Schnelltrasse Berlin-München:Die "teuerste U-Bahn Deutschlands" und ihre 22 Tunnel

An Intercity Express ICE train of Deutsche Bahn AG is pictured on the new new rail line connecting Berlin and Munich in Goldinsthal near Erfurt

ICE statt Bummelzug: 29 Talbrücken und 22 Tunnel auf der jetzt fertiggestellten Teilstrecke von Erfurt nach Ebensfeld sorgen für die schnellen Zugfahrten.

(Foto: Reuters)
  • Mit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2017 wird auch die Schnellbahntrasse Berlin - München in Betrieb genommen.
  • Die Premierenfahrt fand aber schon jetzt statt und zeigt: Die Fahrgäste werden weder das hohe Tempo, noch die komplizierte Trassenkonstruktion spüren.

Von Markus Balser

Die neuen Gleise ziehen sich schnurgerade durch Felder. Sie durchqueren Täler auf gewaltigen Betonbrücken. Das letzte Teilstück der Schnellbahntrasse München - Berlin führt von Erfurt bis ins oberfränkische Ebensfeld. 29 Talbrücken und 22 Tunnel schließen hier die letzten Lücken im Netz. Bislang herrschte Stille rund um die gewaltigen neuen Betonbauten. Bis zu diesem Freitag. Dann verließ um zehn Uhr der ICE "Wittenberge" Erfurt und bog erstmals mit Sondergenehmigung auf die Trasse durch den Thüringer Wald ein. Das Signal der Bahn mit der öffentlich zelebrierten Premierenfahrt: Die größte und schwierigste Bahnbaustelle Deutschlands ist nach 25 Jahren endlich fertig.

Wenn die Deutsche Bahn im Dezember 2017 den Fahrplan wechselt, wird die Schnellbahntrasse Berlin - München auch offiziell in Betrieb genommen. Statt sechs Stunden brauchen Kunden der Bahn dann künftig im günstigsten Fall nur noch 3.55 Stunden von der Landes- in die Bundeshauptstadt. Auch entlang der Strecke verkürzen sich die Fahrzeiten für andere Verbindungen deutlich. Zwischen Dresden und München etwa sind die Züge künftig etwa 75 Minuten weniger lang unterwegs. Es gebe endlich wieder ein Angebot, das deutlich mehr Passagiere in die Züge bringen und sowohl dem Auto als auch dem Flugzeug Konkurrenz machen könne, heißt es bei der Bahn. Sogar pünktlich fertig geworden, sei die Großbaustelle. "Der zehn Milliarden-Euro-Bau liegt exakt im Zeit- und Kostenrahmen", sagt der neue Bahnchef Richard Lutz.

Das allerdings ist nur die halbe Wahrheit. Denn die Bundesregierung hatte das Zehn-Milliarden-Projekt schon 1991 beschlossen. Die Bahn versprach bereits damals, die Fahrzeit zwischen Berlin und München von sechseinhalb auf vier Stunden zu reduzieren. Das Riesenprojekt bekam den Titel VDE 8 - VDE steht für Verkehrsprojekt Deutsche Einheit. Ein Jahr später begannen die Bauarbeiten, bis zur Jahrtausendwende sollten die Züge dann eigentlich rollen. Doch das Milliardenprojekt war wegen der hohen Kosten umstritten. 1999 unterbrach die rot-grüne Bundesregierung den Bau, begonnene Brücken wurden zu Bauruinen. Erst 2006 ging es weiter. Wenn in diesen Tagen die letzen Arbeiter die Strecke verlassen, sind zehn Milliarden Euro verbaut - doppelt so viel wie eigentlich geplant.

Die Bahn, die in den vergangenen Jahren mit schwachen Geschäften und hohen Schulden kämpfte, hofft mit der Trasse endgültig aus dem Tief zu kommen. Vor allem einer wünscht sich steigende Passagierzahlen zum Start im neuen Job. Ganz vorne auf Gleis 1 stieg in Erfurt der neue Bahnchef Richard Lutz in den ICE. Lutz sieht in der neuen Trasse nicht weniger als die "größte Angebotsverbesserung in der Geschichte der Deutschen Bahn." Von Dezember an verbinden drei ICE-Sprinter täglich in beide Richtungen Berlin und München. Die schnellsten Verbindungen halten nur in Halle, Erfurt und Nürnberg. Im Stundentakt fahren zudem ICEs, die an allen Bahnhöfen halten. Sie brauchen etwa 4.15 Stunden.

"Teuerste U-Bahn Deutschlands"

Die Premierenfahrt macht die ganze Dimension des Projekts klar. Immer wieder rast der ICE auf eine Tunnelöffnung zu. "Es gibt Leute, die behaupten, wir hätten hier die teuerste U-Bahn Deutschlands gebaut", sagt Oliver Drescher, der Leiter des Bahn-Bauprojekts. Der südliche Teil zwischen München und Nürnberg wird schon seit 2006 genutzt. Der nördliche zwischen Leipzig und Berlin auch. Jetzt hat der Konzern die Lücke dazwischen geschlossen, das Kernstück durch Thüringen. Dieser Teil der Strecke, die 107 Kilometer zwischen Ebensfeld im nördlichen Franken nach Erfurt, dauerte am längsten. Sie galt als besonders anspruchsvoll. Ingenieure mussten die Strecke durch den Thüringer Wald treiben. Die Hälfte der Strecke besteht aus Brücken und Tunneln - der längste ist acht Kilometer lang.

Das hohe Tempo ist auf der Strecke kaum spürbar. Wie schwer die Anfänge waren, kann kein Passagier ahnen. Denn von einem Einheitsprojekt konnte anfangs kaum die Rede sein. Die Trasse spaltete das Land in Gegner und Befürworter. Die Bahn musste Bauern entschädigen, deren Felder zerschnitten wurden. Sie musste Brücken versprechen für Kirchengemeinden und Jagdreviere, die plötzlich von Beton getrennt waren. Die Bahn schickte Kampfmittelräumer, die das Erdreich durchpflügten. Allein in Halle wurden beim Umbau des Bahnhofs Tausende Munitionsteile gefunden. Hunderte Archäologen mussten entlang der Trasse graben können, bevor die Bagger kamen.

Wie politisch die Entscheidungen über einen Verlauf neuer Strecken beim Staatskonzern in den vergangenen Jahren getroffen wurden? Auch darüber gibt die Strecke Auskunft. Denn die Politik entschied sich nicht etwa für die günstigste, kürzeste und einfachste Trasse zwischen Nord und Süd. Ein Blick auf die Karte macht klar, dass eine direktere Nord-Süd-Verbindung über Gera oder Jena führt, nicht über Erfurt. Sie hätte laut Experten nicht nur Geld, sondern auch noch mehr Fahrzeit gespart. Doch der damalige Thüringer Ministerpräsident Bernhard Vogel, ein Vertrauter des damaligen Kanzlers Helmut Kohl, setzte seine Forderung durch, die Landeshauptstadt besser an das bundesweite ICE-Netz anzuschließen.

Bis Dezember soll es nun weitere Testfahrten geben. "Die Technik ist fertig, sagt Projektleiter Drescher. "Wir müssen jetzt noch einige Monate testen, wie der Mensch in der Technik funktioniert."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: