Schmiergeldskandal bei Siemens:Schäfers brisante Notizen

Lesezeit: 3 min

Die früheren Vorstände von Siemens dürfen zittern: Der ehemalige Anti-Korruptionsbeauftragte Albrecht Schäfer, der nun auspackt, hat brisante Vorgänge akribisch notiert. Gibt es noch mehr Vermerke als bislang bekannt?

Klaus Ott

Die Siemens AG produziert modernste Kommunikationsmittel, aber in den vergangenen Jahren ging es in der Konzernzentrale am Wittelsbacher Platz in München manchmal noch zu wie vor der Erfindung des Computers und der elektronischen Post.

Eilige Unterlagen seien häufig von den Sekretärinnen beim Empfänger abgeliefert worden, sagte der Jurist Albrecht Schäfer Anfang des Jahres als Zeuge bei der Münchner Staatsanwaltschaft aus. Die ermittelt wegen des Skandals um schwarze Kassen und weltweite Schmiergeldzahlungen.

Schäfer, ehedem Justitiar und Anti-Korruptionsbeauftragter von Siemens, schilderte den Ermittlern auf deren Fragen hin einen Vorgang vom November 2003. Einen Bericht über auffällige Bargeldzahlungen in Nigeria habe er handschriftlich an den damaligen Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger adressiert und ihn über das Sekretariat weitergeleitet.

Das war kein kurzer Botengang. Neubürgers Büro habe vier Stockwerke unter seinem gelegen, lautete Schäfers Wegbeschreibung bei der Zeugenvernehmung. In dem Bericht hatte die Rechtsabteilung den Verdacht der "Amtsträgerbestechung" geäußert.

Über drei Jahrzehnte hinweg hat Schäfer, 59, bei Siemens Karriere gemacht. In den vergangenen Jahren verschickte der gelernte Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, der von Oktober 2004 bis Dezember 2006 Anti-Korruptionsbeauftrager ("Chief Compliance Officer") war, intern noch mehr brisante Papiere in die Vorstandsetagen.

Nach monatelangem Streit um die Aufklärung des Schmiergeldskandals haben sich Schäfer und Siemens jetzt geeinigt. Der Konzern nimmt schwerwiegende Vorwürfe und eine gegen den ehemaligen Chief Compliance Officer ausgesprochene Kündigung zurück, im Gegenzug wirkt der Mann mit dem markanten Schnauzbart "auf freiwilliger Basis an der umfassenden Aufklärung" der Compliance-Vorgänge mit.

In großem Stil schwarze Kassen organisiert

Schäfer packt also aus. Was hat der Jurist über seine Arbeit notiert und wen könnten solche Dokumente belasten, lautet nun die spannende Frage. Bekannt ist beispielsweise ein Vermerk über Ermittlungen in Liechtenstein, der Anfang 2005 im Büro des damaligen Personalvorstands Jürgen Radomski einging.

Darauf notierte Schäfer handschriftlich, "wir bilden da - prophylaktisch - einen Krisenstab". Und Anfang 2006 ließ der Anti-Korruptionsbeauftragte wiederum Neubürger eine Mitteilung über umfangreiche Geldfunde auf Schweizer Konten zukommen, bei denen ein griechischer Siemens-Manager als "wirtschaftlich Berechtigter" eingetragen war. Diese Information verschickte Schäfer zusammen mit einem kurzen, ebenfalls von Hand verfassten Begleitbrief.

Insider erzählen, Schäfer habe akribisch und gewissenhaft notiert, was er erfahren und weitergeleitet habe. Das könnte früheren Top-Managern, sofern sie nicht wie Neubürger ohnehin schon von der Staatsanwaltschaft behelligt werden, noch großes Kopfweh bereiten.

Der Jurist wird in der Konzernspitze als "treuer Siemensianer" beschrieben, der stets an das Wohl der Firma gedacht und bestimmt nicht die Absicht gehabt habe, von sich aus etwas zu vertuschen.

Warum aber hat Schäfer laut Aktenlage gegenüber dem Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats erst dann den Namen von Reinhard S. genannt, als der längst in der Zeitung stand? Gegen S. liefen Ermittlungen erst in Liechtenstein und dann in der Schweiz, und Schäfer hatte sich Mitte 2006 einmal sogar selbst mit ihm getroffen. S. war Manager in der Sparte Telekommunikation, er war intern frühzeitig aufgefallen.

Sein Name stand in den beiden Vermerken, die Schäfer im November 2003 (auffällige Barzahlungen und Bestechungsverdacht bei Geschäften in Nigeria) und Januar 2006 (auffällige Geldfunde in der Schweiz) dem damaligen Finanzvorstand Neubürger zukommen ließ. Der Staatsanwaltschaft gestand S. schließlich, in großem Stil schwarze Kassen organisiert zu haben.

Warum nur hat Schäfer laut internen Protokollen gegenüber dem Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats nur von einem "ehemaligen Mitarbeiter" gesprochen, gegen den ermittelt werde, statt den Namen zu nennen? Zusammenhänge seien so nicht erkennbar gewesen, klagen Mitglieder des Aufsichtsrats, dessen Prüfungsausschuss die Aufgabe hat, Gesetzesverstöße zu verhindern beziehungsweise für Aufklärung zu sorgen.

Aus dem Kontrollgremium verlautet freilich auch, Schäfer habe bestimmt nicht aus eigenem Antrieb so gehandelt. Was der Jurist im Prüfungsausschuss vorgetragen habe, so womöglich vom Vorstand oder einzelnen Vorständen vorgegeben gewesen. Schäfers Anwalt hat in einem Schriftsatz notiert, sein Mandant habe im Prüfungsausschuss "im Namen des Vorstands" über Compliance-Vorgänge referiert.

Es gibt inzwischen zahlreiche Hinweise, dass der frühere Vorstand von schwarzen Kassen wusste und der Aufsichtsrat gezielt hintergangen wurde. Liefert Schäfer nun die entscheidenden Erkenntnisse, wer zu Zeiten der früheren Konzernchefs Heinrich von Pierer und Klaus Kleinfeld was wusste und was vertuschte?

"Das volle Vertrauen ausgesprochen"

Im Vorstand berichtete Schäfer wiederholt über Compliance-Themen. Ein Protokollführer sagte als Zeuge bei der Staatsanwaltschaft aus, dabei habe es betroffene Gesichter und allgemeine Anmerkungen der Art gegeben, "das hört sich nicht gut an", oder: "Dr. Schäfer, kann das schlimm werden?" Der Jurist habe jahrelanges Vertrauen genossen. Der Protokollführer berichtete auch, der Name Reinhard S. sei bei den Compliance-Berichten im Vorstand erst nach der Großrazzia der Münchner Staatsanwaltschaft von Mitte November 2006 genannt worden.

Mehrere Vorstände kannten den Namen Reinhard S. aber offenbar schon vorher. Ein früherer Manager der Sparte Telekommunikation (Com) sagte bei der Staatsanwaltschaft aus, er sei von vier Zentralvorständen frühzeitig - lange vor der Razzia - auf Reinhard S. angesprochen worden. Dabei sei von "Vorgesprächen" vor den offiziellen Sitzungen die Rede gewesen. Wussten etliche Vorstände also mehr, als sie bislang zugaben? Der Aufsichtsrat hofft auf eine vollständige Aufklärung mit Schäfers Hilfe.

Der frühere Chief Compliance Officer und sein Anwalt äußern sich nicht zu Details. Im Frühjahr hatte Schäfer gegenüber der Süddeutschen Zeitung erklärt, "ich habe stets meine Aufgabe wahrgenommen, im Rahmen meiner Zuständigkeit für rechtmäßiges Verhalten im Unternehmen zu sorgen". Jetzt hat ihm Siemens "das volle Vertrauen" ausgesprochen.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: