Schmiergeldskandal bei Siemens:Wie Cromme und Ackermann hintergangen wurden

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In der Siemens-Konzernzentrale lagen frühzeitig viele Hinweise auf ein System von schwarzen Kassen und Korruption vor. Der Aufsichtsrat erfuhr davon wenig, er wurde über Jahre hinweg getäuscht. Das lässt sich jetzt erstmals lückenlos dokumentieren. Offen ist nur noch, wer dafür verantwortlich ist.

Klaus Ott

Alle paar Monate kommen einige Spitzenkräfte aus der deutschen Wirtschaft in München zusammen, um gemeinsam mit Gewerkschaftern eine Spezialaufgabe bei der Siemens AG zu erfüllen. Sie sollen für saubere Geschäfte in dem Elektronik- und Technologiekonzern sorgen. Das ist ihr Job im Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats, einem der wichtigsten Gremien bei Siemens seit dem Gang an die New Yorker Börse im Jahr 2001. Die dortige Wertpapierbehörde SEC ahndet Korruption und andere Finanzdelikte besonders streng.

Gerhard Cromme, Aufsichtsratschef von Thyssen-Krupp, gehört seit Jahren dem Prüfungsausschuss an, ebenso wie Henning Schulte-Noelle, ehemaliger Vorstandschef und jetzt Aufsichtsratsvorsitzender der Allianz. Auch Josef Ackermann, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, wirkte über Jahre hinweg in dem Kontrollgremium mit, das Gesetzesverstöße verhindern oder abstellen soll. Die Belegschaft ist in dem Ausschuss seit langem durch Gesamtbetriebsratschef Ralf Heckmann und Gewerkschaftsfunktionär Heinz Hawreliuk vertreten, langjähriger Siemens-Beauftragter der IG Metall und Vertrauter von Gewerkschaftschef Berthold Huber. Hawreliuk gehört auch anderen Aufsichtsräten an, er kennt sich aus mit der Kontrolle von Unternehmen.

Trotz der hochkarätigen Zusammensetzung gelang es nicht, den Korruptionsskandal zu vermeiden, der Siemens nun mehrere Milliarden Euro Strafe bei der SEC kosten könnte. Die Münchner Staatsanwaltschaft deckte ein System schwarzen Kassen und weltweiter Schmiergeldzahlungen auf. Woran der Prüfungsausschuss scheiterte, lässt sich jetzt anhand interner Protokolle und Vermerke von Siemens und bislang öffentlich unbekannter Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft erstmals lückenlos dokumentieren: Ackermann, Cromme und deren Aufsichtsratskollegen wurden hintergangen.

Wesentliche Hinweise auf geheime Konten und Korruption sowie auf die Drahtzieher, die in der Konzernzentrale vorlagen, wurden dem Prüfungsausschuss vorenthalten. Konzernchefs waren damals Heinrich von Pierer, der Anfang 2005 aus dem Vorstand ausschied, an die Spitze des Aufsichtsrats rückte und dann selbst dem Prüfungsausschuss angehörte, und anschließend Klaus Kleinfeld. Wer dafür verantwortlich war, dass der heutige Siemens-Aufsichtsratschef Cromme und dessen Kollegen getäuscht wurden, bedarf noch der Aufklärung.

Pierer und Kleinfeld haben stets betont, sie hätten von den kriminellen Machenschaften keine Ahnung gehabt. Die noch fehlenden Fakten könnten bald vorliegen und die bereits vorhandenen Ermittlungsergebnisse vervollständigen, denen zufolge seit Ende 2003 gegenüber dem Prüfungsausschuss wiederholt brisante Erkenntnisse unterschlagen wurden.

Ein Rückblick:

10. November 2003 Die Rechtsabteilung von Siemens schildert in einem fünfseitigen Vermerk im Detail hohe Provisionszahlungen in bar für Aufträge in Nigeria, verweist auf Verstöße gegen interne Regeln und äußert den Verdacht der "Amtsträgerbestechung im Ausland". Das könne Anlass für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen sein. In den Vorgang in der Sparte Telekommunikation sind laut Vermerk unter anderem die Kaufleute Reinhard S. und Heinz K. verwickelt. Der Vermerk geht an Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger. Dem Korruptionsverdacht wird nicht energisch nachgegangen. Der Prüfungsausschuss erfährt davon nichts - so der damalige Aufsichtsrats- und Prüfungsausschusschef Karl-Hermann Baumann später als Zeuge bei der Staatsanwaltschaft.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt Jahre später, dass Reinhard S. und Heinz K. in großem Stil schwarze Kassen verwaltet und weltweite Schmiergeldzahlungen ermöglicht haben. Die beiden Kaufleute packen umfassend aus. Mehr als 50 Vernehmungen sind dazu nötig.

28. Dezember 2004 Ein Mitarbeiter der Antikorruptionsabteilung Compliance notiert, er habe mit Vorstandsmitglied Thomas Ganswindt über Ermittlungen in Liechtenstein wegen Geldwäsche gegen Reinhard S. gesprochen. Er habe dem für die Sparte Telekommunikation (Com) zuständigen Ganswindt unter anderem geraten, "sämtliche Beraterverträge sofort fristlos zu kündigen".

Die Staatsanwaltschaft ermittelt später, dass zahlreiche Schmiergeldzahlungen über Beraterverträge abgewickelt wurden.

30. Dezember 2004 Ein weiterer Vermerk von Compliance zu den Ermittlungen in Liechtenstein geht im Büro von Personalvorstand Jürgen Radomski ein. Darauf steht: "Wir bilden da - prophylaktisch - einen inoffiziellen Krisenstab."

26. Januar 2005 Der Prüfungsauschuss erfährt nach Angaben von Aufsichtsräten nichts von dem Krisenstab und von der Empfehlung, alle Beraterverträge sofort zu kündigen.

Finanzvorstand Neubürger berichtet im Prüfungsausschuss über Ermittlungen wegen des Verdachts von Schmiergeldzahlungen bei einem Kraftwerksbau in Italien. Laut Protokoll sagt Neubürger, bisher gehe man davon aus, dass "die in Frage stehenden Konten nicht Siemens zuzurechnen sind". Sollte sich das ändern, seien womöglich frühere Jahresabschlüsse zu korrigieren. Der Prüfungsausschuss müsse sich dann intensiv mit der Sache befassen. Ackermann fragt, "ob aus diesen Sachverhalten Anhaltspunkte für Lücken im internen Kontrollsystem abgeleitet werden könnten". Neubürger antwortet, die bestehenden Regelwerke seien "umfassend und auch klar dokumentiert", man habe aber aus anderen Gründen einige Details weiter präzisiert. Ackermann scheidet nach dieser Sitzung aus dem Prüfungsausschuss aus. Cromme übernimmt den Vorsitz.

Im Mai 2007 verurteilt das Landgericht Darmstadt zwei Siemens-Manager wegen Korruption bei dem Projekt in Italien. Das Schmiergeld ist über schwarze Kassen von Siemens in Liechtenstein geflossen.

17. Februar 2005 Cromme sagt dem damaligen Antikorruptionsbeauftragten bei einem Gespräch in Düsseldorf, er werde als Chef des Prüfungsausschusses sein Augenmerk auf die Prävention richten und bei Verstößen die Schlüsselfrage stellen: "Wie stellen Sie sicher, dass sich so ein Fall nicht wiederholt?" Bei Verstößen gegen Strafgesetze und interne Regeln müssten klare Konsequenzen gezogen werden.

25. April 2005 Der Prüfungsauschuss wird von Compliance über die Ermittlungen in Liechtenstein unterrichtet. Das Verfahren richte sich gegen einen "ehemaligen Mitarbeiter". Der Name Reinhard S. wird dem Ausschuss laut Protokoll nicht genannt. Es erfolgt auch kein Hinweis, dass Reinhard S. intern schon im November 2003 wegen fragwürdiger Provisionen in Nigeria aufgefallen war.

Erst im Dezember 2006, nach der Großrazzia der Staatsanwaltschaft vom November 2006, wird dem Ausschuss der Name Reinhard S. genannt, nachdem er bereits in der Presse steht.

Heinz Hawreliuk von der IG Metall fragt im Prüfungsausschuss, ob aus den vorliegenden Erkenntnissen über diverse Compliance-Fälle Indizien für die "Existenz von Kassen außerhalb der Siemens AG" abgeleitet werden könnten. Finanzvorstand Neubürger antwortet laut Protokoll, es existierten keine Hinweise auf derartige Konten. Sollten solche Hinweise auftauchen, werde man diesen nachgehen. Cromme sagt, angesichts des möglichen Schadens für Siemens müssten "hinreichende Maßnahmen" ergriffen werden, um etwaige Strafzahlungen zu vermeiden.

27. Juli 2005 Der Prüfungsausschuss tagt wieder. Auf Hinweis von Aufsichtsratschef Pierer, so steht es im Protokoll, berichtet Compliance über eine Durchsuchung bei Siemens an diesem Tag. Anlass ist ein Ermittlungsverfahren in Bozen wegen Korruptionsverdacht bei einem Telekommunikationsgeschäft von Siemens in Italien. Über ein Konto in Innsbruck sind zehn Millionen Mark nach Italien geflossen. Über dieses Konto seien, erfährt der Prüfungsausschuss weiter, in den neunziger Jahren eine Vielzahl "internationaler Transaktionen" in Höhe von insgesamt 115 Millionen Mark abgewickelt worden. Das Konto sei nach Angaben der Bank von einem Com-Mitarbeiter von Siemens geführt worden. Dass es sich bei diesem Mitarbeiter über Heinz K. handelt, der bereits 2003 gemeinsam mit Reidhard S. wegen der fragwürdigen Provisionszahlungen in Nigeria aufgefallen war, erfährt der Prüfungsausschuss nicht.

Auch bei den folgenden Sitzungen ist laut den Protokollen immer nur von einem "Com-Mitarbeiter" die Rede. Ebenso wie bei Reinhard S. wird dem Prüfungsausschuss erst im Dezember 2006, nach der Großrazzia der Staatsanwaltschaft vom November 2006, der Name Heinz K. genannt - nachdem die Presse über seine Person bereits berichtet hat. Weil keine Namen genannt werden, kann der Ausschuss keine Zusammenhänge erkennen.

23. Januar 2006 Finanzvorstand Neubürger wird von Compliance darüber informiert, dass bei der Dresdner Bank in der Schweiz mehrere Konten aufgefallen sind, hinter denen der Vizechef von Siemens Griechenland als "wirtschaftlich Berechtigter" stehe. Auf diese Konten seien von Januar 2001 bis August 2005 insgesamt 37 Millionen Euro von verschiedenen internationalen Firmen wie Fiberlite geflossen. Der Mann aus Athen habe angegeben, das Geld sei "im Wesentlichen" von Siemens gekommen. In einem Vermerk der Dresdner Bank und einer Übersicht der Bank über die Kontotransaktionen - beide Papiere gehen an Neubürger - wird Reinhard S. genannt. Über ihn sei ein Teil der Transaktionen gelaufen.

25. Januar 2006 Der Prüfungsausschuss wird von Compliance über diese Erkenntnisse unterrichtet, allerdings mit einer Ausnahme. Der Name Reinhard S. und dessen Beteiligung an diesen Geschäften werden laut Protokoll nicht erwähnt.

8. März 2006 Der Vizechef von Siemens Griechenland wird in Athen von drei Abgesandten aus der Münchner Konzernzentrale befragt, was es mit den Konten in der Schweiz auf sich habe und was mit dem Geld geschehen sei. Einer der drei, ein Beschäftigter von Compliance, wird später von der Münchner Staatsanwaltschaft als Zeuge vernommen. Er sagt aus, der griechische Siemens-Manager habe bei dem Gespräch am 8. März 2006 in Athen angegeben, er habe mit Geld "regelmäßig Einfluss auf OTE-Mitarbeiter nehmen" müssen. OTE ist die staatliche griechische Telefongesellschaft. Es sei darum gegangen, bei der Abwicklung eines bestehenden Auftrags "für Siemens günstige Entscheidungen herbeizuführen". Außerdem habe der Vizechef von Siemens Griechenland erklärt, das Schweizer Kontensystem sowie die entsprechenden Transaktionen seien mit Reinhard S. beziehungsweise dessen Vorgänger abgesprochen und auf deren Veranlassung hin eingerichtet worden.

Ein anderer Compliance-Mitarbeiter sagt später bei der Staatsanwaltschaft aus, er habe schon im November/Dezember 2005 mit dem Vizechef von Siemens Griechenland wegen der Vorgänge in der Schweiz gesprochen, über die es damals bereits erste Erkenntnisse im Konzern gegeben habe. Der Mann aus Athen habe bei dieser Befragung im Herbst 2005 von "Schmiergeldzahlungen" gesprochen, die an die griechischen Parteien, die OTE und Berater vom Balkan gegangen seien. Andererseits habe der griechische Siemens-Manager erklärt, die Zahlungen seien im Wesentlichen gar nicht gelaufen. Das meiste Geld, das auf Schweizer Konten eingegangen sei, habe inzwischen die dortige Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Und noch etwas berichtet der Compliance-Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft: Auf seine Frage, wer ihm bei Siemens geholfen habe, das Geld locker zu machen, habe der Mann aus Athen bei dem Gespräch im Herbst 2005 Reinhard S. genannt.

26. April 2006 Compliance berichtet dem Prüfungsausschuss, der Vizechef von Siemens Griechenland habe das Unternehmen zum 7. April 2006 verlassen. Zuvor sei er am 30. März 2006 von der Schweizer Bundesanwaltschaft vernommen worden. Laut Informationen, die Siemens über seinen Anwalt bekommen habe, soll er gegenüber den Ermittlern in der Schweiz angegeben haben, das Geld auf den dortigen Konten sei zur "Belohnung gutwilliger Vermittler, steuerfrei", bestimmt gewesen. Bei den Begünstigten handele es sich um Privatpersonen, nicht um Amtsträger.

Laut Protokoll erfährt der Prüfungsausschuss am 26. April 2006 nichts von den Aussagen des griechischen Managers gegenüber Compliance über "Schmiergeldzahlungen" an politische Parteien und an Beschäftigte der staatlichen Telefongesellschaft OTE. Auch seine Verbindung zu Reinhard S. wird nicht erwähnt.

26. Juli 2006 Der Prüfungsauschuss tagt wieder. Compliance berichtet laut Protokoll, Siemens verlange von seinem ehemaligen Vizechef in Griechenland die Herausgabe der Schweizer Bankunterlagen und die Rückzahlung des auf verschiedenen Konten noch vorhandenen Geldes. Der Mann aus Athen habe sich "nicht kooperativ gezeigt und trotz Aufforderung keine zuverlässigen Informationen" geliefert. Man sei dabei, eine Klage bei Gericht gegen ihn vorzubereiten.

15. November 2006 Großrazzia der Münchner Staatsanwaltschaft bei Siemens. Der Schmiergeldskandal beginnt.

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