir vom Sponsoring abhängig werden. Wenn ein Museum keinen Einkaufsetat mehr hat oder ein Kabarett von der Energiewirtschaft bezahlt wird, was dann? Was für Ausstellungen kommen, was für Witze? Vor allem, was kommt nicht. Kunst sollte für die Gesellschaft auch eine Möglichkeit der Selbstverständigung sein, die alles befragen darf, auch die Ökonomie, und da kann es zu Interessenkollisionen kommen.

SZ: Es geht Ihnen aber nicht nur um eine mögliche (Selbst-)Zensur?

Schulze: Die findet automatisch statt. Aber es geht auch um Würde. Ich finde es nicht gut, wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft mit einem Mercedes-Stern auf der Brust die Nationalhymne singt. Ist das eine Werkself?

SZ: Wenn der DFB das Geld aber doch braucht? Und erst recht der überschuldete Staat?

Schulze: Das ist doch lächerlich, und nicht erst, seit wir gar nicht mehr wissen, wie viele Milliarden welche Bank braucht. Ein Gemeinwesen, das seinen sozialen und kulturellen Pflichten nicht mehr nachkommen kann, muss sich entweder das Geld verschaffen, das es braucht, oder es stellt sich letztlich selbst in Frage. Der Mercedes-Stern ist da nur ein Menetekel. Wir müssen endlich den politischen Willen aufbringen, uns der Ökonomisierung aller Lebensbereiche zu widersetzen.

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