Konjunktur:Wieso sich deutsche Firmen um China sorgen

Neue Ausgabe von Pictures of the Future

U-Bahn in China: Mit Software von Siemens wird die Zugfolge optimiert, um das Streckennetz besser auszulasten.

(Foto: Siemens)
  • Vor ein paar Tagen kam es in Shanghai und Shenzhen zu gewaltigen Kursstürzen.
  • Nachdem viele Millionen Chinesen Geld verloren haben, fürchten Ökonomen, dass die Realwirtschaft betroffen sein könnte: Die Preise deutscher Luxus-Autos geraten bereits unter Druck.
  • Auch setzen heimische Hersteller ausländischen Firmen immer mehr zu.
  • Konzerne wie Siemens müssen umdenken.

Von Christoph Giesen, Peking

China ist ein normales Land, das sagt die chinesische Regierung. "The New Normal", nennen sie es inzwischen. "China ist ein ziemlich normales Land", sagt auch Siegfried Russwurm. Er ist der Chief Technology Officer von Siemens, der oberste Ingenieur des Konzerns also, ein Mann der viel herumkommt, der oft im Silicon Valley unterwegs ist, in Berkeley etwa oder auf dem Campus in Stanford, dort wo die Forscher eben sitzen. Dieser Siegfried Russwurm sagt sogar: "China ist genauso normal wie die Vereinigten Staaten."

Für Chinas Ministerpräsident Li Keqiang bedeutet Normalität, dass die zweistelligen Wachstumsraten der zurückliegenden Jahrzehnte endgültig der Vergangenheit angehören. Sechs, sieben Prozent darum geht es jetzt. Statt auf Geschwindigkeit zu setzen, müsse China vor allem qualitativ wachsen, predigt Li.

Der Aktienboom wurde von der Regierung befeuert

Wenn Russwurm von Normalität spricht, meint er vor allem, dass China nicht mehr länger die Werkbank der Welt sei. Wer in der Volksrepublik Erfolg haben möchte, müsse sich dem Wettbewerb mit der erstarkenden chinesischen Konkurrenz stellen und deshalb Forschung und Entwicklung in China betreiben. Genau deshalb ist er nach Peking gekommen, er will die Technologie-Strategie für China, dieses angeblich nun ach so normale Land, vorstellen.

Aber kann China überhaupt normal sein? Schaut man sich den Verlauf der Börsenkurse der vergangenen Wochen an, fällt es schwer China für ein normales Land zu halten. Erst vor ein paar Tagen kam es in Shanghai und Shenzhen zu gewaltigen Kursstürzen, tausende Aktien wurden vom Handel ausgesetzt. Millionen Chinesen haben sich verspekuliert, viele von ihnen hatten sich sogar verschuldet, um Unternehmenspapiere zu kaufen. Befeuert worden war der Aktienboom just von der chinesischen Regierung. Dadurch konnten sich zwar viele mittelständische Unternehmen refinanzieren, die kein Geld von staatlichen Banken erhalten und nur Wucherzinsen von obskuren Schattenbanken gewährt bekommen. Doch nun, nachdem viele Millionen Geld verloren haben, fürchten Ökonomen, dass die Realwirtschaft betroffen sein könnte.

20 bis 30 Prozent weniger Kunden in den Verkaufsräumen von Mercedes-Benz

Die ersten Anzeichen gibt es bereits: Nach den Verlusten am Aktienmarkt sind etwa die Preise deutscher Luxusautos unter Druck geraten. Chinas Autohändler berichteten von immer höheren Preisnachlässen, die sie gewähren müssten. In den vergangenen vier Wochen etwa suchten 20 bis 30 Prozent weniger Kunden die Verkaufsräume von Mercedes-Benz auf als noch vor einem Jahr. Und auch bei BMW macht man sich Sorgen. Die höheren Rabatte drohen Spuren in den Bilanzen zu hinterlassen: Der chinesische BMW-Partner Brilliance warnt, der Gewinn des ersten Halbjahres werde um bis zu 40 Prozent schrumpfen, weil die Geschäfte des Joint-Ventures schlechter liefen.

Bei Siemens merkt man von den Turbulenzen an den Märkten noch nichts. Klar, Kleinaktionäre kaufen keine Gasturbinen oder ein eigenes Windrad.

Was Siemens jedoch spürt, ist das verlangsamte Wachstum, die neue Normalität. Chinas Zement- und die Stahlindustrie haben Überkapazitäten angehäuft. Und auch mit Kraftwerken lässt sich derzeit wenig Geld verdienen. Der Energiebedarf der Volksrepublik steigt nun langsamer an, und noch immer setzt China vor allem auf Kohlekraftwerke in den Revieren im Norden des Landes. Immerhin im Zuggeschäft läuft es ordentlich. Die chinesische Regierung hat erst kürzlich ein Stimuluspaket in Höhe von mehr als 100 Milliarden Euro aufgelegt, das in den Infrastrukturausbau fließen soll.

Auch für das, was Russwurm Normalität nennt, hat die Führung in Peking ein Schlagwort parat: "Made in China 2025", nennen sie es. Statt nur zu fertigen und dann zu exportieren, sollen in zehn Jahren Produkte für den Weltmarkt in China kreiert werden, das bringt das Geld. Das nächste iPhone soll aus China kommen, nicht mehr aus Kalifornien. Doch dazu müssen Unternehmen mit Weltrang entstehen. Teilweise wird dabei auch nachgeholfen, um diese nationalen Champions zu erschaffen.

4900 Ingenieure arbeiten für den Münchner Konzern in China

Bei Ausschreibungen werden chinesische Hersteller schon mal bevorzugt, auch wenn sie eigentlich noch das qualitativ schlechtere Produkt anbieten. Oder Forschungsarbeiten für private Konzerne werden von Teams an staatlichen Universitäten verrichtet, ohne dass diese je in Rechnung gestellt werden.

Um in diesem Kampf zu bestehen, steigert Siemens die Forschungsausgaben. Im zweistelligen Bereich sei der Etat erhöht worden, sagt Russwurm. 20 Forschungszentren unterhält Siemens bereits vor Ort und kooperiert mit 85 Universitäten. 4900 Ingenieure arbeiten für den Konzern in China. Gut die Hälfte davon ist ausschließlich mit Forschungs- und Entwicklungsarbeiten betraut. Etwa 5000 Patente wurden inzwischen angemeldet. Und diese würden auch respektiert, sagt Siemens-Landeschef Lothar Herrmann. Auch in den Absatzzahlen schlagen sich die Entwicklungen in der Volksrepublik bereits nieder. So wurden MRT-Scanner und Computertomografen entwickelt, die ursprünglich für den chinesischen Markt bestimmt gewesen waren - eher unverwüstliche Maschinen, die auch einmal einen Stromausfall verkraften können und trotzdem ordentliche Aufnahmen machen, aber eben kein Highend sind. "Preisgünstig, aber immer noch auf Siemens-Niveau", wie Russwurm es nennt. Doch dann passierte Erstaunliches. Die in China entwickelten Maschinen sind inzwischen extrem begehrt, aber nicht unbedingt in China. Krankenhäuser an der wohlhabenderen Ostküste der Volksrepublik ordern lieber die exquisitesten Modelle aus Deutschland. Stattdessen werden viele der in China entwickelten und produzierten Geräte jetzt in die Vereinigten Staaten verkauft. Normalität für Siegfried Russwurm und seine Truppe.

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